Erfolg für Palästina-Komitee Stuttgart: Meinungsfreiheit für Israelboykott
Die Stadt Stuttgart will „antisemitischen Gruppen“ keinen Platz auf ihrer Webseite einräumen. Vor Gericht erlitt sie nun eine Niederlage.
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Das Komitee setzt sich als zivilgesellschaftliche Gruppe für die Rechte der Palästinenser ein und kritisiert Israel als „Apartheidstaat“, der seine arabischen Bürger diskriminiere. Die Gruppe unterstützt auch die BDS-Kampagne (Boykott – Desinvestitionen – Sanktionen), die sich für einen Israelboykott einsetzt, um Israel zum Rückzug aus völkerrechtswidrig besetzten Gebieten zu zwingen.
Viele Jahre waren das Komitee auch als örtliche Initiative auf der städtischen Webseite www.stuttgart.de gelistet und durfte seine Veranstaltungen dort ankündigen. Dies kritisierte Ende 2018 jedoch ein Journalist der Jerusalem Post. Die Stadt betreibe indirekt Werbung für die BDS-Kampagne. Kurze Zeit später entzog die Stadt dem Komitee den Zugang zur kommunalen Webseite.
Als das Komitee 2021 eine Klage androhte, um wieder Zugang zur städtischen Webseite zu bekommen, berief sich die Stadt Stuttgart auf ihre Antidiskriminierungserklärung von 2019. Danach lehne die Stadt jede Form von „Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Antisemitismus, Ausgrenzung und Rassismus“ ab. Außerdem bezog sich die Stadt auf eine Resolution des Deutschen Bundestags von 2019. Darin werden alle Kommunen aufgefordert, keine Räume und Ressourcen an Gruppen zu vergeben, die die BDS-Kampagne unterstützen. Die Israelboykott-Kampagne sei antisemitisch, weil sie teilweise das Existenzrecht Israels infrage stelle.
stuttgart.de ist eine öffentliche Einrichtung
Diese Argumentation der Stadt lehnte das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart nun aber ab. Die städtische Internetseite sei eine „öffentliche Einrichtung“. Das Palästina-Komitee müsse hierzu den gleichen Zugang bekommen wie andere örtliche Organisationen auch.
Das VG Stuttgart ließ ausdrücklich offen, ob die BDS-Kampagne antisemitisch ist, denn darauf komme es hier nicht an. Auch antisemitische Positionen stehen laut Gericht grundsätzlich unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Es gebe auch kein Gesetz, das Eingriffe in die Meinungsfreiheit derer erlaubt, die die BDS-Kampagne unterstützen. Nach Einschätzung der Stuttgarter Richter:innen wäre ein derartiges Gesetz sogar verfassungswidrig, weil es sich speziell gegen eine bestimmte Meinung richten würde. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestags gilt nur als Meinungsäußerung des Parlaments ohne gesetzliche Bindungswirkung.
Es gebe zudem keine Anhaltspunkte, so das VG Stuttgart, dass die BDS-Kampagne die geistige und friedliche Sphäre der Auseinandersetzung verlasse und zu konkreten Gefährdungslagen führe. Die gegen den Staat Israel gerichtete Boykottbewegung stachele nicht zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland auf.
Der juristische Erfolg für das Palästina-Komitee kommt nicht überraschend. Bereits im Januar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Kommunen ihre Räume nicht pauschal für Veranstaltungen zum Thema Israelboykott sperren dürfen. Ein entsprechender Beschluss des Münchener Stadtrats verletze die Meinungsfreiheit.
Az.: 7 K 3169/ 21
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