Essay zur europäischen Bürgerschaft: Herzblut für die Demokratie
Europa driftet immer weiter nach rechts – und es herrscht Politikverdrossenheit. Warum wir einen Aktionsplan für die Bürger brauchen.
Viele Reden sind geschwungen worden, um den schlechten Gesundheitszustand der EU zu diagnostizieren und Rezepte zur Behandlung auszustellen. Doch Worte konnten nur wenig bewirken: Die EU ist wie ein Patient, der die Krankheit nicht annehmen will, von der Arznei ganz zu schweigen. Und je schlimmer die Krankheit, desto weniger effektiv sind konventionelle Heilmittel, nicht zuletzt, weil sie eine Weile brauchen, um zu wirken – doch die Zeit läuft der EU inzwischen davon.
Tatsächlich ist es vielleicht schon so weit, dass die Medizin den Zustand nur noch verschlimmert. Das lässt die allergische Reaktion vieler Bürger auf die Aussicht eines repräsentativen EU-Parlaments vermuten, das mit gleichem Stimmrecht gewählt und mit vollem Gesetzgebungsrecht ausgestattet ist. Alles, was sie in solchen Plänen erkennen können, ist „mehr Europa“ – im Sinne von mehr für Europa (das heißt: für die anderen), aber nicht für mich.
„Mehr für dich“ verheißen Populisten derzeit: mehr Kontrolle, mehr Sicherheit, Jobs, Unabhängigkeit, Wohlstand, Macht. Diesen Boden muss die EU dringend zurückgewinnen, indem sie den märchenhaften Versprechungen der Populisten ein paar fabelhafte eigene Angebote entgegenhält.
Was ist zu tun? In einem Wort: DEMOS. Der EU-Kreislauf braucht eine Infusion gewöhnlicher Bürger – das Herzblut der Demokratie. Der Demos wird immer wieder von Demagogen beschworen, die behaupten, für die einfachen Leute – und zu ihnen – zu sprechen, doch ihre Definition „der Leute“ ist vage und stets ausgrenzend. Es gilt, die Idee des Demos als vielgestaltigen und offenen Körper zu restituieren, und die EU muss sich dieser Aufgabe annehmen, denn allein durch die Wiederbelebung eines Demos kann sie sich selbst kurieren. Der altgriechische Begriff trägt ein kurzes Alphabet in sich, das im Englischen einen Aktionsplan buchstabiert:
Democracy / Demoratie
European Days / Europatage
Message / Botschaft
Others – European Green Card Lottery / Andere – Europäische Greencard-Lotterie
Social (and Military) Service / Zivil-(und Militär-)dienst
Der DEMOS-Plan geht davon aus, dass zentrale Brüsseler Einrichtungen demokratischer werden müssen und dass die EU-Politik künftig weniger unternehmerischen und nationalen Interessen verpflichtet sein darf als vielmehr den Interessen aller Bürger. Dementsprechend führt der Plan weitere Wege aus, umgehend ein stärkeres Band zwischen der EU und jedem einzelnen Bürger zu knüpfen.
Die Europatage: fünf Feiertage zwischen dem 5. und 9. Mai, die in allen Mitgliedstaaten erstmals 2017 begangen werden. Mitten im Frühling, während die Natur sich erneuert, bekommt auch Europa die Chance zur Verjüngungskur. Während dieser Zeit ist der öffentliche Verkehr zwischen den EU-Ländern kostenlos, Hotels bieten vergünstigte Preise an und mehrere öffentliche Einrichtungen laden zu Tagen der offenen Tür ein. Überall finden europabezogene Straßenfeste statt, Diskussionen, Lesungen, Spiele, Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Filmvorführungen – kostenlose interkulturelle Aktivitäten, bei denen man erfahren und überlegen kann, was es heißt, Europäer zu sein.
Was heißt es, Europäer zu sein?
Das ist nicht zu bezahlen! Wirklich? Kann eine Organisation, die Milliarden für die Rettung von Banken ausgibt, ihr Geldsäckel nicht öffnen, um in die eigenen Bürger zu investieren, insbesondere, wenn die Kosten, es nicht zu tun, möglicherweise den eigenen Untergang bedeuten?
