FDP-Politikerin Strack-Zimmermann: Die Rauflustige
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann will Düsseldorfer Bürgermeisterin werden – und kommt an. Rettet sie ihre Partei?
M it ihrem Motorrad könnte sie das Hindernis nun einfach umkurven. Aber Marie-Agnes Strack-Zimmermann rauscht voll drauf zu. Gut, sie ist an diesem wolkigen Junitag in der Düsseldorfer Fußgängerzone gar nicht mit ihrer Maschine unterwegs, sondern zu Fuß, um durch ihre Heimatstadt zu führen. Das Hindernis ist ebenfalls nicht motorisiert, sondern: ein älterer Herr.
Der Mann, graues schütteres Haar, Brille, nach eigener Auskunft 78 Jahre alt, legt los: Wie es denn sein könne, dass die FDP 2017 die Jamaika-Verhandlungen platzen ließ, fragt er. Wenn die Partei jetzt nur mitregieren würde, „das wäre eine andere Republik“. Stattdessen regiere die Groko vor sich hin, ohne jede Vision. „Und Christian Lindner kritisiert nur von der Seitenlinie aus. Das ist seiner doch nicht würdig“, findet er. 2017 ist auch so ein alter Herr, der sich Strack-Zimmermann immer wieder in den Weg stellt.
Strack-Zimmermann, weiße Hose, beigefarbener Blazer, hatte eben noch ausgeführt, dass Jamaika längst abgehakt sei, es einzig die Medien wieder neu aufkochten. Jetzt steht da der alte Herr im Weg und erinnert, dass die FDP auch heute vor allem mit dem Kneifen vor Regierungsverantwortung verbunden wird. Für Strack-Zimmermann ist das auch persönlich ärgerlich, will sie doch für die Mutigen, Angriffslustigen stehen.
Von der Aufbruchstimmung, die die Liberalen 2017 zurück in den Bundestag getragen hat, ist nur noch wenig übrig. Seit Langem dümpelt die Partei in Umfragen in der Fünf-Prozent-Todeszone. Der Absturz wird vor allem Parteichef Christian Lindner angelastet, dessen Liste an politischen Fehltritten so lang ist, dass sie die ganze Partei nach unten gezogen hat. Vom überstürzten Abbruch der Jamaika-Verhandlungen über seinen arroganten Umgang mit Fridays for Future bis zum Rumlavieren, als sich in Thüringen ein Liberaler von Rechten zum Ministerpräsidenten wählen ließ.
Als die FDP 2013 aus dem Bundestag flog, zerlegte sich die damalige Parteispitze mit Intrigen. Auch deshalb üben sich viele in der Partei in Loyalität zu Lindner. Und suchen nach Erfolgen. Einen soll Marie-Agnes Strack-Zimmermann erzielen, sie will Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt Düsseldorf werden, der Landeshauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Mitte September wird gewählt. Rettet man so eine Partei?
Schon rein äußerlich sticht sie heraus. Wo sich unter den aktuell 709 Bundestagsabgeordneten viele Stefans in Anzügen tummeln, bildet sie mit ihrer grauen Kurzhaarfrisur und dem häufig bis ganz oben zugeknöpften Blusenkragen einen Kontrast. Sie wirkt streng, aristokratisch, vor allem ist sie: sichtbar, und das ist gewollt.
Betritt sie die politische Bühne, sagt sie gerne spitze Sätze. Eine Auswahl aus der jüngsten Zeit: Zur überraschenden Nominierung der SPD-Innenpolitikerin Eva Högl als Wehrbeauftragte ließ sie sich mit dem Satz zitieren: „Frau Högl hat mit der Bundeswehr so viel zu tun wie ich mit dem Mäusemelken.“ Zum Versagen Ursula von der Leyens als Ministerin in der Berateraffäre sagte sie: „Die Laufmasche fällt immer von oben nach unten.“ Lehnt sie eine Zwischenfrage im Bundestag ab, was ein Raunen ihrer Kollegen zur Folge hat, kann sie sich einen Kommentar nicht verkneifen: „Nicht traurig sein, ist alles gut!“
Alle Parteien haben maskottchenhafte Leute in ihren Reihen. Nicht jene, die qua Amt oder Funktion wichtig sind, sondern Charakterköpfe, die vom klassischen Politikertypus abweichen. Anton Hofreiter mit seinem bayerischen Dialekt und der Zottelfrisur bei den Grünen ist ein Beispiel, oder der professorale Karl Lauterbach mit seinem rheinischen Singsang von der SPD. In der FDP besetzt Strack-Zimmermann diese Rolle. Wenn jemand den Begriff rauflustig buchstäblich verkörpert, dann sie: raufen und lustig.
