Entwicklungsministerin Schulze in Afrika: Der Stabilitätsanker reißt sich los

Von Deutschlands großer neuer Sahel-Strategie bleiben Fischer und Flüchtlinge in Mauretanien. Unterwegs mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze.

Ministerin sitzt lachend neben Frau an Nähmaschine

„Was wir hier machen, ist wichtig“: Svenja Schulze mit einer Näherin in einem Unicef-Projekt Foto: Leon Kuegeler/photothek/imago

NOUAKCHOTT/ABUJA taz | So einen Empfang ist Svenja Schulze nicht gewohnt. Lautes Trommeln und Singen schallt der deutschen Entwicklungsministerin entgegen, Frauen in bunten Kleidern umtanzen sie singend: „Deutschland, Deutschland, Schulze, Schulze.“

Die Gehuldigte lässt sich willig von der Menge entführen, hin zu einem kleinen Fischmarkt am Meer. Fischer tragen kistenweise Fisch aus den Holzbooten und kippen ihn am Strand aus, zum Verkauf. Es ist schwülwarm, der Geruch nach Salz und Fisch dringt in jede Pore.

Schulze besucht in Mauretanien ein Entwicklungsprojekt, das Deutschland seit Jahrzehnten unterstützt: Kühltruhen für die Pirogen, Schulungen für Verkäuferinnen, eine Radarstation für die Küstenwache, die über das Einhalten der Fangquoten wacht. Wer keine gültige Lizenz hat, muss seinen Außenborder abgeben, im Innenhof der Station am Hafen hängen schon zwei Dutzend.

Die Ministerin ist begeistert. „Was wir hier machen, ist wichtig. Diese Region ist ein Epizentrum des Terrorismus. Hier Arbeitsplätze zu schaffen, ist ein Schritt nach vorn zur Stabilisierung“, sagt sie. Der Seewind verweht ihre Haare. Neben ihr steht Mauretaniens Fischereiminister und bedankt sich für die langjährige gute Zusammenarbeit, die sich weiter entwickeln möge.

Nach dem Putsch in Niger: Sahel-Politik in Trümmern

Svenja Schulze ist nicht nur als deutsche Entwicklungsministerin gekommen. Die SPD-Politikerin kommt auch als Präsidentin der Sahel-Allianz – ein Bündnis der westlichen Entwicklungshilfegeber. Mauretanien wiederum hat gerade den Vorsitz der G5 inne – ein Zusammenschluss der fünf Sahelstaaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad, der allerdings nach dem Austritt Malis nur noch als G4 existiert, wenn überhaupt.

Schulze will wissen, was man hier über den Putsch in Niger denkt. Am Dienstag trifft sie Mauretaniens Staatspräsidenten Ould Ghazouani, der eng mit dem gestürzten nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum befreundet ist. Am Mittwoch reist sie weiter nach Nigeria, wo die westafrikanische Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) ihren Sitz hat. Die Ecowas hat Sanktionen gegen Niger verhängt und erwägt immer noch, militärisch einzugreifen.

Von den Gesprächen mit der Ecowas, die am Mittwochnachmittag noch andauerten, erhofft sich Schulze Aufschluss darüber, wie es weitergeht. Als Entwicklungsministerin möchte sie, dass die derzeit eingefrorenen deutschen Gelder für Niger schnell wieder fließen. Als Sahel-Allianz-Präsidentin will sie, dass die Ecowas und der Westen eng zusammenstehen. Sie ist also auch auf halbdiplomatischer Mission im Sahel unterwegs, einer der ärmsten und explosivsten Regionen der Welt.

Die Bundesregierung will sich stärker in der Region engagieren und hat im Mai ihre Sahel-Strategie neu ausgerichtet. Entwicklungshilfe und militärisches Engagement sollen Hand in Hand gehen. „Was im Sahel passiert, geht uns etwas an“, so die grüne Außenministerin Annalena Baerbock damals: islamistische Terrorgruppen, russische Einflussnahme, Fluchtrouten nach Europa.

Doch die noch vor wenigen Monaten als beispielhaft gepriesene verstärkte militärische Zusammenarbeit mit Niger, als da noch eine gewählte Regierung an der Macht war, erweist sich heute nach dem Putsch als Bumerang. Der „Stabilitäts­anker“ hat sich losgerissen.

In Berlin war man total überrumpelt. Von den in der Sahel-Strategie namentlich als Partner genannten Staaten ist nur noch Mauretanien übrig. Der Begriff Stabilitätsanker ist gestrichen. Mauretanien sei eine stabile Demokratie in einer fragilen Region, heißt es aus der deutschen Botschaft in Nouakchott.