Das ist Bestechung! Zugegeben, gewissermaßen ist es das. Doch jahrzehntelang hat die Union mit allen möglichen Fördermitteln und Sonderbestimmungen Anreize für die Wirtschaft geschaffen – warum nicht den eigenen Bürgern ein Löffelchen Zucker anbieten?
Es schadet der Wirtschaft! Schon viel zu lange wurde die Politik bestimmt von dem, was „gut für die Wirtschaft“ ist – im Irrglauben, früher oder später erwachse daraus ganz von selbst „Gutes (Güter) für alle“. Die Europatage würden einen ungemein mutigen Schritt der EU weg vom neoliberalen Paradigma bedeuten, hin zur Privilegierung anderer Arten von „Wachstum“. Solche Feiertage schenken allen Bürgern einen beträchtlichen Batzen der wertvollsten Ware überhaupt – Zeit. Diese zusätzliche Freizeit hat das Potenzial, tiefgreifende persönliche und gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen.
Von welchem Raum reden wir?
Ein Eingriff wie die Europatage mit dem dazugehörigen Verreisen, Vermischen und Treffen der Menschen wird nach und nach – und das hat die Union bislang auf spektakuläre Weise versäumt – ein echtes Gemeinwesen schaffen, einen bewussten Demos, bestehend aus unzähligen Poleis. Es wird den irregeleiteten nationalistischen Impuls zerstreuen, der momentan überall auf so beunruhigende Weise stärker wird.
Das Zusammentreffen von Menschen in verschiedenen Konstellationen und an verschiedenen Orten bekräftigt Hannah Arendts prägnante Prämisse, die Polis – und das lässt sich auf den Demos übertragen – sei „nicht die Stadt im Sinne ihrer geographischen Lokalisierbarkeit, sie ist vielmehr die Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinanderhandeln und -sprechen ergibt; ihr wirklicher Raum liegt zwischen denen, die um dieses Miteinander willen zusammenleben, unabhängig davon, wo sie gerade sind“.
Zwei Europatage bestehen bereits: der 5. Mai für den Europarat und der 9. Mai für die EU. Beide gelten als „Symbol“ der Union, ebenso wie die Flagge, die Hymne, das Motto und der Euro. Doch im Großen und Ganzen kommen beide momentan über Tage der offenen Tür in ein paar Brüsseler Institutionen und einen Plakatwettbewerb, an dem eine Handvoll SchülerInnen teilnehmen, nicht hinaus. Was für eine vertane Chance! Mit beiden Feiertagen als Klammer einer fünftägigen Festwoche würde die EU ein nicht zu übersehendes Symbol schaffen, das jeder für sich mit Bedeutung füllen kann.
Im Angesicht des Neofaschismus
Trotzdem – man kann doch keine Feiertage aus dem Nichts schaffen! Das ist rechtlich unmöglich! Dabei legen Regierungen regelmäßig öffentliche Trauertage fest. Und mehr noch, immer rascher rufen sie „Ausnahmezustände“ aus und hebeln im Namen der nationalen Sicherheit die üblichen Gesetze aus, um das Gemeinwohl zu schützen, wie etwa Frankreich nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris und Nizza. Dass das Land auch Monate später in diesem Zustand verharrt, ist nur ein Beispiel für Walter Benjamins vor Jahrzehnten gemachte Beobachtung – Giorgio Agamben hat sie in jüngerer Zeit weiter ausgeführt –, dass in modernen Demokratien der Ausnahmezustand die Regel geworden sei.
„Wir müssen“, so Benjamin, „zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.“ Es ist wieder einmal ein kritischer Augenblick für Europa, das sich gegen eine Art Neofaschismus zur Wehr setzen muss. Ein wahrer Ausnahmezustand – in radikaler Abweichung von den Beschränkungen und Auflagen, die damit üblicherweise einhergehen – würde eine Zeitspanne schaffen, in der neue, den Status quo verändernde Möglichkeiten entstehen können.
Ist es möglich, die Europatage ins Leben zu rufen, ist der restliche DEMOS-Plan ebenfalls machbar. Dazu gehört die Schaffung eines Europadienstes, einem EU-weiten Äquivalents zum nationalen Zivildienst. Alle Bürger zwischen 18 und 25 Jahren werden gut dafür bezahlt, dass sie ein oder zwei Jahre in mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten leben, soziale Aufgaben übernehmen und europäische Sprachen lernen.