Woher kommt das Direkte, die Lust am Streit?
Ende Mai sitzt Strack-Zimmermann in ihrem Bundestagsbüro und hat die kurze Antwort sofort parat: War schon immer so. Die Langversion hat mit ihrer Kindheit zu tun. Als Jüngste und einziges Mädchen musste sie sich gegenüber zwei älteren Brüdern behaupten. „Meine Brüder haben mich gestählt.“ Das habe sie geprägt. Ein Bruder zeigte ihr, wie sie, das zarte Mädchen, sich aus einem Schwitzkasten befreit, sie lernte so, sich gegen ältere Jungs auf dem Schulhof zu behaupten. Sie muss lachen. Womöglich ist ihr bewusst, dass ihr Gegenüber bei diesem Bild sogleich an ihre männerdominierte Partei denkt.
1958 geboren, wächst Marie-Agnes Jahn in einem bürgerlichen, akademischen Elternhaus in Düsseldorf auf. „Wenn die ‚Tagesschau‘ lief, war Ruhe im Karton“, erinnert sie sich. Durch Besuche bei ihren Großeltern in Westberlin erlebt sie hautnah, wie eine schlichte Mauer die Freiheit einschränkt. Gebannt verfolgt sie Willy Brandts Ostpolitik, die sozial-liberale Ära, Genscher. Auch deshalb entschied sie sich nach ihrem Einzug in den Bundestag für Verteidigungspolitik, sagte sie einmal in einem Interview mit der taz.
Obwohl ihre Eltern in der CDU waren, sei sie sehr emanzipiert aufgewachsen, sagt sie. Mit 15 hatte sie ihr erstes Mofa, was damals als junge Frau ungewöhnlich war. Bis heute verbringt sie ihre Freizeit am liebsten auf der Maschine, hat damit schon halb Europa bereist, Griechenland, Korsika, Sardinien.
Später arbeitet die promovierte Publizistin lange für den Kinderbuchverlag, der die „Was ist was“-Bücher rausbringt. Der Mauerfall – „der war ja gelebte Freiheit“ – packt sie so sehr, dass sie mit Anfang dreißig, zwei ihrer drei Kinder sind inzwischen auf der Welt, doch noch in die Politik geht. Sie tritt in die FDP ein, macht Kommunalpolitik in Düsseldorf.
Hier wäre ihr politischer Werdegang vermutlich auserzählt − wäre die FDP 2013 nicht krachend aus dem Bundestag geflogen. Dieser Absturz spült Strack-Zimmermann auf die bundespolitische Bühne. Als die Partei in Trümmern liegt, Parteichef Christian Lindner die Liberalen neu aufzustellen beginnt, macht er Strack-Zimmermann, die beiden kennen sich aus NRW, zu seiner Stellvertreterin – zur Trümmerfrau sozusagen. Sie soll das kommunalpolitische Profil der FDP stärken, fährt quer durchs Land, um die Basis zu motivieren. „Lindner war der Chef im Ring und das liberale Gesicht, meine Aufgabe war es, in der Partei zu wirken“, sagt sie. 2017 fahren sie den Erfolg dafür ein, mit dem Einzug in den Bundestag. Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekommt in ihrem Wahlkreis 19,7 Prozent − das beste Zweitstimmenergebnis der Liberalen bundesweit.
Was die Wähler lieben, geht den Mitgliedern ihrer eigenen Partei auch schon mal auf die Nerven. Auf Bundesparteitagen hat sie als Parteivize nie überragende Ergebnisse bekommen. „Everbody’s darling is everbody’s Depp“ sagt sie dazu nur. Ein FDP-Kollege aus dem Bundesvorstand sagt: „Es ist ja kein Geheimnis, dass sie nicht dem konservativ-wirtschaftsliberalen Flügel angehört, sondern eher dem progressiven.“ Auch im Bundestag schütteln manche öfter den Kopf über die 62-Jährige.
