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Völkermord in RuandaWir sind noch da, also du auch

Der Vater unserer Autorin wurde beim Genozid an den Tutsi in Ruanda ermordet. An seinem 28. Todestag erinnert sie sich.

Schreiben gegen das Vergessen: Erinnerung an den Genozid in Ruanda Foto: Ben Curtis/AP

D ie Kirchenglocken sind so laut, dass ich meine Mutter am Telefon kaum verstehe. „Das ist für Papa!“, schreit sie immer wieder. Ich lache leise und schreie so oft „Ja“, bis der Uber-Fahrer sich verdutzt umdreht. Wir legen auf und ich schaue aus dem Fenster, wie man das so in Filmen macht. In Berlin scheint heute die Sonne und die Menschen schlendern in T-Shirts durch die Stadt. Heute, am 30.4., ist der Todestag meines Vaters. Er wurde 1994 im Genozid an den Tutsi umgebracht. Ich habe hier schon häufig von ihm erzählt. Manchmal glaube ich, dass ich das mache, damit ich ihn lebendig halte. Schreiben gegen das Vergessen.

Meine Mutter und mein Stiefvater sind auf dem Weg zu einem Gottesdienst, in dem am Anfang der Name meines Vaters vorgelesen wird. Dann geht der Gottesdienst ganz normal weiter. Wie das Leben, nachdem geliebte Menschen tot sind. Ich bin auf dem Weg zu meinem Partner, der mit einer Lebensmittelvergiftung im Bett liegt. Später werde ich nach Neukölln fahren, wo meine jüngste Schwester Amanda alias Babiche Papaya am Abend auftritt und ein paar Rapstücke aus ihrem Album „Luft und Liebe“ zum Besten gibt. Vielleicht auch aus ihrem alten Album „Joachim“, das nach unserem Großvater benannt ist, der ebenfalls im Genozid 1994 umgebracht wurde.

In der Familien-Whatsapp-Gruppe postet meine Tante einen Blumenkranz, den meine andere Tante in Kigali an einem Ort niederlegt, der für uns wichtig ist. Es ist nicht das Grab meines Vaters. Das teilt er sich mit hundert anderen Menschen. Genau genommen wissen wir gar nicht, ob er wirklich dort liegt. Ich versuche, mich abzulenken, indem ich eine Mail schreibe. Dann wird mir schlecht und ich schaue wieder aus dem Fenster. Im Radio läuft Sunshine von Rihanna und DJ Khaled. Eine Anruferin gewinnt 100 Euro, weil sie das Lied erkannt hat.

In uns leben sie weiter

Ich erwische mich dabei, wie ich kurz im Takt wippe. Fast kommt es mir ungerecht vor, dass heute die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und im Radio Menschen fröhlich Geld gewinnen. Aber dann freue ich mich. Ich freue mich über meine Schwestern und meine Mutter, meinen Stiefvater, meine Tanten und Cousinen. Dass es uns gibt und wir uns erinnern. Dass wir uns haben und in Whatsapp-Gruppen, Uber-Autos, Kirchen und Parks gedenken. Dass wir weiterleben, Kolumnen ­schreiben, Kinder zeugen, Rapalben schreiben. Erinnern und Gedenken heißt auch weiterleben. Es ist mehr als nur ein Mittelfinger an die, die uns auslöschen wollten.

Es ist stark und nimmt mir das Gefühl von Ohnmacht, das ich jahrelang verspürt habe. Davon kommen unsere ermordeten Menschen nicht wieder, aber durch unsere Erinnerung an sie leben sie weiter. In uns. Und das ist Widerstand. Und Kampf. Und Leben. Als ich aus dem Auto aussteige, scheint mir die Sonne ins Gesicht. Die Vögel sind noch lauter und ich schaue ganz kitschig wie im Film in den Himmel und grüße meinen Vater. Wir sind noch da, also bist du es auch.

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Anna Dushime
Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada
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