Schulzes Reise ist auch eine Erkundung, wie man die Situation so falsch einschätzen konnte, und ein tastendes Suchen, was künftig anders laufen muss. Wie arbeitet man auf Augenhöhe mit Ländern zusammen, in denen Putschisten regieren? Wie können Hilfspakete für Länder geschnürt werden, die Frauen unterdrücken und Homosexuelle zum Tode verurteilen, ohne die eigenen Werte zu verraten?

Von Rückzug hält Schulze nichts. „Wir mussten in Niger alle Projekte einfrieren, weil es keine Regierung gibt, mit der wir zusammenarbeiten können. Wir versuchen gerade umzusteuern in Projekte, die regierungsfern laufen.“ Das wird für einige funktionieren, aber nicht für alle. Die geplante Frauenklinik wird Deutschland sicher nicht mit dem Roten Halbmond eröffnen. Wie geht es also weiter?

„Wir versuchen gerade umzusteuern“

Mauretanien könnte eine Blaupause sein, hofft man. Das bitterarme Land ist dreimal so groß wie Deutschland, hat aber gerade mal so viele Einwohner wie Berlin. Auf der geostrategischen Landkarte der Bundesregierung taucht Mauretanien bislang nur am Rande auf. In der deutschen Botschaft arbeiten acht Leute. Keine deutsche politische Stiftung unterhält eine Dependance, das einzige Kino in der Hauptstadt Nouakchott betreibt das Institut français.

Doch plötzlich ist Mauretanien von den fünf Kernländern der Sahelzone das einzige mit einer demokratisch gewählten Regierung. In Mauretanien putschten sich zwar immer wieder Militärs an die Macht, sie ließen sich aber später durch Wahlen bestätigen und aus solchen Wahlen ging 2019 der amtierende Präsident hervor. Die Hoffnung ist, dass die Junta in Niger einen ähnlichen Weg wählt. So, wie es auch Mali plant.

Zudem ist Mauretanien vergleichsweise friedlich. 100.000 Menschen aus dem von Gewalt geschüttelten Mali hat Mauretanien bereits aufgenommen, pro Kopf mehr Flüchtlinge als das reiche Deutschland, und ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung und zum Gesundheitswesen gewährt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk und die deutsche Regierung unterstützen das.

Schulze besucht ein Registrierungszentrum für Flüchtlinge in der Hauptstadt und lobt: „Mauretanien zeigt, wie man die Menschen so aufnehmen kann, dass sie eine Perspektive haben.“

Doch in der mauretanischen Regierung, so heißt es nach den Gesprächen am Dienstag, sei man besorgt, dass die Konflikte in der Region übergreifen, die Flüchtlingszahlen sich verdoppeln und auch Terroristen Mauretanien als Rückzugsort entdecken. Der Putsch in Niger sei der eine Putsch zu viel gewesen.

Leila Kparambeti kam vor neun Jahren aus der Zentralafrikanischen Republik. Sie berichtet, dass Flüchtlinge es auf dem mauretanischen Arbeits- und Wohnungsmarkt bereits schwer hätten. Sie würde gern ihre Kinder auf eine höhere Schule schicken, doch dazu fehlt ihr das Geld.

Die gelernte Buchhalterin hat über das Registrierungszentrum und auch mit deutschen Entwicklungsgeldern einen Nähkurs absolviert und verkauft selbstgemachte Gewänder. „Am liebsten würde ich mich mit anderen Frauen selbstständig machen und einen Laden eröffnen. Doch dazu bräuchte ich Kredite, um Nähmaschinen anzuschaffen und Miete zu bezahlen.“

Eine Mitarbeiterin des Zentrums zuckt nur bedauernd die Schultern. Das Geld für das Zentrum sinkt, die Zahl der Flüchtlinge steigt.

Grüner Wasserstoff – für Deutschland oder für Mauretanien?

Ob man Mauretanien nicht noch mehr unterstützen müsse, fragt sich der mitreisende außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid. In Gesprächen mit mauretanischen Politikern habe es geheißen, die EU unterstütze Tunesien, wo es vergleichsweise schlecht läuft, aber Länder wie Mauretanien, in denen es gut klappt, würden kaum wahrgenommen.

„Aber es darf nicht nur um Flüchtlinge gehen. Wir müssen Partnerschaften auf Augenhöhe hinbekommen“, meint Schmid. Er plädiert dafür, Mauretanien in der Produktion von grünem Wasserstoff zu unterstützen. Mauretanien hat Wasser und Sonne, Deutschland Hochöfen.

Aber Mauretanien hat auch Eisenerz. Was also, wenn das Land nicht nur günstigen grünen Wasserstoff produziert, sondern auch grünen Stahl? Die deutsche Stahlindustrie wäre nicht begeistert.

Im Oktober kommen die Mauretanier zu Regierungsverhandlungen nach Deutschland. Schmid meint: „Wir müssen uns auf selbstbewusste Länder einstellen und stärker auf deren Interessen eingehen. Das kann auch dazu führen, dass wir nicht gleich einer Meinung sind.“

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