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Erinnerung an eine FluchtSie starben, wir warteten

Unsere Autorin hoffte 1994 mit ihrer Familie in Ruanda auf Rettung vor dem Genozid. Die Nachrichten aus Afghanistan sind ihr Erinnerung und Mahnung.

Eine Ausstellung in Kigali/Ruanda zeigt Bilder von Menschen, die beim Genozid ermordet wurden Foto: Ben Curtis/ap

Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe mir einen Kaffee gemacht. Ich dachte als Erstes an meine Mutter. Als wir uns 1994 in Kigali im Genozid an den Tutsis versteckten, war der Kaffeegeruch etwas, das meine Mutter danach oft erwähnte. Der Geruch hat sie daran erinnert, dass sie mal ein Mensch mit Bedürfnissen war. Und mit banalen Empfindungen, wie dass sie Kaffee liebt.

Ich muss etwas ausholen. Ich bin Ende 1988 als Tutsimädchen in Kigali geboren, meine Eltern liebten sich, ich war ihre erste Tochter. Beweis ihrer Liebe. Ich sag oft (vor allem zu meinem Therapeuten), dass ich eine gute Kindheit hatte, wenn man mal den Genozid ausklammert.

Heute Morgen roch ich den (Sofort-)Kaffee und dachte an meine Mutter, dachte daran, wie sie uns im Genozid versteckt hat. Wie wir im Hotel Mille Collines, das später als das Hotel Ruanda bekannt wurde, überlebt haben. Wie wir die Berichterstattung im Fernsehen sahen.

Und wie der sogenannte Westen darüber stritt, ob es nun ein Völkermord sei oder ein Stammeskrieg. „Soll man sie retten oder nicht?“ Ich war fünf Jahre alt und begriff einerseits, dass es um Leben und Tod ging, andererseits hatte ich keine Vorstellung davon, worum es wirklich ging.

Wann werden wir wieder zu Menschen?

Ich verstand, dass es Hierarchien gibt. Meine Mutter arbeitete in den 90ern für eine britische NGO. Die Kol­le­g*in­nen meiner Mutter mitsamt Katzen und Habseligkeiten wurden 1994 evakuiert. Wir nicht. Wir sollten auf unseren Tod warten.

Mein Vater schrieb Briefe an alle, die er kannte, weil er wusste, dass er sterben würde, und flehte seine weißen Freunde an, seine Kinder und seine Frau zu retten.

Er wurde umgebracht.

Wir warteten.

Um uns herum starben immer mehr Menschen. Ich habe lange Leben und Tod als Konzept nicht verstanden, weil sie immer so nah beieinander waren, dass sie für mich immer untrennbar waren. Wann sterben wir? Wann werden wir wieder zu Menschen? Das waren immer zentrale Fragen. Als Fünfjährige habe ich das zwar nicht in Gänze verstanden, aber ich habe es gespürt. Als wir im Hotelzimmer saßen, CNN schauten und sahen, wie über uns berichtet wurde. Am nächsten Tag wurde jemand am Pool erschossen und sein lebloser Körper schwamm da. Ich dachte an meinen toten Vater (von dem ich aber immer dachte, dass er im Himmel ist und wir uns bald wiedersehen) und umklammerte meine Puppe Bruno fester. Wann kümmert sich jemand? Wann werden wir wieder zu Menschen? Wann sterben wir?

Wir werden uns messen lassen müssen

Es kann nicht sein, dass 27 Jahre später Menschen in Afghanistan eine Hölle durchmachen, die andere schon durchgemacht haben und die so weit weg erscheint. Für uns. Es kann nicht sein, dass wir uns entscheiden können, ob wir zum Sport gehen oder demonstrieren, während sich Menschen an Flugzeuge klammern, weil sie den sicheren Tod immer noch besser finden, als am Kabuler Flughafen zurückgelassen zu werden.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich jemals davon erholt habe. Vielleicht ist es auch eines dieser Dinge, von denen man sich nie erholt. Die Vorstellung, dass 27 Jahre später eine Mutter in Kabul sitzt und nicht weiß, ob sie und ihre Kinder den nächsten Tag erleben werden oder nicht, bricht mir das Herz und lässt mich verzweifeln. Das eine ist, wenn deine liebsten Menschen um dich herum sterben, das zweite ist die Indifferenz aller, während das alles passiert. Es ist ein zweifacher Tod. Was wirklich niemals passieren darf, ist, dass wir uns an Bürokratischem aufhalten, wenn Menschen wie du und ich um ihr Leben bangen.

