Experte über Jusos und Fatah-Jugend: „Die Kooperation ist ja nicht neu“
Die Palästinensische Fatah-Jugend als Schwesterorganisation der Jusos: Islamwissenschaftler Christoph Dinkelaker erklärt, ob das problematisch ist.
taz: Der SPD-Nachwuchs ist aktuell schwerer Kritik ausgesetzt. Die Jusos billigten den Hass gegen Juden, sie schlügen sich auf die Seite von Extremisten, hätten ein Antisemitismusproblem – all das, weil sie auf dem Bundesparteitag die palästinensische Fatah-Jugend zur Schwesterorganisation erklärten. Wie nehmen Sie diese Debatte wahr?
Dinkelaker: In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt erlebe ich seit einigen Jahren in der deutschen Parteipolitik eine zunehmende Fokussierung auf eine verbale Solidarisierung mit Israel, während palästinensische Perspektiven außer Acht gelassen werden. Ähnlich verhält es sich mit genau diesem Vorfall. Der historische Kontext des Konflikts und der Fatah wird ignoriert.
Bei aller berechtigter Kritik an Vetternwirtschaft und autoritärer Herrschaft im Westjordanland: Die Fatah hat sich sehr lange für die Zweistaatenlösung eingesetzt – auch gegen die Widerstände anderer palästinensischer Gruppen. Bis zum Ende der Obama-Administration hat die Fatah diplomatische Lösungen priorisiert. Trotz anhaltender Besatzung und Annexionspolitik wandte sie sich später als weite Teile der palästinensischen Zivilgesellschaft Strategien wie BDS (Boykott, De-Investitionen und Sanktionen) zu, die nicht auf Zusammenarbeit und Dialog abzielen.
War die Kritik zumindest von CDU und FDP nicht zu erwarten?
Die Kooperation der Jusos mit der Fatah-Jugend ist ja nicht neu. Die Zusammenarbeit gibt es seit Mitte der 90er Jahre, und auch die Bezeichnung Schwesterorganisation ist nicht neu. Was sich verändert hat, ist der Diskurs in Deutschland, dahingehend, dass palästinensische Perspektiven immer stärker an den Rand gedrängt und vor allem delegitimiert werden.
Bis in die 90er und auch die 2000er Jahre galt die Fatah noch eher als „good guy“ gegenüber der als extremistisch bezeichneten Hamas. [Die islamistische Terrororganisation Hamas kämpft mit militärischen Mitteln gegen Israel und dessen Zivilbevölkerung und bezog sich in ihrer Charta lange auf die extrem antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“, die erwiesenermaßen eine Fälschung sind; d. Red.]
Aber ja, man konnte damit rechnen, dass für Kreise um CDU und FDP die Bezeichnung „Schwesterorganisation“ ein gefundenes Fressen ist. Aus meiner Sicht ist das aber vielmehr Ausdruck für die schrumpfenden Räume, in denen man sich zum Thema Israel-Palästina bewegen kann. Es geht um eine Veränderung in Deutschland, nicht um ein grundlegendes Ereignis, das sich in Israel oder Palästina abgespielt hätte. Spannend ist, dass hier Deutsche mit Deutschen streiten. Israelische und insbesondere palästinensische Perspektiven spielen überhaupt keine Rolle. In Israel und Palästina scheren sich sehr wenige Menschen darum, ob bei den Jusos jetzt von einer Schwesterpartei gesprochen wird.
Gäbe es für die Jusos alternative palästinensische Partnerorganisationen?
ist Islamwissenschaftler. Er lebte in den Jahren 2010 bis 2014 in Jerusalem und war in dieser Zeit auch für das Willy-Brandt-Zentrum in der Stadt tätig.
Allgemein gesprochen gibt es innerhalb der palästinensischen Jugendorganisationen heute praktisch keine Kraft, die sich nicht auch für Formen des unilateralen Vorgehens, wie Sanktionierungen Israels einsetzt [gemeint ist etwa der Boykott im Zusammenhang mit BDS; d. Red.], eben weil der Oslo-Prozess, der bis zum Jahr 1999 zur Zweistaatenlösung hätte führen sollen, 21 Jahre später noch nicht umgesetzt ist.
Das Vertrauen, dass die israelische, militärisch und machtpolitisch überlegene Seite sich auf eine Form von Kompromiss einlässt, ist unter allen Kräften aufgrund dieser zermürbenden Zeit geschwunden. Es gibt jenseits der Fatah keine relevante Gruppe, die Israel gegenüber kompromissbereiter wäre.
Wie sollten die Jusos auf die Kritik reagieren?
Die Jusos tun gut daran, sich einerseits vorbehaltslos hinter das Existenzrecht Israels zu stellen und gleichzeitig klarzustellen, dass es ohne die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts palästinensischer Menschen keinen Frieden geben wird. Dementsprechend muss man sich beiden Seiten gegenüber solidarisch zeigen.
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