Europa und die Coronakrise: Moral? Nein danke
Der EU-Gipfel ist gescheitert, weil die reichen Staaten Ökonomie und Moral verwechseln. Die Deutschen verpassen damit das beste Geschäft ihres Lebens.
D ie Dänen, Schweden und Niederländer sind kompromisslos klar, wenn es um die Coronakrise geht: Sie haben selbst genug Probleme, da können sie nicht noch anderen EU-Ländern helfen. Solidarität? Nein danke.
Kanzlerin Merkel äußert sich zwar weniger klar und typisch verschwurbelt, aber auch sie will anderen Ländern nur sehr begrenzt und widerwillig Hilfe gewähren. Ihr Ansatz ist politisch: Deutschland soll nicht gänzlich herzlos wirken; also müssen ein paar Milliarden wohl fließen.
Der EU-Gipfel hat damit erneut gezeigt, woran die Coronadebatte krankt: Statt rein ökonomisch zu denken, wird moralisch argumentiert. Es geht um „Solidarität“, um „Hilfen“, um den Gegensatz von „Arm“ und „Reich“. Zudem werden Schulden schnell mit Schuld verwechselt: Wer Hilfskredite benötigt, muss als Staat irgendwie gesündigt haben. Sonst bräuchte er ja keine Hilfe. Die Gläubiger haben recht, weil sie den rechten Glauben verkörpern.
Doch Moral führt völlig in die Irre, wenn es um Wirtschaft geht – wie als Erster ausgerechnet der Moralphilosoph Adam Smith erkannte, der dann als einer der größten Ökonomen aller Zeiten in die Geschichte einging. Smith gilt heute als Urvater der Neoliberalen, aber das ist ein Missverständnis: Smith war viel zu intelligent, als dass er sich auf die platten Rezepte der Neoliberalen reduzieren ließe.
Falsch verstandener Wettbewerb
Der Schotte Smith lebte im 18. Jahrhundert, und schon damals hingen viele Briten der Idee an, dass die Nationen miteinander im „Wettbewerb“ stünden und dass es den starken Ländern egal sein könne, ob ihre Nachbarn arm sind. Smith hatte für diesen Unsinn nur beißenden Spott übrig: „Eine Nation, die durch den Außenhandel reich werden will, kann dies am ehesten erreichen, wenn auch ihre Nachbarn reiche und betriebsame Handelsnationen sind.“ Es sei völlig unmöglich. zu exportieren, wenn man „auf allen Seiten von wilden Nomaden und armen Barbaren umgeben“ sei.
Wer seine Nachbarn darben lässt – der darbt auch selbst. Dies ist keine abstrakte Erkenntnis oder ein hübscher Spruch fürs Poesiealbum, sondern bittere Realität, wie die Bundesrepublik in der Eurokrise erfahren musste. 2012 und 2013 wuchs die deutsche Wirtschaft nur um jeweils magere 0,4 Prozent, weil der europäische Süden als Kunde ausfiel. Es rächte sich bitter, auch für die Deutschen, dass sie darauf bestanden hatten, große Wirtschaftsnationen wie Italien oder Spanien zu behandeln, als wären sie potenzielle Pleitekandidaten.
Fehler wie bei der Finanzkrise
Jetzt wird dieser Fehler wiederholt, obwohl 35 Prozent der deutschen Exporte in den Euroraum gehen. Für die hiesige Wirtschaft dürfte es daher demnächst sehr unerfreulich werden, wie der Rückblick zeigt: 2012 schrumpfte die italienische Wirtschaft um „nur“ 2,8 Prozent, was aber reichte, um auch Deutschland an der Rezession vorbeischrammen zu lassen. Die Coronapandemie ist jedoch weitaus schlimmer als die Eurokrise. Die italienische Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um mindestens 9 Prozent einbrechen, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt. Die deutschen Exporteure können sich also auf harte Zeiten einstellen.
Niederländer, Dänen, Finnen und Deutsche erzeugen gern den Eindruck, als sei das Geld knapp. Der eigene Haushalt sei schon sehr angespannt, ließ die dänische Ministerpräsidentin kühl wissen. Ein europäisches Hilfsprogramm könne man sich daher nicht leisten.
Doch dieser Zwang zur Sparsamkeit ist reine Fiktion. Das nötige Geld ließe sich mühelos mobilisieren, wenn die Europäer gemeinsame Kredite aufnehmen würden. Diese Coronabonds würden auch gar nichts kosten, schon gar kein Steuergeld. Denn die Zinsen lägen tendenziell bei null. Selbst deutsche Neoliberale werben daher für Coronabonds.
Die Deutschen lassen sich gerade das Geschäft ihres Lebens entgehen: Wenn sie dem Süden Europas „helfen“, helfen sie sich selbst. Und es wäre sogar umsonst!
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