Europäische Union im Jahr 2020: Club der Egoisten
Der deutsche EU-Vorsitz hat Europa nicht aus der Krise geholt. Im Gegenteil: Es ist alles nur noch schlimmer geworden.
B rexit, Corona, der Streit ums Geld: 2020 war kein leichtes Jahr für die Europäische Union. Zum ersten Mal hat die EU ein großes Mitgliedsland verloren, zum ersten Mal musste sie einer brutalen Pandemie trotzen – und zum ersten Mal hat sie in großem Stil Schulden aufgenommen, um die Folgen der Coronakrise zu bewältigen.
Schon im Frühjahr sah es so aus, als könne die EU an diesen Herausforderungen scheitern. Jeder machte, was er wollte, Egoismus und Gesundheitsegoismus griffen wie das Virus um sich. Auch Deutschland war dagegen nicht immun. Dass Berlin die Grenzen schloss und Nothilfe verweigerte, haben viele Europäer bis heute nicht vergessen.
Unter deutschem EU-Vorsitz sollte dann alles besser werden. Als es im Juli losging, versprach Kanzlerin Angela Merkel, die Brexitwunde zu heilen und die Schäden der Pandemie zu beheben. Es war ein frommer Wunsch, wie wir heute wissen.
Kurz vor Ende der deutschen Präsidentschaft am 31. Dezember ist die EU alles andere als stark. Selbst der European Green Deal, der schon beschlossene Sache schien, ist noch nicht in trockenen Tüchern. Bisher haben sich die EU-Staaten nicht einmal auf ein Klimaziel für 2030 geeinigt. Beim Gipfel in der kommenden Woche droht ein Debakel.
Wie konnte es so weit kommen? In Berlin und Brüssel verweist man gern auf die Populisten und Nationalisten. Der unberechenbare britische Premier Boris Johnson, der rechtspopulistische ungarische Regierungschef Viktor Orbán und sein nationalistischer polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki sollen schuld an der Misere sein. Das sind sie auch. Doch die drei Egoisten sind nicht allein. Die Frugal Four, die geizigen Vier, sind keinen Deut besser. Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden hätten den entscheidenden EU-Budgetgipfel im Juli um ein Haar platzen lassen. Am Ende haben sie sich – genau wie Deutschland – noch saftige Rabatte auf ihren EU-Beitrag gesichert.
Spuren hinterlassen
Auch diese Episode hat Spuren hinterlassen. Denn die Hardliner auf allen Seiten verhindern nun einen Kompromiss im Streit über das EU-Budget und den Rechtsstaat. Orbán und Morawiecki haben ein Veto eingelegt, was viele als Erpressung empfinden. Doch der niederländische Premier Mark Rutte blockiert auch; er will keine Abstriche am Rechtsstaat machen.
In dieser verzwickten Lage kommt es – wie so oft – auf Merkel an. Auch die Krisenkanzlerin macht keine gute Figur. Alle heiklen Fragen hat sie von ihrem EU-Botschafter in Brüssel aushandeln lassen, Merkel hielt sich im Hintergrund. Nicht einmal zu Gesprächen mit dem Europaparlament war sie bereit.
Im Streit mit Ungarn und Polen spielt Merkel auf Zeit. Statt sich laut vernehmlich für die Rechtsstaatsklausel einzusetzen, setzt sie auf Geheimdiplomatie. Die EU-Kommission in Brüssel darf die „Folterwerkzeuge“ vorzeigen, also Budgetkürzungen und einen Ausschluss der Neinsager vom Corona-Hilfsfonds. Merkel schweigt.
Vielleicht geht die Taktik der Kanzlerin ja auf, vielleicht einigt man sich doch noch in letzter Minute. Ende gut, alles gut, wird es dann in Berlin heißen. Doch gar nichts ist gut. Die EU ist – das hat dieses katastrophale Jahr gezeigt – in einem desolaten Zustand. Und der deutsche Ratsvorsitz hat es nicht besser gemacht.
Das EU-Budget bleibt auf Kante genäht, für viele wichtige Aufgaben wie Gesundheit und Forschung steht nicht genug Geld zur Verfügung. Die ersten Finanzhilfen aus dem Coronafonds dürften erst im Sommer 2021 fließen – viel zu spät, um die zweite Rezession zu bekämpfen, in die halb Europa gerade rutscht. Zudem enden die Coronahilfen schon nach drei Jahren – zu früh, um die Wunden heilen zu können.
Die EU hat in diesem tragischen Jahr ihr wahres Gesicht gezeigt: Sie ist und bleibt ein Club der Egoisten. Nicht einmal der deutsche Vorsitz hat daran viel geändert. Die frommen Wünsche aus Berlin haben ihre Wirkung verfehlt.
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