FDP-Mitgliederbefragung zur Ampel: Macht und Misere
Bis zum 1. Januar stimmen FDP-Mitglieder darüber ab, ob die Partei in der Regierung bleibt. Wie gefährlich ist das, für die Ampel und für die Partei?
Auch Christian Lindner nicht. Lindner nickt zu Solms Worten. Ganz so, als gäbe es keine miesen Umfragewerte. Oder die Mitgliederbefragung, bei der rund 76.000 Mitglieder bis zum 1. Januar 2024 darüber abstimmen können, ob die FDP in der Ampel bleiben oder doch lieber die Regierung sprengen soll. Seitdem sich die Liberalen auf das Bundesexperiment Ampel eingelassen haben, verlieren sie eine Landtagswahl nach der anderen: Zuletzt flogen sie im Oktober in Bayern aus dem Landtag, selbst im Stammland Hessen schafften sie den Einzug nur ganz knapp. Nun rumort es an der Basis.
1948 wurde die FDP im hessischen Heppenheim gegründet. Seither hat diese kleine Partei, die meist nur einstellige Wahlergebnisse erzielt, die Politik der Bundesrepublik in unterschiedlichen Konstellationen mitgeprägt. Sehr oft gemeinsam mit der Union, 1969 bis 1983 in einer sozial-liberalen Koalition, und seit 2021 erstmals mit SPD und Grünen.
Doch das Bündnis mit zwei linken Parteien wird für einige Liberale immer mehr zur Zumutung. Ende Oktober warfen 26 FDP-Mitglieder der Parteiführung in einem Brandbrief namens „Weckruf Freiheit“ vor, die FDP verbiege sich in der Regierung „bis zur Unkenntlichkeit“. Fast zeitgleich startete Anfang November die Kasseler Initiative „Ampel beenden“, die eine Mitgliederbefragung anstrengte.
Doch vom Aufruhr ist beim Parteijubiläum wenig zu spüren. Als Lindner die Bühne betritt, hat er nur wenige Stunden zuvor mit Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck die Einigung im Haushaltsstreit verkündet: Die Schuldenbremse gilt für 2024. Wie es die FDP wollte. Eine Beruhigungspille fürs liberale Gemüt. Zu sehen ist ein etwas übermüdeter, aber zufriedener Finanzminister und Parteivorsitzender. Nicht immer sind diese Rollen so leicht zu vereinbaren.
Lindner hält eine Rede über Erfolge seit der Parteigründung: Das stetige Verteidigen der sozialen Marktwirtschaft. Die gesellschaftliche Entlüftung während der sozialliberalen Koalition. Bis ins Heute, zum russischen Angriffskrieg, bei dem es die Demokratie zu verteidigen gilt. Während seiner Rede fragt Lindner immer wieder: „Mission accomplished?“ Mission erfüllt? Die Antwort lautet immer nein. Diese FDP, dieser Bundesvorsitzende hat noch was vor. Er sei stolz, Vorsitzender einer Traditionspartei zu sein, sagt er. Die Begeisterung schwingt im Saal mit.
Auch als Lindner längst verschwunden ist, wird an den Stehtischen zwischen Wein und Häppchen weiter geschwärmt. Der Groll richtet sich nicht gegen den Parteichef, sondern gegen die Grünen. „Der Feind sitzt in der Regierung“, sagt eine Frau, ein Basismitglied aus dem ländlichen Niedersachsen. Die Grünen würden einem vorschreiben, wie man zu leben und zu essen habe. Sie ruinierten die Wirtschaft, den Wohlstand des Landes. Wie 1933, meint sie. Wie Hitler vor der Machtergreifung. Ob sie wohl für oder gegen die Ampel stimmt? Dafür, versichert sie: Man dürfe sich nicht vor der Verantwortung drücken.
Das Schlimmste zu verhindern reicht nicht
Doch so sehen das nicht alle. Der Initiator der Mitgliederbefragung, FDP-Politiker Matthias Nölke aus Kassel, formulierte es gegenüber der Bild so: „Besser wir opfern die Koalition als unser Land.“ Nur das Schlimmste verhindern, ist den Ampelrebellen nicht genug. Sie wollen, zusammengefasst: mehr Atomkraft, weniger Migration, kein Heizungsgesetz, weniger Steuerbelastung und vor allem: Abstand von den Grünen.
Wie die Befragung ausgeht, ist schwer abzuschätzen. Das Ergebnis ist nicht bindend. Aber es ist eine Bewährungsprobe für die Partei. Das Szenario Neuwahlen hängt wie ein Damokles-Schwert über der Republik. Die Nervosität in der Fraktion lässt sich auch daran ablesen, dass selbst die Krawallmacher vom Dienst – Parteivize Wolfgang Kubicki, der wahnsinnig gern gegen die Grünen und den Wirtschaftsminister wettert („Da kann sich der Robert gehackt legen“), oder Frank Schäffler („Die Ampel hängt wie ein Mühlstein um unseren Hals und zieht uns immer weiter in den Abgrund“) – gerade auftreten wie zahme Kätzchen und für den Verbleib in der Ampel werben. Dabei war es Schäffler, der 2011 einen parteiinternen Mitgliederentscheid gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM initiierte – eine Zerreißprobe für die FDP.
