Experte über Arbeitsmigration: „Kanada macht es besser“
Das geplante Einwanderungsgesetz hat Mängel, sagt der SPD-Migrationsexperte Aziz Bozkurt. Er fordert eine wirkliche Willkommenskultur.
taz: Herr Bozkurt, am Montag hat sich die Koalition auf Eckpunkte für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz geeinigt. Ist das jetzt das glückliche Ende einer glücklosen Debatte?
Aziz Bozkurt: Auf der symbolischen Ebene ist erst einmal ein erfolgreicher Endpunkt gesetzt.
Das Gesetz bedient Symbolpolitik?
Symbolisch meint, dass die SPD die Union nach längerer Diskussion zum Einlenken gebracht hat und jetzt endlich ein Eckpunktepapier vorliegt. Aber inhaltlich reizt das Papier noch nach lange nicht das aus, was es ausreizen könnte.
Weil das Gesetz vorrangig Hochschulkader und Facharbeiter*innen mit einer festen Jobzusage einlädt, nach Deutschland zu kommen?
Es ist fraglich, ob die hiesige Wirtschaft dadurch jene Fachkräfte bekommt, die sie braucht. Auch frühere Werbeversuche wie mit der Bluecard haben nicht funktioniert. An dieser Stelle geht das Gesetz also nicht weit genug.
Jetzt dürfen allerdings Menschen für sechs Monate herkommen und einen Job suchen.
Das ist ein Fortschritt, ja.
36, ist Informatiker und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD.
In dieser Zeit dürfen sie allerdings keine Sozialleistungen beziehen.
Der permanente Verdacht, dass Menschen einzig wegen Sozialleistungen nach Deutschland kommen, ist alles andere als eine Willkommenskultur. Das Einwanderungsland Kanada macht es besser. Dort werden ausländische Arbeitskräfte als „New Canadian“ willkommen geheißen, nach drei Jahren Leben und Arbeit dort bekommen sie die kanadische Staatsbürgerschaft. Dort ist Einwanderung mehr als nur der Blick auf den Arbeitsmarkt.
Kanada steuert die Zuwanderung mit einem Punktesystem: Wer die Sprache beherrscht und einen Ort mit einem großen Fachkräftemangel wählt, erhält bessere Punkte. Sollte das Deutschland das übernehmen?
Nein, ich halte ein System, das Menschen nach Punkten bewertet, für fragwürdig. Für Deutschland ist das kein Vorbild.
Der umstrittene sogenannte Spurwechsel – gut integrierte Geflüchtete mit Job werden nicht abgeschoben – ist im Eckpunktepapier der Koalition nicht enthalten. Wie kann die SPD, die den Spurwechsel dringend wollte, das Gesetz als Punktsieg verkaufen, wenn sich Innenminister Horst Seehofer und seine CSU wieder einmal durchgesetzt haben?
An dieser Stelle haben sich weder Union noch SPD durchgesetzt. Beim „Spurwechsel“ sind die Eckpunkte so schwammig formuliert, dass es Interpretationen zulässt. Jetzt ist zum Beispiel von einem „verlässlichen Status“ die Rede. Das wirft neue Fragen auf.
Wie wollen Sie der Bevölkerung vermitteln, dass eine gut integrierte Afghanin mit Job in der Altenpflege abgeschoben wird, während dieselbe Fachkraft aus anderen Ländern angeworben wird?
Das ist in der Tat nicht vermittelbar, und das wird die SPD im Gesetzesverfahren im Blick behalten müssen.
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