Für die Jüngeren ist der Dienst verpflichtend, doch Bürger jeden Alters können sich für den einjährigen Dienst bewerben. Mit Blick auf das erstarkende Interesse an einer Europäischen Armee angesichts der unsicheren Zukunft der NATO spricht auch viel für eine freiwillige militärische Variante des Europadienstes. All dies baut auf dem Geist der Europatage auf, die Bindung zur EU zu stärken und eine gemeinsame europäische Perspektive zu kultivieren, die für den Erhalt der Union entscheidend ist.
Im realen Raum gibt es wenig Handlungsmöglichkeit
Menschen jeder politischen Haltung fühlen sich entfremdet, weil es für sie nur wenige Gelegenheiten gibt – von Wahlen und Demonstrationen abgesehen –, sich an politischen Diskursen und Prozessen zu beteiligen oder sie gar zu beeinflussen. Viele versuchen, dieses Bedürfnis in der virtuellen Welt zu befriedigen, insbesondere in den sozialen Medien, die in einem gewissen Maße die Aufgabe der Polis übernommen haben, „die Chancen zu organisieren, unter denen ein jeder sich auszeichnen und in Wort oder Tat zur Schau stellen konnte, wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war“. Doch ohne Gegenpart im realen Raum bleibt die Bestätigung in den sozialen Medien ungenügend. Das zeigt sich anhand der fortwährenden Unzufriedenheit der meisten Nutzer, die sich auf sie als wichtigste Informationsquelle und Ausdrucksplattform verlassen.
Die Unzulänglichkeit des Mediums offenbart sich auch in der Sprache, die es mehr und mehr hervorbringt: die Rhetorik der Frustration und Übertreibung, der Beleidigung und des Hasses. Zudem straft das Potenzial des Internets, die Wirklichkeit zu verdrehen und Daten zu manipulieren – Fake News und ihre Verbreitung durch Bots, die menschliche Aktivität nachahmen, zeigen es nur zu deutlich –, seine Verheißungen von mehr Freiheit und Gleichheit Lügen. Wenn die Demokratie wieder aufblühen soll, muss die Hegemonie des Internets als alternativer Ort der Öffentlichkeit durch die Schaffung von realen Orten und Gelegenheiten, andere Menschen zu treffen, herausgefordet werden.
Größere Solidarität untereinander ist das eine. Zudem müssen Europäer noch offener denjenigen gegenüber werden, die aus Nicht-EU-Ländern zu uns kommen. Eine menschlichere gemeinsame Antwort auf Zwangsmigration ist in weiter Ferne, und dennoch müssen wir – aufgrund von Klimawandel, demografischen Spannungen, internationalem Terrorismus und ökonomischer Ungleichheit – damit rechnen, dass die Zahlen derjenigen, die zur Flucht getrieben werden, weiter steigen werden und dass immer mehr Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben alles riskieren werden.
Nicht nur muss das Recht auf politisches Asyl hochgehalten werden, wir müssen auch auf all jene Menschen in weniger stabilen oder wohlhabenden Ländern zugehen, die wie wir in Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden leben möchten. Zum Beispiel mit einer europäischen Greencard-Lotterie, die dem US-amerikanischen Modell nachempfunden ist. Menschen aus aller Welt bewerben sich und die EU vergibt jährlich 100.000 Visa an Einwohner von Ländern, aus denen ansonsten wenige Menschen zu uns auswandern. Ein vorab ausgehandeltes Quotensystem verteilt die Neuankömmlinge auf ganz Europa. Eine solche Regelung wäre anderen gegenüber fair, und die Mitgliedstaaten hätten die Möglichkeit, die Bewerber zu überprüfen und eine reibungslose Übersiedelung vorzubereiten.
Eine Zeitung für die EU
Der DEMOS-Plan sollte von einer mutigen PR-Kampagne begleitet werden, die zunächst die Ziele erläutert und später Resultate zusammenfasst. An dieser Stelle kommt der mittlere Buchstabe des DEMOS-Alphabets ins Spiel: message, Botschaft. Die Bürger mithilfe von Werbung zu informieren, ist legitim und notwendig. Neben der Nutzung sämtlicher Medien sollte die EU ihre eigene Zeitung gründen, die ähnlich wie die New York Times als wöchentliche (und übersetzte) Beilage in mehreren europäischen Zeitungen erscheint. So könnte sich die EU geschlossener in einem Medienlabyrinth behaupten, in dem nationale Agenden dominieren und vorsätzlich Zerrbilder verbreitet werden.
