Expertenkreis Muslimfeindlichkeit: Rassismusbericht plötzlich offline
Das Innenministerium hat den Bericht des Expertenkreises Antimuslimischer Rassismus zurückgezogen. Ein Mitglied nennt das Vorgehen „irritierend“.
Geklagt hatte unter anderem der Publizist und Welt-Kolumnist Henryk M. Broder, der im Bericht genauso namentlich genannt wird wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries und die selbsterklärte Islamismus-Expertin Sigrid Herrmann von der hessischen SPD. Sie alle sehen sich durch die Namensnennung in die Nähe von antimuslimischem Rassismus gerückt.
Broders Klage wurde mittlerweile stattgegeben, eine Entscheidung im Fall Hermann steht noch aus. Da das BMI sich nun aber entschieden hat, den Bericht nicht mehr zu verbreiten, ihn von seiner Website genommen und auch die verbliebenen physischen Ausgaben entsorgt hat, sind weitere Gerichtsverfahren wohl vorerst hinfällig. Ein Sprecher des BMI sagte am Mittwoch, das Ministerium plane, den Bericht erneut in einer Fassung ohne die umstrittenen Namensnennungen zu veröffentlichen.
Der Expertenkreis selbst hat sich 2023 mit Erscheinen des Berichts aufgelöst. Das ehemalige Mitglied Saba-Nur Cheema sagt gegenüber der taz, bisher habe sich das BMI nicht direkt an die Mitglieder gewandt. Sie hätten nur aus der Presse erfahren, dass der Bericht nicht mehr auf der Website des BMI zu finden ist, so die Politologin. Die Aussage eines Ministeriumssprechers gegenüber dem RBB, wonach es dem Expertengremium „selbst überlassen“ sei, für eine Neuveröffentlichung zu sorgen, sei „fast schon zynisch“, findet Cheema.
Faeser hatte für Berichtvorstellung keine Zeit
Cheema verweist auch auf die große symbolische Bedeutung des Berichts: „Der Unabhängige Expertenkreis wurde ja nicht zufällig nach dem rassistischen Anschlag von Hanau 2020 einberufen.“ Dass sich die Bundesregierung vom Bericht möglicherweise distanzieren wird, sende auch international ein falsches Signal. „Der Bericht wurde als Pionierarbeit gelobt und in einigen europäischen Ländern werden ähnliche Vorhaben diskutiert.“
Eingesetzt vom damaligen CSU-Innenminister Horst Seehofer, sollten die zwölf unabhängigen Mitglieder des Expertenkreises eine Gesamtübersicht zu antimuslimischem Rassismus in Deutschland liefern und konkrete Handlungsempfehlungen formulieren. Das Ministerium versprach sich davon auch praktische Erkenntnisse für den Kampf gegen Diskriminierung. Da der Bericht unabhängig erarbeitet wurde, handelt es sich bei ihm aber nicht um ein Dokument des Ministeriums selbst, sondern er wurde nur durch dieses verbreitet.
Zentrales Ergebnis des Berichts war, dass etwa jede*r zweite Deutsche antimuslimische Vorurteile hat. Muslim*innen seien in fast jedem Lebensbereich von Diskriminierung betroffen, gleichzeitig lasse sich das tatsächliche Ausmaß der Benachteiligung gar nicht absehen, da es an wissenschaftlichen Studien mangele. Die Expert*innen forderten zudem eine*n Bundesbeauftragte*n für antimuslimischen Rassismus.
Die amtierende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte für den Bericht zwar das Vorwort verfasst, war der eigentlichen Vorstellung im Sommer 2023 aber ferngeblieben. Sie nahm stattdessen an einer Veranstaltung in Hessen teil, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt als SPD-Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf befand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau