Experte über die Pandora Papers: „Wir brauchen ein europäisches FBI“
Die Pandora Papers beleuchten einen weiteren Teil der Schattenfinanzwelt. Experte Christoph Trautvetter erklärt, welche Konsequenzen die Enthüllungen haben sollten.
taz: Herr Trautvetter, waren Sie überrascht von den jüngsten Enthüllungen aus den Pandora Papers?
Christoph Trautvetter: Eher nicht. Dass es neben Mossack Fonseca – der Anwaltskanzlei im Fokus der Panama Papers – und Appleby aus den Paradise Papers noch Hunderte weiterer solcher Dienstleister weltweit gibt, war ja bekannt. Die Pandora Papers beleuchten einen weiteren Ausschnitt der Schattenfinanzwelt, aber immer noch nur einen kleinen Teil. Und die Erkenntnis, dass die Verschleierung mit den Panama Papers nicht aufgehört hat, ist frustrierend, aber nicht überraschend.
Wie aufwendig sind solche Netzwerkrecherchen mit 11,9 Millionen Daten?
Die Enthüllungen der Pandora Papers sind absolut großartig! Das Verdienst des Rechercheverbunds ICIJ kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Hunderte Journalisten haben mit einer Datenmenge von 2,9 Terabyte hantiert. Das ist eine Aufgabe, an der viele Firmen und Behörden scheitern würden. Das über Länder- und Sprachgrenzen hinweg zu organisieren und geheim zu halten ist eine Leistung, die die Sicherheitsbehörden in den Schatten stellt.
Aber wenn Sie nicht überrascht sind: Werden die Recherchen Folgen für Steuergerechtigkeit haben?
Auf jeden Fall. Die Pandora Papers werden aktuellen Reformbemühungen neuen Schwung geben sowie weltweit zu Selbstanzeigen und Verfahren führen. Aber vor allem: Dass jetzt erneut Daten an die Öffentlichkeit gelangt sind, und diesmal gleich von 14 Dienstleistern, untergräbt das zentrale Geschäftsmodell der Schattenfinanzwelt. Jemand, der eine anonyme Briefkastenfirma in der Karibik eröffnen will, wird sich in Zukunft zweimal fragen, ob er die Anonymität, die er kauft, tatsächlich auch bekommt. Mit den Pandora Papers nimmt die Angst zu und dadurch wächst die Ehrlichkeit. Auch viele deutsche Steuerhinterzieher werden sich nicht mehr trauen, weil die Gefahr zu groß ist, dass sie auffliegen.
Welche Folgen hatten die Enthüllungen der Panama Papers rückblickend?
Die Aufsichtsbehörden in Panama und den britischen Jungferninseln haben den Firmen einige 100.000 Euro Strafzahlungen auferlegt – angesichts der Gewinne und des Schadens aus den schmutzigen Geschäften viel zu wenig und wie man sieht jetzt: eindeutig nicht genug zur Abschreckung. In der EU und in vielen Ländern wurden in den letzten Jahren sogenannte Transparenzregister eingeführt.
Deutschland hat seines 2020 öffentlich gemacht, aber so schlecht umgesetzt, dass es 2021 komplett reformiert werden musste. Die USA, Panama und die britischen Jungferninseln haben versprochen, ebenfalls ein solches Register einzuführen. Und schließlich haben die Strafverfolgungsbehörden weltweit zumindest einen Teil der aufgedeckten schmutzigen Geschäfte aufgearbeitet und bestraft.
Die Pandora Papers zeigen allerdings noch größeren Handlungsbedarf auf, oder?
Ja, all diese Maßnahmen haben nicht gereicht, weil sie noch zu viele Lücken bieten, weil bei den Strafverfolgungsbehörden Personal und Kapazitäten fehlen, das Problem systematisch zu verfolgen. Und weil die, die es sich leisten können, langjährige Gerichtsverfahren durchziehen oder eben andere sichere Häfen ansteuern.
Was zeigt sich noch?
Die Enthüllungen belegen, dass die Panama Papers und die danach angekündigten Reformen das Problem mit den karibischen Briefkastengesellschaften nicht gelöst haben. Außerdem werden Ausweichbewegungen sichtbar: Beispielsweise wurden Briefkastengesellschaften aus Panama in noch geheimere Vehikel in die USA verlagert.
Gibt es bei den Pandora Papers eine neue Qualität gegenüber Panama und Paradise Papers oder Luxemburg Leaks?
Im Prinzip ist es das gleiche Schema F, es sind auch sehr ähnliche Daten. Wesentliche Unterschiede sind, dass die Informationen teilweise bis 2021 reichen und dass sich das Leak nicht auf Panama beschränkt, sondern auch Daten aus Belize, den britischen Jungferninseln, Dubai oder Hongkong enthält. Deswegen kann man jetzt auch die Ausweichbewegungen nach den Panama Papers sehen – etwa die Verlagerung der Firmenstruktur des ecuadorianischen Präsidenten aus Panama nach South Dakota.
