Experte über koloniale Objekte in Museen: „Eine verdrängte Geschichte“
Eine Tagung diskutiert die Rückgabe von Objekten aus der Lübecker Völkerkundesammlung. In der Stadt beginnt die Diskussion ums koloniale Erbe erst.
taz: Herr Frühsorge, in Lübeck ist die Rückgabe von kolonialen Objekten umstritten. Welche Vorbehalte gibt es?
Lars Frühsorge: Die Vorbehalte beziehen sich einerseits auf den großen Wert zweier Objekte, die zurückgegeben werden sollen. Es gibt Fragen, was dann nach der Rückgabe in Afrika mit ihnen geschehen wird. Wir favorisieren natürlich, dass sie in einem Museum ausgestellt werden. Unser Vorschlag sieht aber vor, dass wir als Anerkennung des historischen Unrechts keine Auflagen, keine Forderungen an die Länder stellen, sondern sagen: Als Akt der Anerkennung, dass diese Dinge unrechtmäßig hierher gekommen sind, müssen sie auch ohne Auflagen zurückgegeben werden.
Die Debatte um die koloniale Vergangenheit beginnt in der Stadt gerade erst – warum?
Kolonialgeschichte war nicht im öffentlichen Bewusstsein. Es ist eine verdrängte Geschichte. Es gab ein paar Straßennamen und Denkmäler, mit denen man sich aber nicht auseinandergesetzt hat. Die Geschichte musste erst wieder sichtbar gemacht werden. Es gibt keine Lübeck-Postkolonial-Bewegung, es gibt keine Aktivist*innen. Und in dem Sinne gab es keinen Stein des Anstoßes.
42, ist seit 2018 Leiter der Lübecker „Völkerkundesammlung“. Zuvor war er als Dozent an den Unis in Hamburg und Heidelberg tätig.
Und warum gibt es jetzt eine Diskussion?
Als ich die Völkerkundesammlung vor knapp vier Jahren übernommen habe, waren wir die Impulsgeber in die Stadt hinein, im Unterschied zu anderen Städten, wo eher die Museen unter Druck sind, etwas aufzuarbeiten. Aber das Bewusstsein wächst. Wir arbeiten mit Schulen und Kunstschaffenden zusammen. Da ist ein wachsendes Interesse an der Thematik erkennbar, besonders bei der jüngeren Generation.
Nun beschäftigen Sie sich in einer Ausstellung mit dem Thema.
Die Ausstellung heißt „Afrika und Lübeck. Eine Spurensuche“. Wir gehen erstmalig der Frage nach, wie viel Afrika in unserer Stadt steckt, wie unsere historischen und heutigen Verbindungen sind. Wir haben mit den Communitys gearbeitet, damit auch Menschen mit Migrationshintergrund aus Afrika in der ersten und zweiten Generation berichten, wie sie in unserer Stadt leben, wie weit sie sich als Teil des Ganzen fühlen, wie weit sie immer noch Diskriminierung erfahren. Wir zeigen, wie weit wir mit Afrika historisch verflochten sind, welche Rolle Kolonialwaren für das Wachstum unserer Stadt gespielt haben, wie weit sie profitiert hat von Sklavenhandel und Ausbeutung. Und wir zeigen, welche Rolle individuelle Lübecker*innen im System kolonialer Herrschaft gespielt haben.
Heute gibt es eine Tagung zum Thema. Was wollen Sie erreichen?
Tagung „Zurückgeben? Einblicke in die Debatte um koloniale Museumssammlungen“: heute, 13 Uhr, Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL), sowie digital (Teilnahme kostenlos, Anmeldung an vks@luebeck.de erbeten), Infos und Programm: https://vks.die-luebecker-museen.de
Ausstellung „Afrika in Lübeck – Eine Spurensuche: bis 29. Januar 2023, Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk, Infos und Rahmenprogramm: https://vks.die-luebecker-museen.de/afrika-und-luebeck---eine-spurensuche
Wir wollen die Stadtöffentlichkeit sensibilisieren und den politischen Entscheidungsträger*innen noch mal klarmachen, was die historischen Hintergründe sind. Dass es 1904 einen Völkermord in Namibia gegeben hat, dass es seit vielen Jahren Forderungen gibt, diese Schädel zurückzugeben. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir proaktiv handeln müssten und sollten. Die deutsche Gesellschaft hat diese Dinge noch nicht in allen Bereichen verinnerlicht. Als Wissenschaft sind wird da in der Pflicht, noch offensiver über Kolonialgeschichte zu informieren. Und wir wollen auf diejenigen zugehen, die Vorbehalte gegen die Rückgabe haben. Wir haben Expert*innen und einen Repräsentanten der Herero eingeladen, die es dann hoffentlich schaffen, diese Bedenken zu zerstreuen, sodass wir zu einer konstruktiven Lösung kommen.
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