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Ex-Fußballer Jérôme BoatengSo viele gute Freunde

Vincent Kompany bietet seinem „guten Freund“ Boateng eine Hospitation beim FC Bayern. Die großen Player geben sich von den Gewaltvorwürfen ungerührt.

Beim FC Bayern wieder willkommen: Jérôme Boateng Foto: Reuters/Andreas Gebert

Gute Freunde kann niemand trennen, hat ein gewisser Bayern-Spieler zu einer anderen Zeit gesungen. Es ist ein Motto, das beim FC Bayern heute noch gilt. „Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit und sind gute Freunde“, gab Männer-Coach Vincent Kompany zu Protokoll. Gemeint hat er niemand anderen als Jérôme Boateng, Ex-Weltmeister mit Trainerambitionen – und lädiertem Ruf, seit es mehrere Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfs der Körperverletzung an Frauen, Nötigung und Verleumdung gegen ihn gab. Im September 2024 hat ein Gericht Boateng wegen vorsätzlicher Körperverletzung an einer Ex-Freundin schuldig gesprochen.

Vincent Kompany hat nichts davon thematisiert. Und weil gute Freunde niemand trennen kann, hat er Boateng zu einer Hospitation beim FC Bayern eingeladen. „Seine Erfahrung als Top-Verteidiger teilen? Natürlich! Ich würde immer dazu einladen, hundertprozentig.“ Und: „Ich bin extrem stolz auf ihn und glücklich darüber, was er alles erreicht hat.“ Damit kann er hoffentlich nur das Leben auf dem Platz gemeint haben. Er traue Boateng zu, ein „Top-Coach“ zu werden.

Dass Kompany, der mit Boateng 41 Pflichtspiele beim HSV und Manchester City absolviert hat, so weit die Arme ausbreitet, zeigt, dass die Proteste rund um misogyne Gewalt durch Fußballprofis an Grenzen stoßen. Durchaus ist es ihnen gelungen, Teile der Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Auch macht man sich bei manch progressivem Klub mehr Gedanken. Doch die dicken Player einer Milliardenbranche, wo jeder jeden kennt und der Boy’s Club wie eine Wagenburg zusammensteht, geben sich ungerührt.

Etwas überraschend ist der Vorstoß dabei strategisch. Schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass massive Fanproteste ein Comeback von Jérôme Boateng beim FC Bayern verhinderten. „Misogyne Gewalt ist keine Privatsache“, war damals auf Bannern in der Südkurve zu lesen. Der FC Bayern musste zurückrudern. Und Präsident Herbert Hainer erklärte, man habe „klare Werte und die verfolgen wir auch“. Nun, nachdem die Gerichtsverfahren abgeschlossen sind, hält der Klub offenbar die Zeit für reif, erneut das Wasser zu testen.

Viele Imagewandel

Das Image von Jérôme Boateng hat sich in den letzten Jahrzehnten atemberaubend oft gewandelt: Vom vermeintlichen Berliner Bad Boy zum Lieblingsnachbar und vorzeigeintegrierten „bürgerlichen“ Bruder, weiter zur internationalen Modeikone und schließlich zur Persona non grata. Nun schreitet die Rehabilitation schnell voran. Ex-Bayerncoach Hansi Flick, der wie Kompany gemeinhin eher nicht als Obermacho gilt, hat ihm eine Hospitation beim FC Barcelona zugesagt. Beim Hausblatt Bild darf Boateng ohnehin ohne Gegenstimme seine Version der Ereignisse verbreiten. „Es ging um eine Rangelei, bei der wir uns im Streit gegenseitig verletzt haben“, ordnete er jüngst die gerichtliche Verwarnung wegen vorsätzlicher Körperverletzung ein.

Wie mit Profis umzugehen ist, die der misogynen Gewalt beschuldigt wurden, ist eine komplexe Frage. Die meisten Engagierten sagen: Es hängt vom Einzelfall ab. Pauschale Berufsverbote oder Sanktionen fordert kaum jemand. Auch im Fall Boateng, wo die Vorsitzende Richterin bei der Verurteilung von einer langjährigen „toxischen Beziehung“ mit wechselseitigen körperlichen Übergriffen sprach, gibt es Grautöne.

Schweigen wiegt schwer

Und doch wiegt das Schweigen des Fußballs besonders schwer bei diesem Profi: Einer, gegen den es Gewaltvorwürfe aus mehreren Partnerschaften gab, wo Medien im Fall Kasia Lenhardt zahlreiche Indizien für Gewalt fanden und der nie Reue gezeigt hat, sich im Gegenteil jüngst mit Rammstein-Sänger Till Lindemann zynisch inszenierte. Dennoch fällt der Branche nichts anderes ein, als stillschweigend zum Alltag überzugehen. Der Einzige, der sich distanzierte, Halbbruder Kevin-Prince, hat sich für seine Aussagen inzwischen entschuldigt und sie mit Eifersucht begründet.

Vielen Betroffenen wäre dabei vor allem eines wichtig: dass Profis und Trainer das Thema eigeninitiativ ansprechen. Dass sie deutlich machen, dass es ihnen nicht egal ist. Oder ganz öffentlich auf Distanz gehen, statt vielleicht nur schweigend von einer Verpflichtung abzusehen. Im Amateurfußball wäre Boatengs Trainerlaufbahn nicht so einfach. Dort verlangen viele Vereine, gerade im Umgang mit Minderjährigen, ein erweitertes Führungszeugnis. Doch für Stars gelten eben andere Spielregeln. Sie haben viele gute Freunde.

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