DEMOS. Eine Europäische Union der Menschen, eine Demokratie, die nicht rein repräsentativ ist, sondern auf vielen Ebenen partizipativ. Nur ein aktiver Demos kann der EU neues Leben und Bedeutung einhauchen.
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender
Leser*innenkommentare
Yoven
Wie wäre es mit 2 relativ simplen Schritten:
1. tatsächliche Demokratie (kein "Die EU-Verfassung kommt eh, egal ob und wie die Menschen abstimmen!")
2. tatsächlicher Rechtsstaat in dem sich alle an die Gesetze und Regeln halten und nicht nur dann wenn es gerade passt (wegen Wirtschaftswachstum, Flüchtlingen, etc)
Das kostet so direkt gar nichts (außer viel Überwindung) und würde tiefer an die Wurzel des Problems gehen als die oberflächliche Kosmetik im Artikel.
P.S: Bei der Zeitung musste ich lachen. Wir wissen ja alle was für ein Sympathie-Träger der ör ist - gerade unter Wutbürgern&Co
Thiemo4
"Europa driftet immer mehr nach rechts" ist höchstens die halbe Wahrheit, weil z.B. Grillo sich nicht als rechts sehen würde. Auch Tsipras, der in einer Rechtsnationalen Koalition ist, würde sich mit Recht dagegen wehren rechts zu sein.
Richtiger wäre, dass in Europa immer mehr die Extreme zur Geltung kommen: rechts, links, aber vor allem populistisch.
rundum
Was ist dann aus diesem ziemlich geilen, erst neulich vorgeschlagenen Idee geworden, jungen EU-Bürger einen kostenlosen Interrail-Ticket zu verschenken?
insLot
Ich wollte zur Einführung des Euros als Bürger direkt gefragt werden! Fehlanzeige, die Politik wusste es besser. Nun stehen wir alle vor einem riesigen Scherbenhaufen und dürfen den Mist den unsere politische Elite angerichtet hat bezahlen.
Ich wäre auch gern zur EU-Verfassung direkt befragt worden. Wie konnte sich der Bundestag anmaßen darüber über die Köpfe der Bürger hinweg zu entscheiden? Gut dass Bürgern anderer Länder mehr Rechte zustehen und das ganze letztlich gekippt wurde. Aber warum nur einigen wenigen und nicht allen Bürgern der EU?
Dazu noch die Freihandelspolitik usw. Ich will ehrlich sein, ich lehne die EU ab und ich halte sie so auch nicht für im geringsten reformierbar. Das ist bedauerlich.
Und Juncker ist eine katastrophale Wahl für einen Kommissionsvorsitzenden. Jemand der den innereuropäischen Steuerwettbewerb mit befeuert hat. Asozialer geht es ja schon nicht mehr.
Jede Reform die nicht auch die Auflösung der Kommission vorsieht und das Parlament an erste Stelle stellt ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht.
mowgli
Das Entscheidende am Demos war seinerzeit, dass das "Staatsvolk" gleichberechtigt an allen politischen Entscheidungsprozessen mitgewirkt hat. Dass diese Mitwirkung nötig ist, war eine Erkenntnis aus Jahren der Tyrannei. Wie sie umgesetzt wurde, kann man unter dem Stichwort "kleisthenische Reformen" nachlesen im Lexikon.
Zugegeben: Unter aktuellen Bedingungen wird es nicht einfach werden, neue "Phyle" als Basis für die Demen zu installieren. "Sippen", wie die, die um 500 vor Christus in Athen Basis der Gemeinschaft waren, gibt es heute kaum noch. Auch viele Familien sind heillos zerstritten und könnten sich unmöglich auf jemanden einigen, der sie in der Öffentlichkeit vertreten soll. Das gleiche gilt für Sportfreunde, Kollegen oder Chormitglieder. Und dass das Los entscheidet, wer seinen Demos anschließend zu vertreten hat im Rat der Fünfhundert, werden manche Menschen (darunter viele EU-Abgeordnete) sicherlich nicht ohne Weiteres hinnehmen wollen.
