Erderwärmung und Wachstum: Beim Konsum ansetzen
Grünes Wachstum bleibt eine Illusion – zumindest solange die dafür notwendige Technologie fehlt. Trotzdem ist Handeln auch jetzt schon möglich.
Z eit, Gerechtigkeit und Demokratie kommen bei der Debatte um die Rolle von Energieeffizienz in der Transformation zu kurz. Schon jetzt sterben Menschen bei Naturkatastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, und wir sind gefährlichen Kipppunkten in unseren globalen ökologischen Systemen unglaublich nahe. Natürlich kann und muss technologischer Fortschritt einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung und auch anderer Nachhaltigkeitsherausforderungen leisten.
Wir haben ihn aber jetzt, wo wir dringend handeln müssen, noch nicht ausreichend verfügbar, und ob er in Zukunft wirklich grünes Wachstum erlauben wird, ist hoch umstritten. Welche Maßnahmen stehen uns daher zur Verfügung, außer vorsorgend einen anderen Weg zu beschreiten? Wenn die Möglichkeit grünen Wachstums dann doch kommen sollte, können wir immer noch und erst recht die Korken knallen lassen.
Ein vorsorgendes Handeln ist umso notwendiger, als es Milliarden von Menschen in anderen Teilen der Welt gibt, die zunehmend in der Lage sind, unseren westlichen Konsummustern nachzueifern, und das auch nicht erst übermorgen. Umso größer und schneller muss die Wende in den Ländern mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen erfolgen. Wenn es auch einfach ist, mit dem Finger auf ein paar Länder zu zeigen, die da noch vor Deutschland liegen, so sind wir doch nicht weit von der Spitze entfernt.
Die Frage der Gerechtigkeit kommt aber nicht nur ins Spiel, wenn wir über Menschen in anderen Teilen der Welt nachdenken. Sie betrifft natürlich auch das Wohl unserer Kinder und Kindeskinder. Gerechtigkeit ist zudem für alle, die sich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren wollen, im Kontext von Klimakrise und -politik relevant. Der Nutzen von energieintensiven Aktivitäten und Infrastrukturen und die Kosten des Klimawandels sind extrem ungleich verteilt.
ist Professorin und Sprecherin des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören nachhaltiger Konsum und Grenzen des Wachstums sowie Demokratie, Macht und Partizipation.
Arme trifft es härter
Die meisten Deutschen sind keine Vielflieger und beheizen oder kühlen auch nicht riesige Häuser. Die Folgen der Klimakatastrophe betreffen alle, nur Reiche können sich besser schützen. Hier findet eine kontinuierliche Umverteilung von unten nach oben statt. Solche sozialen Auswirkungen gefährden die Nachhaltigkeitstransformation.
Und sie gefährden unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit unsere Demokratie. Probleme, die aus der wachsenden Einkommensschere resultieren, den kommunikativen Blasen, in denen wir uns zunehmend bewegen, wie auch aus der mangelnden Responsivität der Politik den einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen gegenüber, werden durch die ungleiche Verteilung von Kosten und Nutzen weiter verschärft.
Hier muss der Demokratie-erhaltende Aspekt von Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitspolitik zwingend mitgedacht werden. Wenn man nun die Notwendigkeit vorsorgenden Handelns und die Dimensionen von Gerechtigkeit und Demokratie zusammenbringt, dann muss die Frage nach einem gerechten Energiekonsum gestellt werden, der es erlaubt, auch in Krisenzeiten die grundlegenden Bedarfe aller zu bedienen. Ein Fokus auf Effizienzgewinne suggeriert, dass es Hauptaufgabe der Politik sei, technologische Innovation zu fördern.
Kernaufgabe der Politik ist aber, ein gutes (Zusammen-)Leben Aller zu fördern. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen. Der Blick sollte sich auf das notwendige Mindestmaß an Konsum wie auch auf Maximalgrenzen des Konsums richten. Ein Mindestmaß an Konsum ist natürlich zur Bedürfnisbefriedigung und Möglichkeit, ein „gutes Leben“ zu führen, notwendig.
Nicht jeder Wunsch muss erfüllt werden
Maximalgrenzen des Konsums wiederum würden garantieren, dass Überkonsum durch Einzelne oder Gruppen nicht die Möglichkeit eines guten Lebens für andere zerstört. Die Perspektive auf Konsumkorridore stellt die Frage nach „genug“, und zwar im doppelten Sinne: „genug für mich“ und „genug für alle anderen“. Sie erlaubt damit den Fokus auf zweierlei: Was ist für Lebensqualität wirklich wichtig?
Das ist, wenn man mal all das Dekorum und Gedöns weglässt, für den allergrößten Teil von uns Menschen gar nicht so unterschiedlich. Hier gilt es, zwischen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden, wie auch zwischen Bedürfnissen und den Produkten oder Dienstleistungen, mit denen wir sie befriedigen. Während die Befriedigung eines Bedürfnisses ermöglicht werden sollte, muss nicht jeder Wunsch mit jedem Produkt befriedigt werden können.
Gleichzeitig ermöglicht die Perspektive der Konsumkorridore die gesellschaftliche Diskussion über Grenzen des Konsums. Sie unterstreicht, dass Konsum nicht nur eine private Entscheidung ist, sondern immer auch eine gesellschaftliche Dimension hat. In Zeiten, in denen uns Klimakatastrophen klarer denn je die Grenzen der Belastbarkeit unserer Ökosysteme aufzeigen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass diese Grenzen auch Konsequenzen dafür haben, wie(viel) wir konsumieren können.
Dabei gibt es Optionen, wie wir als Einzelne unsere Lebensstile verändern können. Die Entscheidungen für die Nutzung des ÖPNV statt des Autos oder gegen das Fliegen gehören dazu. Viel muss sich aber auch an den wirtschaftlichen und politischen Strukturen ändern, die immer noch darauf ausgerichtet sind, in erster Linie Konsum und Wachstum zu steigern. In der liberalen Marktwirtschaft hat Konsum einen Heiligenschein aufgesetzt bekommen und wird schnell als Inbegriff unserer Freiheit beschrieben.
Aber hört unsere Freiheit nicht da auf, wo sie die Freiheit anderer (und die Zukunft unserer Zivilisation) einschränkt? Eine gemeinsame Anerkennung und Umsetzung sozial und ökologisch verträglicher Grenzen von Konsum würde uns erlauben, sowohl Gerechtigkeit und Demokratie zu fördern als auch Zeit verschaffen. Sie würde uns ermöglichen, einen wirklich großen Schritt in Richtung Transformation zu machen, unabhängig davon, ob die Möglichkeit grünen Wachstums noch kommt oder nicht.
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