Experte über das Kartellrecht: „Hohe Hürden für Zerschlagung“
Wirtschaftsminister Robert Habeck will die Regeln für die Bekämpfung von Kartellen verändern. Warum das sinnvoll ist, erklärt Jurist Rupprecht Podszun.
taz: Herr Podszun, wie zerschlägt man ein Unternehmen?
Rupprecht Podszun: Das ist eine gute Frage, weil wir nicht so viel Erfahrung damit haben.
Der 46-Jährige ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Wieso haben wir damit wenig Erfahrung?
Momentan sind die Hürden für eine Zerschlagung sehr hoch. Das Bundeskartellamt müsste nachweisen, dass es dauernd zu Marktmissbrauch kommt und dass dieser nur durch eine Zerschlagung abgestellt werden kann. Das ist eine doppelt hohe Hürde: Man muss erstens einen Missbrauch von Marktmacht nachweisen. Das ist schon schwierig in der kartellrechtlichen Praxis. Und zweitens müsste man dann noch nachweisen, dass es keine andere Möglichkeit gibt, diese Missbräuche abzustellen, als ein Unternehmen zu zerschlagen. Dass also etwa Auflagen nicht ausreichen würden. Das ist in der Praxis nicht zu leisten. Dazu kommt noch ein zweiter Punkt: Die Anforderungen daran, was genau Marktmissbrauch ist, wurden in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft.
Wie kommt das?
Seit den 1980er Jahren ist, zuerst in den USA, eine sehr wirtschaftsliberale Schule stark geworden, die Chicago School. Die ist nach Europa und auch nach Deutschland geschwappt. Sie hat die Kartellrechtsanwendung zurückgedrängt. Verlangt werden seither aufwendige ökonomische Nachweise, und manche Gerichte fordern immer noch mehr. Jetzt gibt es dafür quasi die Quittung, weil man sieht: Die Konzentration in Märkten steigt. Mich überrascht immer, dass wir es dazu haben kommen lassen. Denn die Ordoliberalen, die in Deutschland prägend waren in den 1950er, 60er Jahren, alles Männer, die man dem liberal-konservativen Spektrum zuordnen würde, haben klar benannt, dass Machtkonzentrationen aufgebrochen werden müssen. Die Idee, wirtschaftliche Macht zu brechen, ist auch in einer liberalen Sicht auf Wirtschaft angelegt.
Was wäre denn nach dem aktuellen Verständnis ein solcher Missbrauch?
Ein krasser Fall aus dem Baltikum: Da hat die litauische Bahngesellschaft 19 Kilometer Schienen abgebaut, weil ein Unternehmen seine Güter nicht mehr mit dieser Bahngesellschaft transportieren wollte, sondern mit einer anderen. Das Unternehmen hat auf seine pure Macht als integrierter Bahnkonzern gesetzt, statt mit einem besseren Angebot zu konkurrieren. Aber solche eindeutigen Fälle sind selten. Meist wird wirtschaftliche Macht subtiler ausgespielt. Dementsprechend dauern alleine die Ermittlungen Jahre, gefolgt von jahrelangen Gerichtsverfahren. Die Unternehmen werden angehört, und natürlich werden sie von Spitzen-Anwält*innen vertreten, die alles für sie rausholen.
Und wie können die Pläne der Bundesregierung die Situation ändern?
Das Bundeswirtschaftsministerium zielt offenbar darauf ab, eine Entflechtung auch ohne konkreten Nachweis eines Missbrauchs zu ermöglichen. Man müsste dann nachweisen, dass der entsprechende Markt nicht mehr so funktioniert, wie er sollte. Die genauen Kriterien muss die Bundesregierung nun erarbeiten.
Spielen wir doch mal eine Zerschlagung mit den gesenkten Hürden durch: Was wäre denn der erste Schritt?
Als Erstes wird es eine Anordnung der Behörde geben. Das ist dann eine Verfügung des Bundeskartellamts, ich schätze mal, die ist ein paar hundert Seiten, vielleicht 1.000 Seiten dick. Die entsteht nicht von heute auf morgen, die Ermittlungen werden also wohl ein paar Jahre dauern. In dieser Verfügung steht, wie das Unternehmen entflochten werden muss. Also: welche Teile oder Sparten müssen eigenständig werden? Wer darf übernehmen? Gibt es Entschädigungen? Eine Zerschlagung wird aber weiterhin immer ein absoluter Ausnahmefall sein. Denn man hat aus Fällen aus den USA, wo noch 1984 der Telekommunikationskonzern AT&T zerschlagen wurde, und aus Großbritannien, wo 2008 ein Flughafenbetreiber zerschlagen wurde, eines gelernt: Es geht nur mit den Unternehmen. Man braucht das Know-how der Betroffenen. Konfrontative Zerschlagungen bringen ohnehin wenig, sie würden eine lange Prozesslawine nach sich ziehen. In Deutschland kann man das am Beispiel der Energiewirtschaft sehen, als Netz und Betrieb getrennt wurden. Dieses „Unbundling“ hat erst gut funktioniert, als die Energiekonzerne daran mitgearbeitet haben. Natürlich mussten sie einsehen, dass die Politik sich durchsetzen wird – dann ist man kooperativ. Und vielleicht wächst ja etwas Gutes daraus.