Nach unserer Einschätzung aus dem Schattenfinanzindex war die USA 2020 der zweitgrößte Schattenfinanzplatz der Welt. Dort bekommt man in South Dakota, Nevada oder Delaware völlig anonyme Stiftungen und Firmen und die USA nehmen nach wie vor nur beschränkt am internationalen Informationsaustausch zu Bankkonten teil. Deswegen sind die USA ein gutes Fluchtziel und vermutlich bald der größte Schattenfinanzplatz der Welt.
37, ist ehemaliger Unternehmensberater, der als forensischer Sonderprüfer die Geschäfts- und Steuerpraktiken der Konzerne kennengelernt und nach drei Jahren gekündigt hat. Mittlerweile setzt er sich im Netzwerk für Steuergerechtigkeit gegen Geldwäsche ein.
Ist es auch eine neue Qualität, dass viele hochrangige Politiker betroffen sind?
Auch in den Panama Papers gab es eine ganze Reihe davon, aber die Pandora Papers sind allein vom Umfang her eine neue Dimension mit etwa 330 hochrangigen Politikern. Und die Berichterstattung macht deren Doppelzüngigkeit und Interessenkonflikte sehr deutlich: Viele von ihnen bekunden in der Öffentlichkeit, dass sie gegen Geldwäsche und Steueroasen vorgehen wollen – und sind zum Teil mit der Bekämpfung von Schattenfinanzplätzen betraut, die sie selbst nutzen.
Was ist das dreisteste Beispiel aus Ihrer Sicht?
Der Wirtschaftsminister aus Brasilien, Paulo Guedes, der tatsächlich ein Amnestiegesetz für Offshore-Investments verhandelt hat und mit einer Briefkastenfirma möglicherweise selbst betroffen war. Ebenso ist der Präsident aus Ecuador besonders dreist, der sich mit der Ankündigung wählen ließ, gegen Steuerparadiese vorzugehen und dann seine Firma einfach nur besser versteckt hat. Ähnliche Geschichten gibt es auch in Kenia und vielen anderen Ländern.
Welche politischen Folgerungen müssen aus den Enthüllungen gezogen werden?
Eigentlich ist es ganz einfach: Erstens können wir uns nicht auf Dienstleister und Aufsichtsbehörden aus den Schattenfinanzplätzen verlassen, weil die Bekämpfung von Offshore-Geschäften schlicht ihr Geschäftsmodell zerstört. Zweitens können wir uns nicht auf internationale Verhandlungen verlassen, weil Politiker mit am Tisch sitzen, die selbst von dem System profitieren und deswegen verhindern, dass am Ende mehr herauskommt als ein Minimalkompromiss.
Was muss stattdessen geschehen?
Wir können anonymen Briefkastengesellschaften die Geschäfte in Deutschland verbieten und wir brauchen viel mehr Ermittlungskapazitäten, um internationale Strukturen aufzudecken. Notwendig wäre eine Bundesfinanzpolizei und ein europäisches FBI, das in der Lage ist, grenzüberschreitende komplexe Finanzdelikte zu ermitteln.
Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Forderung gegen illegale und verdeckte Finanzströme?
Ein europäisches FBI. Nehmen Sie als Beispiel den Betrugsskandal, bei dem hunderte deutsche und europäische Anleger um mehrere hundert Millionen Euro betrogen wurden. Eine wichtige Rolle spielen dabei Briefkastenfirmen aus Hongkong. Mit solchen Fällen sind die deutschen Strafverfolgungsbehörden regelmäßig überfordert, weil die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sehr aufwendig ist. Ein europäisches FBI hätte es da einfacher: Es könnte viele Fälle aus verschiedenen Ländern bündeln und die Ermittlungen könnten mit deutlich mehr Druck geführt werden, wenn die gesamte EU mit Sanktionen drohen würde.
Für wie realistisch halten Sie es, dass am Ende von Koalitionsverhandlungen tatsächlich so etwas umgesetzt wird?
Es ist durchaus denkbar, dass das Thema auch in Koalitionsverhandlungen Platz findet. Die FDP hat im Wahlprogramm die Idee eines Europäischen Kriminalamtes. Die Grünen wollen die Finanzpolizei und den Zoll stärken und ein Immobilienregister einführen. Und die SPD will den Zoll stärken und erwägt ein globales Register für mehr Transparenz. Selbst bei der Union gibt es Vorschläge, Europol zu einer Art von FBI weiterzuentwickeln, den Zoll zu stärken und sogar eine Beweislastumkehr für Vermögen unklarer Herkunft einzuführen.
Apropos Union: Die Partei hat in Puncto Korruption auch so einiges auf dem Kerbholz. Warum finden sich so wenige deutsche Namen im Leak?
