piwik no script img

Erdoğans Prestigeprojekt für IstanbulOpposition hat den Kanal voll

Erst der Airport, jetzt eine Wasserstraße. Türkeis Staatschef will Istanbul mit einem neuen Mega-Bauvorhaben beglücken. Doch Bürgermeister Imamoglu hält dagegen.

Ginge es nach dem Staatschef, soll der Bosporus nicht die einzige Wasserstraße durch Istanbul bleiben Foto: unsplash/Emre Gencer

Istanbul dpa | Ein gigantisches Kanal-Projekt in Istanbul gerät zur Machtprobe zwischen dem Istanbuler Oppositionsbürgermeister Ekrem Imamoğlu und Präsident Recep Tayyip Erdoğan. In einer teilweise landesweit übertragenen, rund eineinhalb Stunden langen Rede verurteilte Imamoğlu das Projekt am Mittwoch scharf. „Wieso fordern wir sehenden Auges ein Desaster heraus?“, fragte er und nannte das Projekt einen „Verrat an Istanbul“.

Imamoğlu sprach unter anderem von der Vernichtung von einem Gutteil der unter- und oberirdischen Wasserressourcen der Stadt sowie von Millionen Quadratmetern Wald und Landwirtschaftsflächen. Er warnte, dass acht Millionen Menschen in der schwer erdbebengefährdeten Stadt auf einer neu entstehenden „Insel“ zwischen Bosporus und dem neuen Kanal eingeklemmt würden. Außerdem werde der Kanal nicht nur die Regierung, sondern auch die Stadt Milliarden Lira kosten.

Der Kanal ist ein Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten, der eine Vorliebe für große Bauvorhaben hat. Er würde als künstlicher Seeweg quer durch Istanbul gegraben, um das Marmarameer und das Schwarze Meer zu verbinden. Berichten zufolge wäre er etwa 45 Kilometer lang und verliefe parallel zur Bosporus-Meerenge, der er laut Regierung einiges vom internationalen Schiffsverkehr abnehmen soll. Dazu sagte Imamoğlu, dass der Verkehr auf dem Bosporus sich in den vergangenen zehn Jahren verringert habe.

Erst vor wenigen Tagen hatte Erdoğan angekündigt, dass bald die Ausschreibungen beginnen werden. Am Montag hatte das Ministerium für Umwelt und Städtebau die Umweltverträglichkeitsprüfung abgesegnet. Am selben Tag kündigte Imamoglu ein vor seiner Zeit unterzeichnetes „Zusammenarbeits-Protokoll“ zum Kanal.

Das Tauziehen um den Kanal ist mehr als ein Streit um ein großes Bauvorhaben. Es sei zum Nebenschlachtfeld geworden für den Machtkampf zwischen Opposition und Regierung, sagen Beobachter – und auch zwischen Erdoğan und einem Herausforderer.

Imamoglu war vor fast genau sechs Monaten als relativ unbekannter Kandidat der großen Oppositionspartei CHP zum Bürgermeister gewählt worden. Er setzte damit der langen AKP-Herrschaft in der größten Stadt der Türkei ein Ende. Unter Erdoğan-Kritikern im In- und Ausland gilt Imamoğlu vielen schon als nächster Präsident.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Der Kanal ist ein Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten, der eine Vorliebe für große Bauvorhaben hat."

    Welcher "führende" Politiker hatte ebenfalls einen Hang zu gigantischen Bauten...?

    • 8G
      84935 (Profil gelöscht)
      @Jens Frisch:

      Nahezu alle! Je dümmer, desto größer die Bauwerke... Diesen Herren ist vermutlich doch irgendwo klar, dass sie in den Geschichtsbüchern irgendwann nicht mehr so gefeiert werde, daher verewigen sie sich in Beton (oder Stein, wie weiland die Pharaonen).

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    "Erst vor wenigen Tagen hatte Erdoğan angekündigt, dass bald die Ausschreibungen beginnen werden."



    Und da werden wundersamerweise die Günstlinge des Erdowahn-Clans den Zuschlag erhalten. Bei diesem Projekt geht es einerseits um das persönliche Denkmal eines größenwahnsinnigen Diktators, andererseits um die Umleitung öffentlicher Gelder in die Taschen seines kleptomanen Clans. Also schlicht und einfach Korruption...



    Die Umwelt ist mal wieder überhaupt kein Hinderungsgrund, aber das ist in Deutschland ja auch nicht anders!

  • Das Herr Imamoglu unter Erdogakritikern als Geheimtipp gilt, ist zwar zu glauben, aber Erdogan, Gül, Babacan und Davatoglu sind landesweit das stärkere Stimmenpaket. Die CHP vom Militärputsch in den achtziger Jahren nicht in dem Umfang profitiert und auch der vor drei Jahren fehlgeschlagene Putsch kassiert sie nach und nach. In der Breite sind viele Stellen, die als Folge des Putsches in den achtziger Jahren vergeben wurden wieder zur Disposition gestellt. Das betrifft die CHP, die traditionell stark in der Verwaltung ist. Viele werden lieber ihren Deal mit der AKP machen, damit alles beim Alten bleibt.