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Eurovision-Vorentscheid HannoverSieger Kümmert verzichtet auf ESC

Ann Sophie fährt zum ESC. Der eigentliche Gewinner Andreas Kümmert tritt zurück, ihm fehle die Kraft. Zuvor gab es zweifelhafte Presseberichte.

Kümmert (rechts) siegt, Ann Sophie (links) fährt, Barbara Schöneberger (Mitte) staunt. Bild: dpa

HANNOVER taz | Was für eine Ironie, dass Conchita Wurst, ESC-Königin von 2014, zum Auftakt des ESC-Vorentscheids in Hannover ihren Hit „Rise Like A Phoenix“ nochmals gab – und kurz vor der Siegesverkündung noch ihren Titel „You Are Unstoppable“. Beide Zeilen müssen in den Ohren von Andreas Kümmert wie die Verheißung eines Alptraums geklungen haben.

Acht Acts konkurrierten um die Fahrkarte zum Eurovision Song Contest am 23. Mai in Wien. Gaststar Conchita Wurst war sehr, sehr glamourös – und entspannt: „Ist wie Kindergeburtstag hier. Ich kenne ja alles, die Aufregung, das Lampenfieber – ich genieße jetzt nur noch.“ Ästhetisch bemerkenswert war, dass in der ersten Runde vier Acts ausgesiebt wurden, die überwiegend stärker eingeschätzt wurden.

Ein Elektroding war schon stimmlich nicht auf der Höhe, aber drei Gruppen, die dem Mittelalter-, Esoterik- und Folk zuzurechnen sind, schieden alle aus. Das Televoting hat es so gewollt: Niedliches, Nettes, Putziges – nein danke. Nix Fahrenhaidt, Faun oder Mrs. Greenbird. Aber: Laing kam weiter, ein feministisches Popprojekt, auch Alexa Feser, eine Diseuse am Klavier, die geschmackvolle Lieder ohne besondere Passion zu singen vermag.

Und dann noch Ann Sophie, eine Hamburger Tochter aus besseren Kreisen, die handwerklich für das, was das Showgeschäft ist, alles, wirklich alles schon kann. Singen, tanzen, sich anziehen, schminken und mimen: Nichts an ihr wirkte bei den Titeln „Jump The Gun“ und „Black Smoke“ amateurhaft, neckisch oder halbgar. Alles prima. Schließlich – Andreas Kümmert. 26 Jahre, Unterfranke, klein von Statur, Bauch, roter Bart ungetrimmt, Haare im stylishen Irgendwie.

Kümmert mit Perlen der Soulkunst

Beide Titel, die er anzubieten hatte, machte er zu Perlen der Soulkunst, Joe Cocker näher als dem deutschen ESC-König von 2004, Max Mutzke. Wie man hörte, lag er in allen Runden vorn, hatte stets die Mehrheit der Sympathien auf seiner Seite. Und als schließlich das Zweierfinale wie in einem Boxkampf zuende war, als Ann Sophie ihr „Black Smoke“ beendet hatte, Kümmert sein grooviges „Heart of Stone“, wurden die Stimmen ausgezählt.

Und Kümmert war der Sieger, nicht die Schickere aus Hamburg. Jubel im Saal, mächtige Zustimmung auf Twitter für den Mann, der für den „Echo“ nominiert ist und gerade ein Album vorbereitet, das im nichtelektronischen Popbereich Standards setzen soll. Als Barbara Schöneberger aber ihn schon verkündet hat, nahm sich Kümmert das Mikro und sagte, er möchte nun nicht mehr. Er sei ein kleiner Sänger, der nicht in die große weite Welt möchte. Er habe nicht die Kraft durchzustehen, was jetzt auf ihn zukommen würde. Interviews, das Gezerre von Menschen, die er nicht kennt, die ganzen Talking Heads, denen er jenseits seiner Musik offenbar nicht zu nah sein will.

Aus der schönen Show war in dieser Sekunde ein Spektakel geworden, keine TV-Abteilung hätte sich ein solches Drehbuch ausdenken können: zu unwahrscheinlich dieser Verlauf, zu bizarr die Momente von Wahrhaftigkeit, die ein junger Mann wie Andreas Kümmert blank in Millionen Haushalte transportierte. Er zog sich von dem zurück, wovon Tausende Sänger und Sängerinnen träumen: international unter Scheinwerfern zu stehen und zu gewinnen.

Kümmert gab eine Art Ehrlichkeit, die ihn würdigt – die ihn gleichwohl im Boulevard in Verruf gebracht hat. Schon vor Wochen, als der Name Andreas Kümmert durch den NDR publik wurde, mobbte es in den sozialen Medien, wie es denn sein könne, dass einer, der so gar nicht schick angezogen ist, für den ESC kandidieren dürfe. Das war typisches Genörgel von Pseudoschönen, die an der Figur Kümmert irre werden müssen, weil sie an ihm erkennen müssen, dass es auf Konfektionsmaße in Modemagazinen nicht ankommt.

Wortwechsel bei Konzert in Eppingen

Und jüngst berichtete die Bild von einer Anekdote aus der Provinz – Eppingen! -, in der Kümmert zum Konzert antrat und vom murmelnden, unkonzentrierten Publikum genervt war. So sehr, dass Kümmert, bekannt als feinnervig und interessiert an sauberem Gesang und seiner Rezeption, angeblich unflätig wurde. Die entsprechenden Erläuterungen sind nicht im Detail bekannt, die Mainpost berichtet, dass Kümmert provoziert wurde. Offenbar war in Eppingen etwas los ist, was Künstler und Künstlerinnen seit einigen Jahren mehr als nur nervt: Das Publikum hat sich vom anbetenden zum untertänig machenden Subjekt des Konzertwesens gemacht. Kümmerts Management jedenfalls untersagte ihm, fürsorglich, wie es zu sein hat, den Konsum von Texten über ihn im Internet: Er sollte nicht mit zerrütteten Nerven nach Hannover reisen.

Tatsächlich war ja Andreas Kümmert, dieser Sänger mit der Ausnahmestimme, wie das TV-Publikum wieder hören konnte, am Vortag nicht zu den Proben gekommen. Er sei krank, hieß es. Und war es auch. Fieber habe er. Der Wahrheit kommt im Hinblick auf die körperlichen Folgen vom Unwohlsein womöglich näher, wenn man die Tragödie dieses Sängers kühl nimmt: Er liebt das Singen, er liebt die Bühne – aber er schätzt nichts von dem, was jenseits der Scheinwerfer ist. Nicht die blöden Fragen, die desinteressierten Fragen, die Pseudofreundlichkeit des Showbiz selbst.

Schon beim Castingformat „The Voice“ auf Vox war er hinter den Kulissen als schwierig empfunden worden – was bedeutet: Er war kein Objekt, das man nach Belieben formen kann, streamen und marktförmig. Kümmert – der erkannte womöglich erst im schmalen Zeitkorridor zwischen Sieg und Bejahung desselben, dass für ihn die nächsten Wochen bis zum 23. Mai, dem ESC-Finale von Wien, zum Horrortrip werden würden, einem höchstpersönlichen, gepflastert mit einem Dämon, wie Sigi Schuller, sein künstlerischer Betreuer bei der Plattenfirma Universal, sagte.

Ann Sophie tritt an

Ann Sophie wird statt seiner nach Wien reisen. „Black Smoke“ ist ihr tadelloser, schwungvoller Titel, den die Chanteuse sehr eindrucksvoll performt. Bislang war die Hamburgerin als handwerklich astreine Showfrau bekannt, aber keine große Nummer in der Popszene. Als sie realisierte, dass Andreas Kümmert ihr auf der Bühne den Trip zum ESC schenkte, war sie gerührt.

Sie wirkte nicht mehr wie eine Entertainmentmaschine mit sehr großen Ambitionen für die Zukunft. Nahm also Kümmert in die Arme, was ein bisschen wie eine Trostgeste bei Mahnwachen aussah, aber das konnte als berührt, als echtes Mitgefühl durchgehen. Sie geht mit Sympathien in die weite Welt hinaus, nicht mit dem Gefühl, eigentlich nur Zweite geworden zu sein.

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29 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • DESINTERESSE

  • Habe durch den Artikel das erste Mal was von dem gehört und mir mal ein paar Youtubes von dem angesehen.

     

    Keine Ahnung, wie das Lied war von dem, aber sein äußeres Erscheinungsbild wäre wirklich eine Abwechslung zu den Kleiderständern wie Conchitta Wurst und Co., die da wohl sonst rumlaufen gewesen.

  • Ja so sind wir Franken nun mal. Der Welt zeigen was wir können ohne Geld und Korruption und dann trotzdem was großes draus machen. Umsonst wollten uns die Bayern ja nicht von Napoleon haben.

    Wir sind nun mal nicht für mittelmäßiges zu haben. Presse, Starrummel. Nervige Journalisten, weshalb spricht man die seit einigen Jahren eigentlich mit Tschur aus. Sind das genetische Sprachfehler?

  • Es können noch so viele rummaulen! Unser Andreas Kümmert bleibt Star in seiner Heimat Main Spessart! Andreas hat es bewiesen, dass Er bis ganz oben ins Showbiz kommen kann! Andreas Ausstieg aus dieser Showbiz-Scheinwelt war der größte Sieg des Siegers!

  • Er singt gern und das macht er offensichtlich auch recht gut, sonst hätte er wohl nicht gewonnen. Seine Bedenken sind begründet und für mich nachvollziehbar. Der Eiertanz ums goldene Kalb ist schon vielen Künstlern schlecht bekommen. Das Musikgeschäft ist durch und durch mafiös, weil es - wie im Fußball auch - um viel zu viel Geld geht - und nur darum. Frank Sinatra wurde damals von der Mafia gepusht, die darüber bestimmen konnte, wer in den Clubs auftreten durfte und wer nicht. Sinatra war nicht schlecht, aber es gab Hunderte, die besser waren als er, sich aber nicht auf diesen Pakt mit dem Teufel einließen.

  • "Als Barbara Schöneberger aber ihn schon verkündet hat, nahm sich Kümmert das Mikro und sagte, er möchte nun nicht mehr. Er sei ein kleiner Sänger, der nicht in die große weite Welt möchte. Er habe nicht die Kraft durchzustehen, was jetzt auf ihn zukommen würde. Interviews, das Gezerre von Menschen, die er nicht kennt, die ganzen Talking Heads, denen er jenseits seiner Musik offenbar nicht zu nah sein will." Auf welcher Party ist Feddersen denn gewesen? Keiner kennt die Gründe, nur einer hier anscheinend! Kümmert sagte auf der Bühne nur: ""Ich bin überwältigt von Euch allen, von Deutschland. Dafür, dass Ihr meine Musik toll findet, mich unterstützt habt." Aber, es sei so, dass er diese Wahl nicht annehmen werde. "Ich muss deshalb… Ich geb' meinen Titel an Ann Sophie." - "Ich bin nur ein kleiner Sänger."

  • Kümmert hat 4000 Jahre deutscher Kultur vernichtet.

    • @Friedrich Zoller:

      Nicht zu vergessen das Abendland, die arische Herrenrasse den pfälzer Saumagen und Nörnberscher Bratwörscht.

      ...Mein Gott, Friedrich...!

    • @Friedrich Zoller:

      Dieses armselige Spektakel ist es nicht wert, darüber zu diskutieren.

      Nicht mehr als eine primitive DSDS-Veranstaltung, auf der fast ausschließlich die englische Sprache dominiert - keine Vielfalt der Kulturen.

      Der "deutsche" Beitrag wird vermutlich wieder da landen, wo er auch hingehört - so um den 20.Platz herum.

    • @Friedrich Zoller:

      Wenn ein einfaches "Nein" bei einer Rummelveranstaltung reicht, die "deutsche Kultur" zu vernichten- dann "Kultur" keinen Schuß Pulver mehr wert :-)

  • Scheint ein ehrlicher Musik-Handwerker zu sein, der Herr Kümmert.

  • Auf jeden Fall hat er sich dadurch einen Namen gemacht. Ein Schelm, wer Böses denkt... :)

  • Sachen gibt´s....

  • Ich frage mich nur, warum Andreas Kümmert an diesem Wettbewerb überhaupt teilgenommen hat, wenn er ihn nicht gewinnen will? Für mich ist das nicht glaubwürdig, dass einer, der sowohl um seine Kunst und seine Fähigkeiten als auch die Mechanismen, die bei einem eventuellen Sieg greifen, weiß, dann zurücktritt, weil er befürchtet, dass ihm der Rummel zu viel wird. War das doch nur eine Promotion-Masche?

    • @HenryO:

      Vielleicht hat er ja erst nach und nach realisiert, wie schlimm die "Nebenwirkungen" wirklich sind. Und dann im letzten Moment die Notbremse gezogen.

