Spitzenposten in der EU: Kungelei bis zur letzten Minute

Eine Abtreibungsgegnerin soll EU-Parlamentspräsidentin werden. Das würde die Machtbalance zugunsten der Konservativen verschieben.

Roberta Metsola steht am Rednerpult

Roberta Metsola aus Malta soll neue EU-Parlamentspräsidentin werden Foto: Alexey Vitvitsky/imago

Brüssel taz | Alle zweieinhalb Jahre wechselt das Europaparlament seine Führung aus. So haben es die großen Fraktionen aus konservativer EVP und sozialdemokratischer S&D vereinbart. Doch was eine Routineübung sein sollte, gerät zum Politikum: Ein neues, schwarz-gelbes Bündnis will eine erklärte Abtreibungsgegnerin an die EU-Spitze bringen.

Roberta Metsola heißt die Kandidatin für die Nachfolge von Parlamentspräsident David Sassoli, der am vergangenen Dienstag überraschend gestorben war. Die 42-jährige konservative Politikerin aus Malta wurde auf Druck der deutschen Abgeordneten aus CDU und CSU aufs Schild gehoben. Ihre Wahl am Dienstag gilt als sicher.

Grüne, Linke und Rechtskonservative haben zwar eigene Kandidaten aufgestellt. Sie wolle „Hand in Hand mit den Bürgern eine nachhaltige und inklusive Zukunft“ aufbauen, sagte die schwedische Grüne Alice Bah Kuhnke. Ihr werden jedoch ebenso wenig Chancen eingeräumt wie der Spanierin Sira Rego (Linke) oder dem Polen Kosma Zlotowski (EKR).

Den Ton im Parlament geben die drei großen Fraktionen von EVP, S&D und Renew (Liberale) an. Wie in Straßburg üblich, kungeln sie hinter verschlossenen Türen die wichtigsten Posten aus. Diesmal kommt den Hinterzimmergesprächen allerdings eine besondere Bedeutung zu – denn sie könnten einen Rechtsruck in der gesamten EU einläuten.

EVP könnte künftig dominante Stellung einnehmen

Es geht nicht nur um Metsola, die sich in einem Bewerbungsvideo auf Twitter als treu sorgende Hausfrau und Mutter präsentiert. Ins Rutschen kommt auch die Machtbalance in den EU-Institutionen. Bisher haben sich Konservative, Sozialdemokraten und Liberale die Führung in EU-Kommission, Parlament und Rat untereinander aufgeteilt.

Künftig könnte die konservative EVP jedoch eine dominierende Stellung einnehmen: Mit Metsola an der Spitze des Parlaments, Ursula von der Leyen (CDU) als Chefin der Kommission sowie weniger bekannten EVP- und CDU-Politikern in Einrichtungen wie dem Rechnungshof, dem Euro-Stabilitätsfonds oder diversen EU-Agenturen.

Nur der Rat, die Vertretung der Mitgliedsstaaten, würde künftig noch von einem Liberalen – dem Belgier Charles Michel – geführt. Um diesen „Durchmarsch“ zu schaffen, sind die Konservativen jedoch auf Verbündete angewiesen. Bisher waren das die Sozialdemokraten – eine große Koalition hat jahrzehntelang die Geschicke der EU bestimmt.

Doch nun bahnt sich ein Machtwechsel an: mit einem schwarz-gelben Bündnis unter Führung der EVP und ihres Fraktionschefs Manfred Weber (CSU). „Unser wichtigster Partner ist Renew“, heißt es in der größten, konservativen Parlamentsfraktion. Bei der Entscheidung für Metsola hätten die Liberalen bereits den Ausschlag gegeben.

Liberale und Sozialdemokraten wollen Gegenleistung

Eine indirekte Bestätigung kommt von den Sozialdemokraten. „Wir haben Alternativen geprüft, doch die Liberalen wollten nicht“, sagt der Chef der SPD-Gruppe, Jens Geier. Deshalb sei Metsola nun die einzige ernstzunehmende Kandidatin für die Leitung des Parlaments.

Ihre Zustimmung wollen sich die Sozialdemokraten nun teuer bezahlen lassen. Im Gespräch ist nicht nur die Ablösung von Klaus Welle (CDU), der die Parlamentsarbeit bereits seit 2009 als Generalsekretär organisiert. Die Genossen wollen sich auch andere Posten sichern – zum Beispiel fünf von den insgesamt 14 Vizepräsidenten. Doch auch die Liberalen fordern einen Preis für Metsolas Wahl. In Straßburg wird daher mit einem Postengeschacher bis zur letzten Minute gerechnet.

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