Neulich, vor der Sommerpause zum Beispiel. Im Plenum stand die Aussprache über den Wehrbericht an. Eine jährlich wiederkehrende Debatte, die Verteidigungspolitikern vor allem dazu dient, sich mit dem Zustand der Bundeswehr auseinanderzusetzen. Aber Strack-Zimmermann nutzt einen Großteil ihrer Redezeit dazu, den nicht anwesenden SPD-Fraktionschef Ralf Mützenich zu attackieren. Sie kritisiert dessen Abrüstungsforderungen, was in einem persönlichen Scharmützel zwischen ihr und SPD-Politikerin Barbara Hendricks mündet. „Es rührt mich, dass Sie Herrn Mützenich verteidigen“, ruft sie der entgegen. Ihre Stimme klingt dabei immer etwas heiser. Geraune. In solchen Momenten bekommt man das Gefühl, dass ihr Streit im Zweifel vor Inhalt geht.
Spricht man mit Kollegen aus dem Bundestag und dem Düsseldorfer Stadtrat, hört man: „Eine Aktenfresserin ist sie nicht“, das sagt ein Abgeordneter, der StrackZi, wie manche sie nennen, aus dem Ausschuss kennt. Oder: Einer sagt, dass sie mit ihrer zuspitzenden Art zu verschleiern versuche, wenn sie nicht ganz drin ist im Thema. Auch ein langjähriger Ratskollege aus Düsseldorf berichtet, dass sie es manchmal übertreibe, mit ihrer „nassforschen Art“ schon manch einen Kollegen vor den Kopf gestoßen habe. Andererseits: Sie könne auch einstecken.
Nur: Lässt sich mit spitzen Zitaten zur Verteidigungspolitik die FDP aus dem Umfragetief retten?
Als sich Anfang des Jahres der FDP-Mann Thomas Kemmerich unter Mithilfe der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließ, ging Strack-Zimmermann kurz danach auf maximale Distanz. Auf Twitter schrieb sie: Sich „von jemandem wie #Höcke wählen zu lassen, ist unter Demokraten inakzeptabel & unerträglich. Es ist daher ein schlechter Tag für mich als Liberale“. Damit stellte sie Parteichef Lindner in den Schatten, der diesen Tabubruch im Erfurter Landtag erst nicht verhinderte und Kemmerich dann sogar noch zur Wahl gratulierte. Strack-Zimmermann bekam viel Zustimmung. Als Kemmerich später auf einer Demo mit AfD-Leuten auftaucht, legt sie diesem den Parteiaustritt nahe.
Strack-Zimmermann, eine Anti-Lindner? Ihr Name fällt stets, wenn es darum geht, einen Kontrapunkt zum Schlingerkurs des Parteichefs zu nennen. Die Zeit nannte diesen Kreis, zu dem auch junge Abgeordnete wie der Sozialpolitiker Johannes Vogel oder der für Klimapolitik zuständige Lukas Köhler zählen, „Die Unerhörten“ − weil sie aus Loyalitätsgründen bislang stillhalten. Strack-Zimmermann weist das von sich, natürlich. Sie verdanke Lindner sehr viel, sagt sie nur. Tatsächlich wirkt der Intrigantenstadl von 2013 auch bei Strack-Zimmermann nach.
Im Frühjahr 2019 auf dem Parteitag, als es für sie darum ging, sich als stellvertretende Parteichefin bestätigen zu lassen, beanspruchte Nicola Beer, die scheidende Generalsekretärin und Spitzenkandidatin für die Europawahl, den Posten für sich. Beer wollte gestärkter in die Wahl gehen. Tatsächlich zog sich die sonst so konfliktfreudige Strack-Zimmermann zurück und wahrte so den Parteifrieden. Seitdem ist sie nur noch Beisitzerin im Bundesvorstand.
Ob sie sich vorstellen könne, FDP-Chefin zu sein? „Nein“, antwortet sie ohne Zögern. Dies sei eine Aufgabe für die Jüngeren.
In Düsseldorf stellt sich Strack-Zimmermann nun zur Oberbürgermeisterwahl. Es ist Mitte Juni, bei einem Spaziergang zeigt sie ihre Stadt. Sie spricht jetzt viel über Stadtplanung. Die Rheinterrassen etwa, die würde sie gerne verlängern, Wirtschaftsförderung stärken, typische FDP-Themen. Sie spricht aber auch von Wohnungsnot und fehlenden Kitaplätzen. Düsseldorf ist wohlhabend. „Ein Drittel unseres Haushalts geben wir für Soziales aus“, sagt sie, so viel wie keine andere Stadt sei das. Daran will sie anknüpfen. Als Sozialliberale würde sie sich nicht bezeichnen, sagt sie − sieht es aber als Kompliment, wenn andere sie so nennen.
