Eröffnung der Filmfestspiele Cannes 2024: Wir werden doch gefilmt
Bei den Filmfestspielen in Cannes spielen im Eröffnungsfilm „Le deuxième acte“ Schauspieler Schauspieler. Meryl Streep erhält den Ehrenpreis.
Sie erträgt die sehr emotionale Laudatio ihrer Kollegin Juliette Binoche, auf Englisch vorgetragen, mit Würde, überhaupt macht sie auf der Bühne eine bessere Figur, auch als die Jurypräsidentin Greta Gerwig, die sich in ihrer Rolle leicht unbehaglich zu fühlen scheint.
Um das Sich-Einfinden ebenso wie das Herausfallen aus Rollen geht es dann ausführlich in der Komödie „Le deuxième acte“ von Quentin Dupieux, mit der das Festival eröffnet. Der Regisseur, der zuvor unter dem Namen Mr. Oizo als Technoproduzent bekannt geworden war, steht mit seinen Filmen für ungehemmte Albernheiten wie für das beherzte Jonglieren mit den Ebenen der Fiktion.
Diesmal lernt man verschiedene Personen irgendwo auf dem Land kennen, ihre Rolle bleibt anfangs unklar. Ein Mann, der mit dem Auto zu einem abgelegenen Restaurant namens „Le deuxième acte“ fährt und der sichtlich nervös ist, als er sich auf den Weg in das Gebäude macht, so stark, dass seine Hand zittert. Zwei Freunde, David und Willy, die sich streiten, weil David Willy eine Frau „zuschieben“ möchte, die sich für ihn interessiert.
David wird als smarter Typ gespielt von Louis Garrel, Willy etwas einfältig von Raphaël Quenard. Als Willy verbal plötzlich entgleitet und sich transphob zu äußern beginnt, weist ihn David empört darauf hin, dass er so etwas nicht sagen könne, sie würden schließlich gefilmt. Oder sind es gar nicht David und Willy, die diese Worte sprechen?
Aus der Rolle fallen
In ähnlicher Form geht es weiter mit Florence, gegeben von Léa Seydoux, und ihrem Vater, den wiederum Vincent Lindon spielt. Auch bei ihnen verschiebt sich permanent, wie sie ihre Rolle spielen und wieder aus dieser herausfallen, bis man nicht mehr richtig weiß, was fiktiv und was real sein soll. Ein beliebter Zug bei Dupieux.
Diesmal hat er, trotz allerhand Kommentaren am Rand zu Phänomenen wie #MeToo oder „Canceln“, allerdings den Aberwitz etwas gebremst, hält seine Erzählung realistischer als in Filmen wie „Daaaaaali!“ von 2023 und verlässt sich weit weniger auf fantastische Elemente als sonst. Der Sinn fürs Absurde ist jedoch geblieben. Und einen Seitenhieb auf den Einsatz von KI im Film gibt es bei ihm noch als Zugabe.
Das Reale an seine Grenzen treibt auch Sophie Fillières in ihrem postum fertiggestellten letzten Film „Ma vie ma gueule“, der die unabhängige Reihe „Quinzaine des cinéastes“ eröffnet. Fillières starb im Sommer 2023 nach langer Krankheit, sie war zuletzt als Nebendarstellerin in Justine Triets „Anatomie eines Falls“, dem Gewinner der Goldenen Palme vom vergangenen Jahr, in einer Nebenrolle zu sehen. In „Ma vie ma gueule“ spielt die großartige Agnès Jaoui die Werberin Barberie „Barbie“ Bichette, die in einer Lebenskrise feststeckt.
Barbie spricht mit ihrem Spiegelbild im Badezimmer, beschimpft ihren Therapeuten, der Fragen nicht in ihrem Sinn beantwortet, und hat unterwegs seltsame Begegnungen. Ein Zufallstreffen mit einem Mann, der ihren Namen weiß und ihr sagt, dass sie sich von früher kennen, geht reichlich schief. Barbie findet sich darauf in der Klinik wieder. Fillières zeichnet dieses Drama mit Ironie, die seine Figuren nie der Lächerlichkeit preisgibt. Das Ende vielleicht ein wenig zu forciert offengehalten, doch selbst das mit feiner Komik. Ein traurig schöner Auftakt.
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