       

      Ich finde es gut, dass einer, der gut ist und dem man keinen Neid vorwerfen kann, mal gezeigt hat, dass die Teilnahme an einem Spektakel bei dem die Musik nur noch Nebensache ist, nicht den Gipfel der Kunst darstellt.

  • Ein Frage bleibt. Wieso zum Teufel hat er da mitgemacht? Was mit dem ESC auf ihn zukommt, war kein Geheimnis. Es bleibt leider der üble Nachgeschmack, dass er diesen Wettbewerk als kostenlose Werbung missbraucht hat und von Anfang an keinen Bock auf den ESC hatte.

  • Schön, dass uns Herr Feddersen den gesamten Ablauf der Show noch mal nacherzählt: die gewöhnlichen TAZ-LeserInnen schalten ja die Glotze sofort aus, wenn der jährliche ESC-Zirkus mit seinen Hupfdohlen seinen Aufgalopp nimmt. Ich habe mir die letzten zwei Minuten angetan, in der eine "Chanteuse" mit viel zu großen künstlichen Zähnen einen "Song" trällerte, der noch nicht mal für die Muzac-Beträllerung in den deutschen Kaufhäusern in Frage kommt. Für Feddersen ein "eindrucksvoller, tadelloser, schwungvoller Titel". Liebe TAZ: Don't ya deal with Schlagerfuzzis no more!!!!

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Thea:

      Retortenmucke halt! Was will man vom ESC auch anderes erwarten?

  • Erstaunlich, dass jemand so oft und lange die TV-Öffentlichkeit sucht (und anscheinend bei ZWEI Casting-Shows mitmacht bis zum Schluss), um herauszufinden, dass der Zirkus nichts für ihn ist... Vielleicht ist es ja doch eher Aufmerksamkeitsheischen/ Promotion-Strategie als erfrischende Authentizität. Live hat er jedenfalls deutlich weniger zu seinem nichtantritt gesagt als Herr Feddersen offenbar hörte.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Endlich war bei dieser Veranstaltung mal wieder was los, was nicht nur "Schlaaand"-Rufe auslösen konnte. Lena war ja damals niedlich, traf aber keinen Ton. Kümmert trifft jeden Ton, ist dafür aber nicht wirklich niedlich.

     

    Schon seltsam, wie er jetzt merkt, dass er als Mensch mit Haltung einen Fehler gemacht hat - und zwar in dem Moment, in dem er sich willig dem Fernsehen hingab. Ich hoffe, dass er beim Zurückrudern schnell vorankommen kann.

    • @970 (Profil gelöscht):

      100% Zustimmung.

  • Ganz ehrlich. Wenn mir alles so Wurscht wäre wie das! Ist dieser Unsinn wirklich ein Artikel wert?

    • @ReinerBewersdorff:

      Sie haben ihn gelesen, Sie schreiben dazu einen Kommentar. Ganz ehrlich ist anders.

    • @ReinerBewersdorff:

      sie haben den Artikel gelesen und sich sogar zu einem Kommentar hinreißen lassen.

       

      so unwichtig ist es also nicht, oder kommentieren sie auch Artikel zur usbekischen Handballmannschaft?

  • Wenn Andreas Kümmert eine solch aussergewöhnliche Stimme hat, braucht er keinen Songcontest um seinen Weg zu gehen. Wohlgemerkt seinen und nicht den der Unterhaltungsindustrie. Ich denke auch, es geht nicht darum, das man sich etwas gewachsen fühlt oder nicht, sondern ein Mensch mit einer solchen Stimme lebt auch von seinem Instinkt und seinem Gefühl, wo er der Stimme Leben gibt und wo nicht. Von da her mein Respekt dem "Bruder im Gesang" Herr Kümmert.

  • Ein Ausnahmetalent mit einer unvergleichlichen Stimme der in seinem Auftritt an Joe Cocker erinnert. Er hätte echte Chancen auf den Sieg in Wien gehabt. Aber man muss respektieren, dass er sich dem vor ihm liegenden nicht gewachsen fühlt. Trotzdem Respekt für eine perfekte Leistung!

    • @M. W. Fiedler:

      Wir der "Sieg" mittlerweile nicht politisch vergeben?

       

      Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass jenes Land gewinnt, das einfach "mal wieder gewinnen muss". Deutschland war hier ja ein prominentes Beispiel.

  • Zwei Tippfehler i. 4. Absatz: "amateurheft" (...) "stylishen"

    • @JadotA:

      Ossi?