Das war schon in den Panama Papers und den Paradise Papers ähnlich. Das heißt aber nicht, dass deutsche Politiker die Schattenfinanzwelt nicht genauso nutzen. Aus früheren Leaks und Steuer-CDs wissen wir: Sie bevorzugen dafür andere Orte – zum Beispiel Liechtenstein, Dubai, Monaco, Gibraltar oder Zypern und nicht Panama oder Belize. Und selbst wenn Deutsche oder die Geschäftspartner von deutschen Politikern karibische Briefkastengesellschaften aus dem Leak genutzt haben, heißt das noch lange nicht, dass die Journalisten das auch in den Unterlagen sehen würden. Oft fehlen schlicht die Informationen, wofür die Briefkästen genutzt wurden, wohin das dort gewaschene Geld geflossen ist.
Wie viel Geld steckt eigentlich insgesamt in den Schattenfinanzplätzen?
Mehrere Schätzungen gehen von rund zehn Billionen US-Dollar aus, die anonym durch die Welt fließen. Andere kommen sogar auf 20 bis 30 Billionen US-Dollar.
Zur Einordnung: Zehn Billionen ist eine 1 mit 13 Nullen und soviel wie die fünf größten Staatshaushalte von den USA, China, Japan, Deutschland und Frankreich zusammen. Wie schätzt man das überhaupt?
Dafür gibt es unterschiedliche Methoden. Der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman etwa nutzt die Lücken aus den Berichten von Banken. Die melden regelmäßig an die Bank für den internationalen Zahlungsausgleich und an den internationalen Währungsfonds, wie viel Geld aus welchen Ländern bei ihnen angelegt ist und wie viel Geld ihre Kunden in anderen Ländern angelegt haben.
Vereinfacht gesprochen gibt es also eine Zahl aus der Bundesrepublik, wie viel Geld Deutsche in Luxemburg investiert haben und eine aus Luxemburg, wie viel Investments in Luxemburg von Deutschen gehalten werden. Die Zahl aus Luxemburg und vielen anderen Schattenfinanzplätzen ist dabei systematisch höher, weil sie auch das versteckte Vermögen kennen. Aus der Lücke lässt sich dann ungefähr das anonyme Vermögen schätzen.
Aber was ist mit Immobilienvermögen oder Luxusgütern?
Mit der beschriebenen Methodik lässt sich nur das Finanzvermögen erfassen. Bezieht man andere Vermögenswerte wie Yachten, Gemälde, Gold und Immobilien und schätzt, welchen Anteil die an einem typischen Portfolio ausmachen, kommt man auf deutlich höhere Summen. Ganz grob gesprochen liegt jeder zehnte bis zwanzigste Dollar weltweit anonym in Schattenfinanzplätzen.
In den Pandora Papers geht es auch um Immobilien in Innenstadtlagen, die über Briefkastenfirmen verschleiert erworben wurden – etwa von der aserbaidschanischen Herrscherfamilie, dem tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš oder auch einem Vertrauten von Wladimir Putin. Ist das vor allem ein Problem von Autokraten bzw. in Oligarchien?
Es ist ein weltweites Problem, das je nach Land in unterschiedlichen Facetten auftritt. Wir sehen, dass sich reiche und korrupte Potentaten weltweit gerne Villen in London, Florida oder an der Côte d’Azur kaufen. In Deutschland gibt es das vergleichsweise selten. Dafür ist Deutschland sehr beliebt als Investitionsziel.
Inwiefern?
In Deutschland standen in den letzten Jahren vergleichsweise viele und günstige Mietobjekte zum Verkauf. In Berlin gibt es 85 Prozent Mietwohnungen. In London sind es nur 50 Prozent. Der Spielraum für Schattenfinanzinvestitionen ist hier also viel größer. Und anders als quasi alle Nachbarländer veröffentlicht Deutschland keine Informationen zu Immobilieneigentum.
Österreich, Schweiz, Dänemark, Tschechien, Luxemburg und Frankreich haben öffentliche Immobilienregister. Nur Deutschland weigert sich bisher. Das heißt, wenn die Journalisten im Leak eine Briefkastenfirma finden, können sie gar nicht überprüfen, ob sie Immobilien in Deutschland hält. Deswegen ist zwar bekannt, welche Immobilien der Präsident aus Aserbaidschan in London besitzt, für Deutschland findet sich dort nur der kryptische Verweis „hält Immobilie in Berlin, Deutschland“.
Ist nicht damit zu rechnen, dass sich das Kapital einfach in die nächste Nische flüchtet, sobald Steueroasen ausgetrocknet sind? Machen die dann vielleicht eher in Kryptowährungen wie Bitcoin oder Monero?
Man könnte ergänzen: Gemälde, die in Freihandelszonen am Flughafen in Genf gelagert sind oder Goldbarren unterm Kopfkissen. Aber ich würde das nicht überbewerten. Das Vermögen in der Schattenfinanzwelt ist einfach um ein Vielfaches zu groß, um es in Bargeldkoffer, Goldbarren und unsichere Krypto-Assets zu übertragen. Außerdem sind bei Kryptowährung die meisten Transaktionen öffentlich aufgezeichnet. Vielleicht hat die Polizei in fünf oder zehn Jahren die Möglichkeiten, die entsprechenden Informationen zu knacken. Wie bei einer eingefrorenen Doping-Probe. Die Gefahr bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga