Eskalation nach Tötung von Soleimani: EU ohne Iran-Strategie

Die Europäer haben dem Konfrontationskurs von US-Präsident Trump nichts entgegenzusetzen – dabei gäbe es noch einige Handlungsoptionen.

Frauen gehen an dem Wandbiild der zerstörten Freiheitsstaute vorbei

Iranerinnen trauern, Trump droht, EU appelliert vorsichtig Foto: Vahid Salemi/ap

BRÜSSEL taz | Eine „geopolitische Kommission“ hat Ursula von der Leyen versprochen. Die EU werde sich unter ihrer Führung gegen Russland, China und die USA behaupten und die „Sprache der Macht“ erlernen, erklärte die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin beim Amtsantritt in Brüssel.

Doch sehr machtvoll war es nicht, wie die EU auf die jüngste Eskalation in Irak und Iran reagierte. Nach dem Drohnen-Mord an dem iranischen General Qasim Soleimani durch US-Truppen in Bagdad sah es zunächst so aus, als habe es den Europäern komplett die Sprache verschlagen.

Stundenlang duckten sich die Verantwortlichen in Brüssel weg. Die „geopolitische Kommission“ war abgetaucht, von der Leyen ließ sich entschuldigen. Als sich schließlich EU-Ratspräsident Charles Michel mit einem Statement vorwagte, fiel ihm nicht mehr ein, als zu „Deeskalation“ aufzurufen. Auf den offenbar völkerrechtswidrigen Mordbefehl von US-Präsident Donald Trump ging Michel ebenso wenig ein wie auf mögliche EU-Initiativen.

Der neue Außenbeauftragte Josep Borrell wagte sich danach zwar etwas weiter aus der Deckung. Er äußerte „tiefe Sorge“ über die Eskalation in Irak – und erwähnte dabei auch „die Tötung“ von General Soleimani. Doch auch Borrell ließ europäische Handlungsoptionen vermissen.

Weltsicherheitsrat kam Brüssel nicht in den Sinn

Er lud zwar den iranischen Außenminister zu Gesprächen nach Brüssel – doch eine eigene, europäische Nahost-Mission ist nicht geplant. Auch der Weltsicherheitsrat, der schon bei geringeren Anlässen einberufen wurde, kam Borrell und seinen EU-Kollegen nicht in den Sinn.

Die EU hat sich wieder einmal als Papiertiger erwiesen, der laut brüllt, jedoch beim ersten Konflikt in Deckung geht. Dabei steht für die Europäer viel auf dem Spiel. Es geht um das Atomabkommen mit Iran aus dem Jahr 2015, mit dem die Europäer und damals auch noch US-Präsident Barack Obama einen Krieg verhindern wollten.

Es geht aber auch um den Kampf gegen den Terror und den „Islamischen Staat“ (IS), der in Paris, Brüssel und Berlin viele grausame Attentate verübt hat. Wenn die Krise in Irak außer Kontrolle gerät, bedeutet dies auch eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit in Europa.

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich an der Ankündigung, dass die internationale Koalition gegen den IS vorläufig ihre Arbeit einstellt – wegen der unsicheren Lage in Irak. Es zeigt sich aber auch daran, dass der Iran einen weiteren Rückzug aus dem Atomabkommen angekündigt hat.

Die EU sitzt in der Falle

Und dann ist da noch die Drohung Trumps, europäische Firmen zu bestrafen, die es wagen, weiter Handel mit Iran zu treiben – und die Ankündigung, Irak mit massiven Sanktionen zu überziehen, wenn die Regierung in Bagdad es wagen sollte, die US-Truppen aus dem Land zu werfen.

Die EU sitzt in der Falle, ihre strategischen Interessen sind direkt bedroht – nicht zuletzt durch das unilaterale Vorgehen Trumps. Sie könnte reagieren, indem sie den Schulterschluss mit Russland und China sucht, wie dies Ex-Außenminister Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat.

Sie könnte auch versuchen, dem Iran entgegenzukommen – und endlich die vor zwei Jahren versprochene Handelsbank für Öl- und Gasgeschäfte in Betrieb nehmen. Dies wäre ein klares Signal, dass die EU den Atomdeal retten will und sich von Trump nicht länger einschüchtern lässt.

Wenn die Krise in Irak außer Kontrolle gerät, bedeutet dies eine Gefahr für die Sicherheit in Europa

Doch bisher zeichnet sich nichts von alldem ab. Die Bundesregierung will zwar eine aktivere Rolle übernehmen. So hat Kanzlerin Angela Merkel eine Reise nach Moskau angekündigt, Bundesaußenminister Heiko Maas will mit Teheran telefonieren. Doch eine selbstbewusste europäische Strategie ist nicht zu erkennen.

Freibrief für Trump

Dies zeigt auch eine Erklärung der „großen drei“ Deutschland, Frankreich und Großbritannien. In dem am Sonntagabend veröffentlichten Text bekennen sich Merkel, Präsident Emmanuel Macron und Premier Boris Johnson zwar zum Atomabkommen mit Iran und zum Anti-IS-Kampf in Irak. Sie kündigen jedoch keine eigenen Initiativen an. Zudem verurteilen sie „die negative Rolle, die Iran in der Region gespielt hat, insbesondere durch die iranischen Revolutionsgarden und die Al-Quds-Einheit unter dem Kommando von General Soleimani“. Es klingt wie eine nachträgliche Rechtfertigung der Ermordung Soleimanis – und wie ein Freibrief für Trump.

Die drei EU-Chefs appellieren zwar auch noch „an alle beteiligten Akteure, äußerste Zurückhaltung und Verantwortungsbewusstsein an den Tag zu legen“. Doch nach der „Sprache der Macht“ klingt das nicht. Eher wie Pfeifen im dunklen Wald.

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