Ermittlung zu Oktoberfestattentat eingestellt: Viele Fragen offen
Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat 1980 sind erneut eingestellt, das Motiv nun aber als rechtsextrem festgestellt worden. Werden die Opfer entschädigt?
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte es am Mittwoch „sehr enttäuschend und bedauerlich, dass die Hintergründe des Oktoberfestattentats knapp 40 Jahre nach der grausamen Mordtat trotz intensiver Ermittlungen nicht mehr vollständig aufgeklärt werden konnten“. Schuld seien die „massiven Verfehlungen“ in den Ermittlungen unmittelbar nach der Tat. Reiter lobte aber die nun erfolgte Einstufung der Tat. „Es ist wichtig, dass die Tat nun endlich auch offiziell als das benannt wird, was sie war: ein rechtsextremer Terrorakt.“
Der bayrische SPD-Innenexperte Florian Ritter beklagte die „schlampige Arbeit der Ermittler unmittelbar nach der Tat“, die „nie mehr aufgearbeitet werden konnte. Der Attentäter Gundolf Köhler sei „offensichtlich kein Einzeltäter“ gewesen. Auch die Münchner Opferberatungsstelle Before sprach von weiterhin „vielen offenen Fragen“ – allen voran, die nach der Rolle rechter Netzwerke.
Am 26. September 1980 hatte der rechtsextreme Student Gundolf Köhler um 22.20 Uhr eine Bombe in einem Abfallkorb am Haupteingang zum Münchner Oktoberfest gezündet. 13 Menschen starben, darunter auch Köhler selbst, mehr als 221 wurden teils schwer verletzt. Es war der bis heute schwerste rechtsterroristische Anschlag in der Bundesrepublik.
Frühe Zweifel an Einzeltätertheorie
Früh gab es Zweifel, ob Köhler allein handelte, umso mehr da er in Kontakt mit der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann stand. Die Ermittlungen aber wurden bereits 1982 eingestellt – und die ErmittlerInnen blieben bei der Einzeltätertheorie.
2014 jedoch meldete sich eine Zeugin, die angab, am Tag nach dem Attentat in einem Münchner Aussiedlerheim im Schrank eines Bewohners Flugblätter gesehen zu haben, die Köhler als Attentäter benannten – was damals noch nicht öffentlich bekannt war. Daraufhin ließ die Bundesanwaltschaft das bayrische Landeskriminalamt die Ermittlungen im Dezember 2014 wieder aufnehmen. Nun, gute fünf Jahre später, sind sie weitgehend ergebnislos wieder eingestellt.
Dabei hatten sich die ErmittlerInnen durchaus um Aufklärung bemüht, wie schon die Zahl der nochmals befragten ZeugInnen und der Umfang der untersuchten Spuren aufzeigt. Alle Verfassungsschutzbehörden, der BND, die Stasi-Unterlagenbehörde, das BKA und alle Landeskriminalämter wurden um Aktenzulieferungen gebeten. Dazu wurden 888 Altspuren nochmals überprüft. Anhand von 2.600 Fotos, die JournalistInnen und Rettungskräfte 1980 vom Tatort gemacht hatten, wurde der Eingang des Oktoberfestes mittels eines 3D-Modells virtuell rekonstruiert.
Hinweise auf MittäterInnen aber brachte all das nicht. „Nach Ausschöpfung aller erfolgversprechenden Ermittlungsansätze“ gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte für MittäterInnen oder AnstifterInnen, erklärte die Bundesanwaltschaft am Mittwoch. Zwar sei eine Beteiligung weiter nicht auszuschließen, die Ermittlungen hätten konkrete Beteiligung jedoch nicht erhärten können.
Abgetrennte Hand gehörte wohl Köhler
Laut Bundesanwaltschaft haben sich Aussagen von ZeugInnen, die Begleiter von Köhler am Tatort gesehen haben wollen, nicht bestätigt. Auch bei nachträglich identifizieren Personen habe sich kein Bezug zum Anschlag ergeben. Eine am Tatort gefundene, bis heute nicht eindeutig zuordbare Hand gehöre wohl zu Köhler, an dessen Leiche beide Hände fehlten.