Was nicht passieren darf, ist, dass wir so viel Zeit mit Begrifflichkeiten verschwenden und abwägen, welches Leben es wert ist, geschützt und gerettet zu werden. Es geht um echte Menschen, die die Einschulung ihrer Kinder feiern wollen, Hochzeiten, Schwangerschaften und Familienfeste. Wie können wir jemals zweimal darüber nachdenken, ob sie es wert sind, evakuiert zu werden? Daran werden wir uns messen lassen müssen. Wie wir damit umgegangen sind.

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7 Kommentare

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  • @JUSTMEBERLIN:

    Strohmann.

    Mir geht es nicht um diesen bescheuerten Krieg, in dem "wir" angeblich diesen Leuten "Demokratie" beibringen wollten [1].

    Mir geht es eher darum, dass die erste Reaktion unseres aussichtsreichen Kanzlerkandidaten "oh, Gott, Flüchtlinge" ist und nicht so etwas wie mitgefühl. Dass so jemand mehr als 0.5% der Stimmerwartungen in unserer Gesellschaft findet, das ist zum Kotzen.

    [1] In wirklichkeit war der Anfang dieses Kriegs Bushs "we're going to get the bastards" [2], also Rache.



    [2] www.independent.co...kids-a7235641.html

  • Was denken wir hier im übersättigten, feisten Westeuropa? "2015 darf sich nicht wiederholen" [1]. Ich schäme mich so.

    Europa, Deine Werte.

    [1] taz.de/Laschets-Af...usserung/!5789611/

    • 1G
      14390 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Das übersättigte, feiste Westeuropa denkt, daß es 20 Jahre (!) lang versucht hat, in Afghanistan so etwas wie eine demokratische Zivilgesellschaft aufzubauen. Daß es Milliarden US-Dollar in die Ausbildung und Ausrüstung einer Armee gesteckt hat, die sich angesichts eines Gegners, dem sie 5:1 überlegen war, widerstands- und kampflos aufgelöst hat. Das feiste und übersättigte Westeuropa denkt, daß, wenn die afghanischen Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne nicht bereit sind, für die Freiheit ihrer afghanischen Töchter, Ehefrauen, Schwestern und Mütter zu kämpfen, Westeuropa seine Soldaten nicht mehr weiter in dieser Auseinandersetzung opfern sollte.

      60.000 Taliban überrennen ein Land mit 38 Millionen Einwohnern, ohne daß 300.000 einheimische Soldaten willens sind, dieses Land zu verteidigen.

      Macht Euern Dreck alleine! (König Friedrich August III. von Sachsen 1918)

      • @14390 (Profil gelöscht):

        Och die ewige Mär, wir haben die Demokratie bringen wollen.



        Als erstes, wie auch in anderen Konflikten, wurden die Rohstoffe und in Afghanistan der Heroinhandel wieder hergestellt. Es wurden die Entwicklungsarbeiten teuer verkauft (welche wir in ein paar Jahren bestimmt wieder zerbomben) und eben so alte Waffen teuer an den Mann gebracht.



        Wer glaubt das wir nur den Frieden bringen wollten irrt. Wir haben Folter, Verhaftungen, Mord etc. ohne Anklage dahin gebracht. Und wie schon Scholl-Latour sagte, du kannst einen Afghanen zwar mieten aber NIE besitzen.



        Und nun glaubte man echt, paar Euros, ähm Dollars, reichen um paar Warlords zum überlaufen zu bekommen?

        Und du willst behaupten, das die großen Armeeverbände des Westens mit tagesaktueller Bewaffnung es nicht geschafft haben die taliban vollends aus dem Land zu jagen, dass dies dann die afghanischen Menschen machen sollen? Mit was mit ihren Heugabeln? die Bewaffnung der afgh. Armee war bestensfalls unterirdisch. Aber Hauptsache unsere westlichen Waffenunternehmen haben sich bereichern können...

      • 3G
        30208 (Profil gelöscht)
        @14390 (Profil gelöscht):

        Endlich mal ein ehrlicher Kommentar in diesem Sumpf.

  • Wie häufig werden wir diese Fehler noch machen. Denn in 30 Jahren könnten nun die in Afghanistan zurückgelassen Helfer dort als Bild abgelichtet werden. Es ist eine Schande.