Als Verteidigungspolitikerin steht sie für Aufrüstung, will das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen, Kampfdrohnen anschaffen, moderne Kriegsführung also. Sie läuft beim CSD mit, schließt eine Frauenquote für ihre Partei zumindest nicht aus. Über die Grünen, die große Konkurrenz der FDP, sagt sie: „Die haben diese Attitüde, sich moralisch immer auf der richtigen Seite zu sehen.“ Das könne sie gar nicht aushalten, sagt sie. Hinzu kommen Leute wie Robert Habeck, mit dessen verschwurbelter Art zu reden die Klartext-Frau wenig anfangen kann.
Am Grünen-Chef arbeitet sie sich überhaupt gern ab. Neulich, als Habeck romantisch mit Pferden in der Natur posierte, postete Strack-Zimmermann ein Foto von sich auf einer Blumenwiese, überschrieben mit: „Warten auf die Pferde. Magie ist schon da.“ Als der langjährige Kieler Landwirtschaftsminister vor Monaten einen Mindestpreis für Fleischprodukte forderte, schrieb Strack-Zimmermann: „Auch beim Schnitzel gilt Habecks Motto: Viel Meinung, keine Ahnung.“
Derlei Attacken machen eine Annäherung zwischen FDP und Grünen nicht einfacher. Zweimal hat Strack-Zimmermann schon solche Verhandlungen begleitet. 2017 auf Bundesebene, deren Scheitern sie bis heute verteidigt: „Zwei wollten miteinander ins Bett, und wir sollten es beziehen.“ Das andere Mal war 2014, als sie ein Ampelbündnis im Düsseldorfer Rat aushandelte. Hier klappte es, weil die schwierigen Themen gleich auf den Tisch gekommen waren, sagt sie.
Überhaupt Düsseldorf. Hier ist ihr Wahlkreis, hier will sie nun ins Rathaus einziehen. Sie und ihre Mitbewerber von SPD, CDU und Grünen liegen etwa gleichauf. Sie hat also realistische Chancen. „MASZ macht’s“, lautet der Slogan ihrer Kampagne. Dazu ihr Konterfei.
„Erkennen Sie mich noch?“, ruft ihr ein Mann mit Käppi, der Obdachlosenzeitungen verkauft, entgegen. „Na klar“, erwidert sie. Später erzählt sie, dass sie den Mann bei einer Freiwilligenaktion kennengelernt hat, wo sie zum Brötchenschmieren im Einsatz war. Hier schimmert mithin eine empathischere Frau durch, weniger kantig als im harten Bundestagsbetrieb. Für Ratssitzungen unterbricht sie sogar ihre Sitzungswochen in Berlin – was auch damit zu tun hat, dass das rot-grün-gelbe Bündnis ohne sie sonst keine Mehrheit hätte.
Wird sie tatsächlich zum Stadtoberhaupt gewählt, will sie ihr Bundestagsmandat niederlegen. Falls nicht, will sie 2021 nochmal für den Bundestag kandidieren. „Die Düsseldorfer haben die Wahl, mich als ihre OB ins Rathaus zu wählen oder mich weiterhin als ihre Abgeordnete in Berlin zu erleben“, sagt sie. Deshalb ist ihre Geschichte die eines Erfolges – und auch eine seltsame: Die Umstände katapultieren eine Kommunalpolitikerin in den Bundestag, dort fällt sie auf, man hört ihr zu, sie kommt an. Und dann – will sie wieder gehen.
Der ältere Herr in der Düsseldorfer Fußgängerzone ist fertig mit seinem Vortrag. Er ist kein Spinner, sagt, er sei nur besorgt sei über den heutigen Zustand der FDP, schwärmt von liberalen Vordenkern wie Ralf Dahrendorf und Hans-Dietrich Genscher, die er persönlich gekannt haben will. Auch mit Lindner stand er lange in persönlichem Kontakt – bis er diesem mal die Meinung gesagt hatte. „Seitdem antwortet er nicht mehr.“ Strack-Zimmermann hört ihm zu. Schließlich sagt sie: „Ich nehme Ihre kritischen Worte auf.“
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