Explosionen an Gaspipeline Nord Stream 2: Oh Leck!

Die Ursache für Schäden an Nordstream 1 und 2 sind ungeklärt. Kritische Infrastruktur, vor allem Kabel im Meer zu schützen, ist eigentlich unmöglich.

Ein Militärschiff liegt im ruhigen Hafen. Der Himmel ist weiß-grau

Dänisches Militärschiff im Hafen von Bornholm. Hier in der Nähe fanden die Explosionen statt

STOCKHOLM/BERLIN taz | Wie viele Lecks gibt es tatsächlich an den Pipelines von Nord Stream 1 und 2? Am Donnerstag korrigierte die schwedische Küstenwache die Anzahl von drei auf vier. Das vierte Leck habe man zunächst auf dem Radar nicht erkennen können, es sei aber bereits am Montagabend bei einem Überwachungsflug entdeckt worden. Öffentlich kommuniziert hatte man das in den vergangenen Tagen aber nicht.

Noch am Mittwochabend war auf einer Pressekonferenz der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, an der auch Johan Norrman, operativer Chef der Küstenwache teilgenommen hatte, durchgängig nur von drei Lecks die Rede gewesen. Man habe die Information über das vierte Leck für nicht weiter wichtig gehalten, erklärte ein Pressesprecher der Behörde der taz, weil es keine zusätzliche Gefahr für die Schifffahrt darstelle.

Interessant für den Verlauf einer möglichen Sabotageaktion ist diese Information aber durchaus. Bislang war nur bekannt, dass es ein Leck an einem Strang von Nord Stream 2 südöstlich von Bornholm gab, sowie je ein Leck im Abstand von 7 Kilometern an den beiden Strängen von Nord Stream 1 nordöstlich von Bornholm. Das vierte Leck wiederum liegt in einer Entfernung von knapp 2 Kilometern von den Rohren der hier parallel verlaufenden Nord-Stream-1-Pipeline entfernt.

Auf taz-Anfrage konnte die Küstenwache bis zum Redaktionsschluss nicht beantworten, ob der gleiche Strang von Nord Stream 2 beschädigt ist, wieder weiter südlich, ob alle vier Stränge der beiden Pipelines beschädigt sind – oder nur, wie bislang bekannt, die beiden von Nord Stream 1 und ein Strang von Nord Stream 2. Da aus allen Lecks sichtbar Gas austritt, könnte dies für Ersteres sprechen.

Experten warnten schon 2007

Ein durchgehender Schutz auf dem Meeresboden? Praktisch unmöglich

Aufgrund der nun jeweils in mehreren Kilometern Abstand von einander festgestellten Lecks nordöstlich von Bornholm müssten relativ zeitgleich drei unterschiedliche Sprengladungen explodiert sein. Björn Lund vom schwedischen seismologischen Netzwerk SNSN wollte gegenüber Aftonbladet nicht ausschließen, dass mit diesen Signalen nicht nur eine, sondern mehrere Detonationen im Abstand von weniger als 10 Sekunden registriert worden sein könnten.

Vor Sabotagehandlungen hatten Experten des schwedischen Verteidigungsforschungsinstituts FOI schon vor 15 Jahren gewarnt und der Regierung deshalb empfohlen die Baugenehmigung für Nordstream 1 zu blockieren. In einer FOI-Stellungnahme vom 7. Februar 2007, drei Jahre vor Baubeginn von Nord Stream 1, heißt es: „Trotz ihres Betonmantels ist so eine Pipeline sehr verwundbar, es genügt ein Taucher, der an ihr eine Sprengladung befestigt.“ Zu den regelmäßigen Szenarien militärischer Übungen gehört in Schweden in den letzten Jahren auch ein Konflikt mit Russland, der durch ein Attentat auf Nord Stream ausgelöst würde.

Die schwedische Regierung hatte sich zunächst entschlossen gezeigt, sowohl aus Umwelt- als auch aus Sicherheitsgründen dem Bau der Pipeline durch die schwedische Wirtschaftszone zu widersprechen. Nach einem Besuch von Kanzlerin Merkel 2009 bei ihrem Parteifreund, dem konservativen Regierungschef Fredrik Reinfeldt, gab die Regierung ihren Widerstand jedoch auf: Man wollte sich nicht mit der Bundesregierung anlegen, die das Pipelineprojekt als zentral für die künftige Energieversorgung Deutschlands dargestellt hatte.