Heute steht die FDP-Fraktion aber erstaunlich geschlossen da. Das liegt zum einen daran, dass die FDP bei einem Bruch mit der Koalition und Neuwahlen wenig zu gewinnen hätte. Zum anderen folgt das aus 2013, aus dem Jahr, als die FDP aus dem Bundestag flog, was vielen in der Partei als Trauma gilt. Zwei Lehren wurden aus 2013 gezogen: Öffentlich streiten tut der Partei nicht gut. Und wer Macht haben will, muss machtvolle Posten besetzen. Heute ist Christian Lindner im Dazwischen. Als Finanzminister steht er im Zenit seiner Macht. Als Parteivorsitzender wird er infrage gestellt – und mit seinen eigenen Worten konfrontiert.
Mitte Dezember schreibt der Unternehmer und frühere FDP-Landeschef in Bayern, Albert Duin, einen Brief an Lindner. „Nie war Deine Aussage, ‚es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren‘, passender als in diesen Tagen“, steht darin. Es sind Lindners Worte, als er 2017 die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition platzen ließ. Den Brief veröffentlichte Duin auch auf der rechtspopulistischen Plattform „Tichys Einblick“, für die er gelegentlich schreibt. Duin ist nun Sprecher für den Weckruf Freiheit.
Wo endet liberal-konservativ?
Doch prominente Ampel-Gegner bleiben rar gesät. Meist sind es Menschen, die in einem Spannungsverhältnis zur FDP-Spitze stehen. Es ist zum Beispiel der Thüringer FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich, der gegenüber dem Spiegel begrüßte, dass die Basis „mutiger und lauter“ wird. Kemmerich wurde überregional bekannt, als er sich 2020 mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Er trat kurze Zeit später wieder zurück. Aber auch für die kommende Landtagswahl im September hat die Bundespartei ihm jegliche Unterstützung entzogen.
Daneben gibt es noch Gerhard Papke, ein ehemaliger Freund und politischer Weggefährte von Christian Lindner. Die beiden kennen sich aus Nordrhein-Westfalen, wo Papke von 2005 bis 2012 Vorsitzender der FDP-Fraktion, danach Vizepräsident des Landtags war. Als Lindner 2013 Bundesvorsitzender der FDP wurde und Papke ihn zu einem national-liberalen Kurs bewegen wollte, kam es zum Bruch zwischen den beiden. Seit 2019 ist Papke Präsident der deutsch-ungarischen Gesellschaft und Bewunderer von Viktor Orbán.
Kemmerich und Papke zeigen beispielhaft, dass es bei der Befragung vielleicht nicht nur darum geht, mit wem es sich besser regieren lässt: Union, SPD oder Grüne. Es geht auch um einen Richtungskampf in der FDP. Und zwar: Wie weit das Verständnis von Liberalität jenseits des Wirtschaftsliberalen reicht. Und ab welchem Punkt das Konservativ-Liberale ins Rechte kippt.
Tino Josef Ritter ist einer der 26 Erstunterzeichner des „Weckrufs Freiheit“. Schon auf dem vergangenen FDP-Parteitag im Juli 2023 befand er als Delegierter, das nächste Bündnis dürfe „auf keinem Fall eine linke oder grüne Beteiligung haben“. Auf den ersten Blick wirkt Ritter wie ein klassischer Wirtschaftsliberaler, der gegen staatliche Überregulierung eintritt. Doch er wettert auch gegen Ampel-Vorhaben, die im FDP-Wahlprogramm standen. So kommentierte er das geplante Selbstbestimmungsgesetz mit den Worten: „Kein Schwanz hat etwas in einer Frauensauna zu suchen.“
Äußerungen auf der Plattform X belegen einen Rechtsdrall. Am 8. Dezember 2023 schreibt er: „Und warum predigen uns gerade mehrheitlich Migranten in den Medien, wie wir uns zu verhalten haben (…). Menschen, deren Ahnen nicht ihr Blut gaben, damit wir Europäer in Freiheit und Wohlstand leben, erklären uns penetrant, wie wir zu denken haben.“ Ritter sieht zudem eine Koalition mit der AfD nicht als Gefahr, sondern als „Chance der konservativen und liberalen Parteien, endlich wieder bürgerlich-liberale Politik für die Interessen unserer Republik“ zu machen. Das schreibt er im November 2023. Es brauche eine Brandmauer gegen Grün und Links.
Wie Fundis und Realos?
Für den FDP-Bundestagsabgeordneten Pascal Kober hat die Mitgliederbefragung aber nichts „mit rechts oder links“ zu tun. Kemmerich etwa habe Kober selbst zwei Jahre im Bundestag erlebt. „Er ist nicht AfD-nah, er ist wirtschaftsliberal und gesellschaftspolitisch etwas konservativer.“ In der Mitgliederbefragung stecke vielmehr der „Wunsch nach Politik ohne Kompromisse, wie früher in der Auseinandersetzung zwischen Fundis und Realos bei den Grünen.“
Es gehe um eine Grundsatzfrage: „Kompromisslos die reine Lehre und damit für immer in der Opposition – oder kompromissbereit regieren und Teile des Programms umsetzen zu können.“ Kober selbst hat für die Ampel gestimmt und plädiert für Gelassenheit. Trotz aller Kompromisse sei „doch erkennbar, für was wir stehen“. Der Haushaltskompromiss habe die FDP gestärkt. Diesen Kurs sollte die Partei „souverän und sachbezogen weiterverfolgen“.
Gelegentlich begegnet Kober auch dem Frust der Basis. Bislang habe er aber alle Ausstiegswilligen überzeugen können, dazubleiben. Bei der Frage nach einer Prognose wird Kober dennoch zögerlich. Die FDP habe „einen hohen Anteil an Unterstützern, die ihre Partei in der Regierung haben wollen“, sagt er. Dennoch sei natürlich die Abstimmungsbeteiligung entscheidend.
Ausgang ungewiss.
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