Der Plan: Vielleicht muss man sich das geplante neue Kartellrecht ein bisschen vorstellen wie die gute Monsterfigur in einem Kinderbuch. Zumindest wenn man in den Bildern von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) denkt. Ein Kartellrecht „mit Klauen und Zähnen“ kündigte er im Juni an. Ein zentraler Bestandteil der Reform solle „quasi eine Beweislastumkehr“ sein, so Habeck im Deutschlandfunk. Das könnte bedeuten, dass nicht mehr das Bundeskartellamt einen Marktmissbrauch im Detail nachweisen muss, sondern dass das oder die betroffenen Unternehmen beweisen müssten, dass sie ihre Marktmacht nicht missbrauchen.
Die Reaktionen: Habecks Vorstoß wurde weitgehend positiv aufgenommen. Sowohl Finanzminister Christian Lindner (FDP) als auch SPD-Chef Lars Klingbeil äußerten sich zustimmend. Auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, lobte die geplante Kartellrechtsreform als „wichtige Initiative“.
Die Übergewinne: Den Kartellrechtsplänen vorausgegangen war eine Debatte um eine Übergewinnsteuer: Damit hätten Steuern auf zusätzliche Gewinne von Firmen fällig werden können, die von den Folgen des Ukrainekriegs profitieren. Dem erteilte allerdings die FDP schnell eine Absage.
Das wird ein betroffenes Unternehmen wohl anders sehen.
Möglich. Aber Unternehmen strukturieren sich ja permanent um, positionieren sich neu, verkaufen Unternehmensteile, wechseln den Eigentümer. Natürlich will man da nicht unbedingt eine Behörde als Freund und Helfer, es ist aber auch nicht so, als wären Umstrukturierungen etwas Ungewöhnliches. Manchmal ist die Entflechtung vielleicht sogar die angenehmere Variante.
Inwiefern?
Wenn ich mir vorstelle, das Bundeskartellamt regelt jeden Monat an der Unternehmenspolitik herum, es flattern ständig neue Missbrauchsverfügungen und politische Vorwürfe herein – dann ist das eine Art von staatlicher Bevormundung, die vielleicht viel intensiver ist, als wenn ich sage: Ich mache jetzt einmal einen klaren Schnitt, dann seid ihr uns los. Eine Zerschlagung ist ein Zeichen von Vertrauen, dass die Märkte funktionieren können.
Anlass für die Reformpläne der Bundesregierung ist die Mineralölbranche. Wenn die Hürden für Zerschlagungen tatsächlich so abgesenkt werden, wie wir das gerade besprochen haben – wäre das dann ein so dysfunktionaler Markt, dass das Bundeskartellamt Zerschlagungen in die Wege leiten könnte?
Es ist auf alle Fälle ein Markt, der uns seit Jahrzehnten beschäftigt und der auch eine hohe volkswirtschaftliche Relevanz hat. Ob nun im Einzelnen die Anforderungen für eine Entflechtung erfüllt werden, das möchte ich mir jetzt aber nicht vom Universitäts-Schreibtisch aus anmaßen zu beurteilen. Was ist das Ziel? Was ist dafür wichtig? Solche Fragen bedürfen genauer Analyse, denn davon hängt ab, wo man das Messer ansetzen muss bei so einem chirurgischen Eingriff.
Bevor alle über die Mineralölbranche gesprochen haben, kam das Thema Zerschlagung vor allem im Kontext von Tech-Konzernen wie Meta und Google auf. Wenn man die in Deutschland oder dann wahrscheinlich in Europa entflechten würde, was würde das ändern?
Bei den digitalen Playern haben wir das Phänomen, dass es digitale Ökosysteme gibt, die quasi die Infrastruktur des Internets zur Verfügung stellen. Die große Gefahr ist, dass immer mehr Dienste in die jeweiligen Ökosysteme eingesogen werden und dann aus der gleichen Hand geliefert werden.
Also: Google macht das Android-Betriebssystem für Smartphones, die Suchmaschine, Werbedienste, Karten, E-Mail-Dienste, Youtube und noch mehr.
Genau. Und das geht auch in immer mehr traditionellen Branchen, im Gesundheitswesen zum Beispiel. Eine solche Marktmacht lädt einfach zum Missbrauch ein. Insofern läge es nahe, einzelne Dienste von Google zu entkoppeln.
Und was halten Sie von der Idee, den Pool von persönlichen Daten, die Google gesammelt hat, von dem Konzern abzutrennen?
Das ist auch eine denkbare Variante. Ob das im Ergebnis für mehr Wettbewerb sorgen würde, da bin ich nicht ganz sicher. Es fällt auch schwer, sich vorzustellen, dass das Bundeskartellamt richtig radikale Maßnahmen ergreift. Da wäre die EU-Kommission schon besser platziert. Außerdem braucht es auch einen gewissen politischen Rückhalt, selbst wenn die Behörden unabhängig sind. Aber immerhin geht es im Kartellrecht immer darum, die mächtigsten Unternehmen zu zähmen. Da ist es gut, wenn man nicht gleichzeitig auch noch gegen die eigenen Regierungen kämpfen muss.
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