Es ist einfach zu wenig Vertrauen unter den Menschen heutzutage. Vor allem, wenn es um dringliche politische Entscheidungen geht. Ein zusätzlicher Feiertag wird daran kaum was ändern. Es sei denn, er ist tatsächlich mit einer Pflicht verbunden. Und zwar mit der, sich einzulassen auf Andere. Wer nur im engsten Kreis zu Bier und Bratwurst seine eigne Meinung vorgekaut bekommt an einem EU-weiten neuen Feiertag, wird davon auch kein mündiger EU-Bürger werden.
Käptn Olgi
Warum wird dauernd "Europa" mit EU(-Bürokratie, Kommission), Europarat, Europaparlament und Euro und vermischt und gleichgesetzt?
Läufer
Um Europa vor dem Abdriften nach rechts zu bewahren, dürfte es schon etwas mehr brauchen als ein paar Feiertage, eine erweiterte Au-Pair-Regelung und eine Zeitung.
Man muss das politische System von Grund auf beleuchten und großteils erneuern.
Die "Repräsentative Demokratie" ist in ihrer gelebten Form leider nicht viel besser als der Feudalismus - eine Machtelite regiert, die Untertanen gehorchen. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Untertanen sich aussuchen dürfen, von welchem Fürstenhaus (Partei) sie regiert werden wollen.
Es gilt auch, die ethischen Leitwerte zu reformieren. "Haste was, biste was" hat als Lebensmotiv ausgedient, da es immer mehr Menschen gibt, die keine Chance haben, zu pekuniärem Wohlstand zu kommen. Und Menschen, die ständig vom pekuniären und damit auch sozialen Niedergang bedroht sind. Der neoliberale, kapitalhörige Grundtenor der Politik stößt bei ihnen naturgemäß auf tiefe Ablehnung. Sie sehen hilflos zu, wie ihre mühsam erarbeiteten Steuergroschen für Dinge ausgegeben werden, die ihnen nichts nützen. Während sie selbst zu Bettlern degradiert werden.
Was erwartet man denn von diesen Bürgern? Dass sie treu und brav an dem System festhalten, das sie ruiniert? Das haben sie zu lange getan. Sie suchen jetzt nach einem Ausweg. Den präsentieren gerade die Rechtsparteien. Verführerische Utopien, Parolen zum Mitsingen, schön gemalt, verständlich und volksnah aufbereitet. Dass die etablierten Mächte dagegen argumentieren, ist den Betroffenen herzlich egal, denn denen vertrauen sie nicht mehr. So ähnlich war es wohl auch in den 1930er Jahren...
Es wäre in der Tat allerhöchste Zeit, das Volk der Untertanen in ein Volk der Beteiligten umzuwandeln. Mit wesentlich mehr Beteiligungsmöglichkeit, ähnlich wie in der Schweiz.
Apropos Schweiz: Die haben sowohl eine volksnahe Direkt-Demokratie wie auch viel mehr Einwanderer als wir - und leben in Wohlstand und Frieden. Geht also durchaus. Wenn man will.
TazTiz
"Die haben sowohl eine volksnahe Direkt-Demokratie wie auch viel mehr Einwanderer als wir - und leben in Wohlstand und Frieden. Geht also durchaus. Wenn man will."
Die Schweizer machen aber nicht jeden zum Bürger und lassen auch nicht jeden "rein". Dann funktioniert einer Bürgerkratie auch: der Status Bürger ist erstrebenswert und/aber an Voraussetzungen geknüft. Diesen Eindruck hinterlässt Europa eben gerade nicht. Deswegen gibt es so wenig Identifikation.
Bernhard Meyer
"Politikverdrossenheit" - Was heißt das? Doch wohl dass Bürger verdrossen sind, weil sie sehen, dass die Politik, die tatsächlich gemacht wird, nicht FÜR SIE gemacht wird, sondern für andere, für die EIN PROZENT, zu denen die meisten nicht gehören. Verwendet wird das Wort im Allgemeinen aber genau andersrum: Medien und Politiker sind verdrossen, weil die Bürger nicht mehr so locker alles glauben, was sie sagen und manchmal sogar etwas oder jemand anderen wählen, als den oder das was sie dauernd gepredigt haben.