Mit den Schäden an den Pipelines gerät auch der Schutz von Unterseekabeln, die der Kommunikation dienen, wieder in den Fokus. Mehrere hundert Kabel liegen weltweit auf und in den Böden der Ozeane, in bis zu 8.000 Metern Meerestiefe.

Kollektive „Meeresblindheit“

250 Kabel verbinden die EU mit dem Internet – zwei Drittel davon verlaufen durch die umliegenden Meere, nur ein Drittel über Land. Bereits das Verlegen von Unterseekabeln ist immens aufwendig und teuer. Ein durchgehender Schutz? Praktisch unmöglich. So konstatiert eine im Juni veröffentlichte Studie des Fachgebiets PEASEC am Fachbereich Informatik der TU Darmstadt zusammen mit Forschenden der Universität Kopenhagen und der Sciences Po Paris im Auftrag des Europäischen Parlaments zum Thema Schutz von Unterseekabeln: „Ihre Regulierung und ihr Schutz durchbrechen die herkömmliche Arbeitsteilung in vielerlei Hinsicht.“

Es gebe keine führende Aufsichtsbehörde, ebenso wenig wie eine maßgebliche Schutzinstanz. Küstenwachen seien ebenso zuständig wie das Militär, die für Fischerei zuständige EU-Behörde ebenso wie die für Cybersicherheit.

Laut Studie ist der Schutz der Unterseekabel überhaupt erst in den vergangenen Jahren auf den politischen Radar gelangt. „Es besteht die Tendenz, dem Geschehen auf See im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit zu schenken – ein Phänomen, das als kollektive Meeresblindheit bezeichnet wird.“ Paradoxerweise schaffe die Unsichtbarkeit zumindest eine rudimentäre Sicherheit: Kabel, deren Verlauf in Karten nur grob verzeichnet sei, seien für gezielte Attacken schwieriger zu finden.

Dennoch schlagen die Au­to­r:in­nen eine Reihe von Maßnahmen vor, um den Schutz zu verbessern. Dazu zählen eine Berücksichtigung in der Strategie für die Sicherheit im Seeverkehr, Training von Küstenwachen und eine Zusammenführung von Daten über den Zustand der Kabelnetze und die aktuell bestehenden Schutzmaßnahmen. Darüber hinaus könnten auch die Mitgliedstaaten einen Teil dazu beitragen und Kabel und Anlandestationen regelmäßig untersuchen.

Derzeit „keine konkrete Gefahr“

Man nehme die Schäden an den Pipelines sehr ernst, bestätigte ein Sprecher des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe der taz. Das Bundesinnenministerium sei dazu mit den deutschen Sicherheitsbehörden sowie mit den dänischen und schwedischen Partnern in Kontakt. „Auf Grund ihrer Bedeutung werden kritische Infrastrukturen, insbesondere die Energieinfrastruktur, unabhängig vom konkreten Ereignis als abstrakt gefährdet eingeschätzt“, heißt es weiter.

Aber: Derzeit lägen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung vor. Grundsätzlich sind laut Behörde die Betreiber kritischer Infrastruktur zuständig für eigene Schutzmaßnahmen. Den Ländern oblägen polizeiliche Maßnahmen im deutschen Küstenmeer sowie an Land.

Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und im Parlamentarischen Kontrollgremium, mahnte fehlende Investitionen in den Schutz kritischer Infrastruktur an. In den vergangenen Jahren hätte der Fokus eher auf sozialer Sicherheit gelegen und es habe eine falsche Bedrohungswahrnehmung vorgelegen, sagte der CDU-Politiker der taz.

„Unsere Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden müssen künftig besser für die Abwehr und Aufdeckung hybrider Bedrohungen ausgestattet werden, auch gesetzliche Grundlagen müssen gegebenenfalls an die endlich begriffene Bedrohung angepasst werden.“

Beim Schutz von Pipelines, Tiefseekabeln und Unterwasser-Datenleitungen gehe es vor allem um maritime Sicherheit. „Hier ist ein Zusammenspiel verschiedener Sicherheitsakteure- und bereiche, von Küstenwache über Seeaufklärung bis zur Marine der Bundeswehr gefragt. Es muss im Bereich der ganzheitlichen Sicherheit insgesamt ein Umdenken stattfinden.“ Die Gesellschaft müsse endlich für die hybriden Bedrohungen sensibilisiert und insgesamt resilienter werden. Leider müsse man mit weiteren Angriffen dieser Art im Zuge der hybriden Kriegsführung rechnen gefährdet, so Kiesewetter.

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