Dies habe zwar „nicht mit letzter Gewissheit“ geklärt werden können, es gebe aber auch keine Hinweise auf andere Personen mit abgetrennten Händen. Auch die Aussage einer Frau zu einem entsprechend behandelten Mann im Klinikum Hannover habe sich nicht bestätigt: Ein solcher Patient konnte nicht gefunden werden.
Der Hinweis der Zeugin mit den Flugblättern im Spind im Münchner Aussiedlerheim habe sich ebenfalls nicht bestätigt: In „entscheidenden Punkten“, vor allem aber zeitlich, habe sich diese Aussage nicht erhärten lassen, so die Bundesanwaltschaft.
Gleiches gelte für ZeugInnenaussagen, die Mitfahrer in Köhlers Auto gesehen haben wollen, als dieser am Tattag von seinem Wohnort Donaueschingen nach München führ. Dafür gebe es „keine Anhaltspunkte“. Zwei enge Freunde Köhlers wiederum, denen der Student nachweislich von Überlegungen zu einem Anschlag auf das Oktoberfest erzählte, um damit die bevorstehende Bundestagswahl zu beeinflussen, hätten dies nicht ernst genommen, so die Bundesanwaltschaft.
Auch eine Beteiligung der Wehrsportgruppe Hoffmann an der Tat konnte die Behörde nicht nachweisen. Dass die Gruppe einen Tag nach der Tat mit einem Fahrzeugkonvoi nach Österreich fuhr, sei ein Zufall gewesen. Auch die Selbstbekenntnisse zweier Mitglieder, am Attentat beteiligt gewesen zu sein, entsprächen nicht der Wahrheit: Beide Männer seien zur Tatzeit nicht in München gewesen und hätten sich rein oberflächlich geäußert, einer machte seine Aussage „erheblich“ betrunken.
Die Ermittler prüften auch eine mögliche Verwicklung sogenannter Stay-Behind-Organisationen in das Attentat. Gemeint sind geheime paramilitärische Einheiten westlicher Geheimdienste, die im Falle einer sowjetischen Invasion hinter der Front einen Partisanenkrieg hätten führen sollen. Auch hierbei habe sich nichts ergeben, so die Bundesanwaltschaft.
Nach 40 Jahren klares Motiv: Rechtsextremismus
Neu indes ist die eindeutige Bewertung des Tatmotivs. „Gundolf Köhler handelte aus einer rechtsextremistischen Motivation heraus“, hält die Behörde nun fest. Dies folge aus seinen rechtsextremen Kontakten, seinen Äußerungen vor der Tat, wie man die Bundestagswahl beeinflussen könne sowie seinem „Wunsch nach einem dem nationalsozialistischen Vorbild folgenden Führerstaat“. Persönliche Gründe, wie angeführte Depressionen oder Liebeskummer, stellten diese „vorherrschende politische Motivation nicht in Frage“.
Die Einschätzung hat Folgen: Denn nun können die Opfer auch Entschädigungen für Betroffene extremistischer Gewalt vom Bundesamt für Justiz erhalten. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums bestätigte Gespräche über eine „Solidarleistung“ an die Opfer: „Wir sind der Auffassung, dass das Leid der Betroffenen des Oktoberfestattentats weitere Anerkennung durch den Staat erfahren sollte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Generalbundesanwalt eine rechtsextremistische Motivation der Tat festgestellt hat.“
Laut Ministerium hatte die Stadt München den Opfern bereits 1981 und 1982 eine Million DM gezahlt. 2018 habe die Stadt einen erneuten Opferfonds von 50.000 Euro zur Linderung der Folgen durch den Anschlag aufgelegt. Der Fonds wurde 2019 um weitere 50.000 Euro aufgestockt. Münchens Oberbürgermeister Reiter nannte am Mittwoch eine Entschädigung durch den Bund „längst überfällig“.
SPD-Innenexperte Ritter fordert von der bayrischen Landesregierung zusätzlich einen eigenen Opferfonds zum Oktoberfestattentat. Die bayerische Regierung habe ein politisches Motiv des Attentats immer bestritten. Mit dem Opferfonds könnte sie nun „ein Zeichen setzen“.
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