"Populismus" - Was heißt das? Doch wohl, dass eine Politik versprochen wird, die den "Volk" gefällt, also "populär" ist. Und das ist - nach allgemeinem Sprachgebrauch des Wortes total schlecht. Es ist das Gegenteil von dem, was dem EINEM PROZENT nützt. Also wird es uns aus allen Rohren als größtes ÜBEL verkauft. Ich habe einen Artikel gelesen, in dem über dreißigmal "Populist" im Zusammenhang mit dem BÖSEN vorkam. So geht Propaganda.
Auch obiger Artikel ist im Denken FÜR die EIN PROZENT befangen.
urbuerger
Dieser Artikel spricht mir im Großen und Ganzen aus der Seele.
Aber! Leider wird auch hier wieder der Fehler begangen sich in erster Linie die jungen Menschen der Eu als die Träger des Ganzen heraus zu suchen.
Wie wir im Brexit gesehen haben sind die Jungen, Länderübergreifend, bereits schon überzeugte Europäer!
Die Menschen, welche in der EU von Altersarmut, von Sozialhilfe (Hartz IV) und Armut bedroht sind, sind auch diejenigen, die sich zur Zeit von Europa genauso wie von ihren eigenen Regierungen abgehängt fühlen.
Die Existenz der Europäer in der Mitte der sozialen Schichten sind diejenigen deren Lebensbauplan massiv bedroht wird, da sie durch die Zinspolitik der EZB ihre Ersparnisse schwinden sehen, denn weniger Wert werden sie allein durch den Zinsverlust fast täglich.
Ist ein Dilemma, dass es den Ländern nicht gelingt vernünftige Ausbildungsperspektiven für Schulabgänger zu schaffen, obwohl überall von den Regierungen Programme aufgelegt werden Facharbeiter aus nicht EU Staaten zu bewerben.
Wir haben in den Südeuropäischen Staaten riesiges Potential an zukünftigen Fachleuten, aber sie werden nicht in wirklich effektive, länderübergreifende Ausbildungsmaßnahmen in Betracht gezogen. Die wenigen jungen Spanier, die zur Zeit hier in Deutschland zum Facharbeiter ausgebildet werden können der spanischen Wirtschaft auch nicht helfen, es fehlt ihnen nach Abschluss an der nötigen Erfahrung um selbst auszubilden.
Es müssten Leistungsträger in die EU Staaten aus verschiedensten Staaten und Fachgebieten beginnen vor Ort auszubilden und damit einen besseren Wissensstand zu erreichen.
Das wäre auch gleich eine Maßnahme Arbeitslose im alter von 55 bis 60 Jahren wieder in einen Job mit Perspektive zu bringen und die Erfahrung ginge nicht verloren!
Aber lange Rede, kurzer Sinn; solange die Wirtschaft durch Lobbyisten die Politik in der EU macht, sind das alles nur Wunschträume eines Mittfünfzigers!!!
4845 (Profil gelöscht)
Gast
So lange die EU neoliberale Politik zu Gunsten der Großkonzerne und antisoziale Politik zu Ungunsten der europäischen Bürger macht, so lange wird es auch keine Akzeptanz geben...
Volker Birk
So ist es. Aber das wird in der EU niemanden davon abhalten, weiter alles als “Vermittlungsproblem” zu betrachten.
Der Neoliberalismus ist doch ach so toll und alternativlos, das dumme Volk kann's einfach noch nicht begreifen! ;-)
Und so bricht die EU auseinander…
DiMa
Ja, auch die Medizin macht die Europäische Union krank. Andauernde Verschlimmbesserungen und Wortbrüche durch Brüssel und die EZB (Verstöße gegen No-Bail-Out, gegen Dublin III, gegen EURO-Richtlinien, rechtswidrige Bankenrettung, TTIP-Verhandlungen, u.s.w.), die Anmaßung von Zuständigkeiten (u.a. durch den scheidenden Parlamentspräsidenten, TTIP-Verhandlungen), die Unangreifbarkeit vom Kommisaren (zuletzt deutlich die folgenlosen Entgleisungen von Herrn Oettinger) und die ständigen fehlerhaften Angriffe der Regierungen (z.B. hohe Jugendarbeitslosigkeit in einzelnen Staaten) lassen das System totkrank erscheinen.
Ein Mehr-EU würde das Ganze nur verschlimmern.