Europäische Union in der Pandemie: Europa ohne Plan
Trotz der akuten Pandemielage tut sich die EU schwer, angemessen auf die Krise zu reagieren: Klare Ansagen und einheitliche Regeln fehlen.
Doch die Europäische Union tut sich wie schon zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 schwer, angemessen zu reagieren. Europa stolpert in die vierte Welle, neue Notmaßnahmen und alte EU-Versprechen wollen nicht mehr zusammenpassen. Das Europaparlament probt deshalb den Aufstand.
Parlamentspräsident David Sassoli wollte die 705 Abgeordneten aus dem Homeoffice holen und zur Präsenzpflicht zurückkehren. Die Plenartagung in der kommenden Woche in Straßburg solle wieder wie gewohnt „physisch“ stattfinden, kündigte Sassoli an. Dank der Corona-Impfung und umfassender Kontrollen könne das Parlament endlich wieder normal tagen.
Doch der Italiener hatte die Rechnung ohne seine Kollegen aus den Krisenländern gemacht. 180 Abgeordnete aller Fraktionen unterschrieben einen Brandbrief, in dem sie eine Rückkehr zu strengeren Coronamaßnahmen und die Rücknahme der Präsenzpflicht fordern. „Es wäre absolut unvernünftig, mitten in der vierten Welle ein politisches Superspreader-Event in Straßburg abzuhalten“, sagt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund der taz. Sassoli habe sich verrannt und müsse einlenken.
Eine gemeinsame Strategie ist nicht zu erkennen
Der Protest zeigt Wirkung: Ab Montag tagen die Abgeordneten in Straßburg wieder im „hybriden Modus“, Abstimmungen können online abgehalten werden. Er habe die Sorgen vieler Parlamentarier vernommen, erklärte Sassoli nach seinem Rückzieher. Die pandemische Lage habe sich verschlechtert, darauf müsse man reagieren.
Doch dass es erst eine Revolte der Abgeordneten brauchte, zeigt, wie schlecht das Europaparlament vorbereitet war. Nicht viel besser sieht es in der EU-Kommission aus. Behördenchefin Ursula von der Leyen behauptet immer noch, die europäische Impfkampagne sei ein voller Erfolg; neue Maßnahmen hat sie bisher nicht angekündigt. „Impfen, impfen, impfen“ – das ist alles, was man aus der Brüsseler Behörde hört. Die Impfquote von 70 Prozent der Erwachsenen, die von der Leyen schon im Sommer gefeiert hatte, reicht offenbar nicht mehr aus. Doch eine neue, höhere Zielmarke hat sie bisher nicht vorgegeben. Auch zur Boosterimpfung gibt es keine klare Ansage.
Die EU-Kommission verweist auf die Experten von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – doch die bleiben vage. Eine Auffrischung mit den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna könne „erwogen werden“, heißt es in der letzten EMA-Empfehlung vom 25. Oktober. Allerdings erst „mindestens sechs Monate“ nach der zweiten Dosis.
Ein Aufruf zum „Boostern für alle“ ist das nicht. Die EMA ist vorsichtiger als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der die Boosterimpfung schon nach fünf Monaten möglich machen will. Spannungen gibt es auch um die Impfung für Kinder. Spahn will damit vor Weihnachten beginnen – doch die EU hat bisher nicht einmal die Zulassung erteilt. Sie könnte am 24. November kommen, heißt es in Berlin – eine Bestätigung aus Brüssel steht noch aus.
Deutschland drängelt, die EU zögert, eine gemeinsame Strategie im „Team Europa“ ist nicht zu erkennen. Dabei war 2020 eine enge EU-Koordinierung vereinbart worden. Sie funktioniert immer noch nicht, wie sich auch beim europäischen Impfausweis zeigt. Österreich und Frankreich wollen Impfungen nur noch dann anerkennen, wenn sie nicht allzu lange zurückliegen. Für einige Gruppen soll schon nach sechs Monaten Schluss sein. Paris und Wien wollen damit das Boostern erzwingen. Für Brüssel ist das ein Problem. Freies Reisen ist nämlich nur dann möglich, wenn für das Impfzertifikat einheitliche Regeln in ganz Europa gelten. Die sind nun in Gefahr, die EU-Kommission muss auch hier nachbessern.
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