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Erledigungen im AlltagDas Körbchen ist niemals leer

Früher habe ich versucht, immer „alles“ zu schaffen, was anstand. Heute weiß ich, dass das nicht geht und lasse Etliches lieber liegen.

Handarbeit statt Hamsterrad: So ging das Körbe-Flechten im Mittelalter Foto: dpa | Bernd Weißbrod

E s ist schon einige Jahre her – meine Kinder waren noch klein und meine Texte handelten eigentlich durchgängig von meinem Gefühl „alles“ nicht schaffen zu können – da bekam ich einen sehr netten Leserbrief einer sehr alten Dame. Es war ein richtiger Brief, mit Schreibschrift auf Papier und Briefmarke. Ich habe ihre Worte nie vergessen. Sie riet mir, mit den schönen Dingen des Lebens keinesfalls auf den Moment zu warten, an dem „alles“ erledigt sei. Dieser Tag werde nie kommen.

Wörtlich schrieb sie: „Das Körbchen ist niemals leer“. Ein weiser Rat, den ich natürlich – wie es mit weisen Ratschlägen eben so ist – nicht befolgen konnte. Am Ende des Briefes stand, dass ich ihr nicht antworten, sondern stattdessen mir etwas Gutes tun solle. Ich nahm mir trotzdem vor ihr zu danken, hab’s aber nicht geschafft.

Bis heute würde ich gerne „alles“ schaffen, aber ich weiß wenigstens mittlerweile, dass das nicht möglich ist ­– vor allem, weil ich neben dem, was ganz objektiv erledigt werden muss, ununterbrochen neue Ideen habe, was ich lieber tun würde und womit ich am besten schnell noch anfange. In Kombination mit meinem beschissenen Zeitmanagement, macht das das effektive Abarbeiten von Aufgaben unmöglich.

Deswegen habe ich endgültig aufgehört ein leeres Körbchen anzustreben. Mein E-Mail-Postfach mit 1.892 ungelesenen Nachrichten ist dafür der eindeutige Beweis. Nur wenn mein Mann beim Anblick der langsam wachsenden großen, roten Zahl gequält auflacht, nehme ich sie überhaupt wahr.

Ich will richtige Sachen machen

Natürlich tut mir das für meinen Mann leid (den sogar Unerledigtes anderer Menschen stresst) und viel mehr noch für diejenigen, die keine Antworten von mir bekommen haben. Ich versuche wirklich so gut es geht, regelmäßig drängende Mails abzuarbeiten.

Den Rest will ich später erledigen, wozu ich nie komme, weil dann schon wieder neue Mails angefallen sind. Je mehr man schreibt, umso mehr kommt wieder rein: Den Teufelskreis muss doch jemand durchbrechen. Ich will einfach nicht mehr so viel Zeit am Computer und damit auch in der werbebasierten Informationsmüllhalde Internet verbrennen. Ich will richtige Sachen machen.

Gerade eben habe ich beispielsweise „Das Körbchen ist niemals leer“ gegoogelt, um zu sehen, ob es wohl ein bekanntes Sprichwort ist. Ich hatte keinen direkten Treffer, aber trotzdem 656.000 Ergebnisse (wobei ich erst mal eine weitere Suche starten musste, um herauszufinden, wie ich mir bei Google die Anzahl der Suchergebnisse wieder anzeigen lassen kann und mich dann verloren habe bei der erfolglosen Recherche darüber, warum Google die Anzeige neuerdings überhaupt verbirgt). Egal.

Körbseln macht glücklich

Auf einen Körbchen-Sinnspruch bin ich auf jeden Fall nicht gestoßen, nur auf ein paar trauernde Hundemenschen. Alle restlichen 655.997 Einträge bezogene sich auf ganz andere Körbchen. Ich könnte sie so zusammenfassen: Die hundert häufigsten Fragen zum Thema BH, die ich mir noch nie gestellt habe und deren Antworten mich gar nicht interessieren, die mich aber trotzdem eine volle Stunde von der Arbeit abgelenkt haben. Und das, obwohl in Sachen Büstenhalter meine Körbchen wirklich leer sind.

Ob es nun Weisheit ist, Erschöpfung oder Bocklosigkeit kann ich nicht sagen, doch wenn ich mich nicht gerade um unsere Kinder kümmere, lasse ich immer öfter alles andere liegen (auch das Drängende) und flechte Körbe. Aus Ästen, Gräsern, Rinde, Wolle oder alten Socken – ich kann aus fast allem einen Korb machen.

Ich weiß nicht warum, aber mich macht das Körbseln (wie meine Tochter diesen Zustand nennt) glücklich. Noch weniger weiß ich zum Leidwesen meines Mannes, was ich mit den ganzen Körben eigentlich will. Ich bin eben einfach gerne mal glücklich und immerhin ist jedes neue Körbchen erst mal ganz leer – das ist dann auch für meinen Mann schön – wenigstens solange, bis ich ein paar Äpfel oder Steine reinlege und ihn auf den Tisch stelle.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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1 Kommentar

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  • Happy Körbchen, Birte Müller!



    Ich lese gerne diese Kolumne, weil wir auch das eine oder andere "behinderte" Kind in der Familie haben.



    Die Kolumne ist sehr schön aus dem richtigen Leben