Enttäuschung gegenüber der Regierung: Ich liebe eine Ampel
Eine Beziehungskiste, die nach vielen Enttäuschungen gerade im Dreck steckt. Insbesondere nach dieser Woche. Da hilft nur noch Selbstlosigkeit.
Sechzehn Jahre waren es, wirklich eine Langzeitbeziehung, und immer gab es nur Kartoffelsuppe. Zeit also, sich in etwas Neues zu stürzen. Hals über Kopf war es dann um einen geschehen Anfang Dezember: Zur Adventszeit stolperte man auf dem Weihnachtsmarkt ein bisschen unerwartet in die Ampel, auch weil Schwarz-Grün schon besoffen und Jamaika bereits nach Hause gegangen war. Ampel also, auch schön, komm an mein Herz.
Und war ja auch schön am Anfang. Selfies. Scholzomat-Witzchen, Antrittsreisen um die ganze Welt. Und, so zumindest die Sehnsucht, endlich nachholen, was man in den vergangenen Jahren versäumt hatte: erneuerbare Energien ausbauen, Tempolimit, Selbstbestimmungsgesetz, besserer ÖPNV, schnelleres Internet und mehr Wohnraum. Endlich ein neuer Lebensabschnitt mit Wumms und Schmackes und roten Rosen.
Das mit dem Wumms kam dann allerdings anders als erwartet – und statt Flitterwochen musste man sich in der neuen Partnerschaft gleich mit wirklich heftigen Problemen auseinandersetzen. Seitdem heißt es: Zähne zusammenbeißen. Sich zusammenraufen und Enttäuschungen auch mal weglächeln. Wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“. Aber was, wenn man den Eindruck hat, dass es nun langsam reicht mit den Enttäuschungen? Dem Runterschlucken?
In der vergangenen Woche zum Beispiel: Nach ewigem Rumgemache mit dem Gaspreisdeckel kommen sie dann mit einer halbgaren So-lala-Regelung, die einerseits Wohlhabende bevorzugt, andererseits für Ärger mit den Nachbarn sorgt und an und für sich auch keine richtige Lösung für Menschen mit niedrigem Einkommen und fehlenden Rücklagen ist. Und dafür hat man sich nun wochenlang bemüht, im Dialog zu bleiben? Jeden Tag Zeitung gelesen und Nachrichten geschaut? Getwittert, gepostet, Latschdemo? Um am Ende auch noch darüber zu diskutieren, wie viele Atomkraftwerke denn nun noch zusätzlich am Netz bleiben sollen? Heilige Greta.
Wahlloses Googeln hilft
Und was ist denn nun eigentlich mit den geplanten 400.000 Wohnungen: „Ja, es wird schwer, aber wir halten an dem Vorhaben fest.“ 3D-Drucker kaputt?
Wenn man wirklich nicht mehr weiterweiß in der Beziehung, soll ja wahlloses Googeln helfen: „Wer Perfektion verlangt, bleibt oft allein. Aber wer sich zu sehr verleugnet, gibt sich auf. Ein uraltes Dilemma – wo hört Toleranz auf, wo fängt Selbstverleugnung an? Verliere ich mich irgendwann selbst, wenn ich zu viele Kompromisse eingehe?“, spricht der Ratgeber. Ja, gut. So ganz ohne Regierung will man natürlich am Ende auch nicht dastehen. Und eigentlich ist es ja auch Liebe, die zudem noch nicht ewig währt – und zurück zur Kartoffelsuppe, die man angeblich noch vermissen werde, will auch niemand.
Keine Rede mehr von heißer Liebe
Also: „Toleranz bedeutet, dass wir bereit sind, von uns abweichende Sichtweisen oder unserer Meinung nach unangemessene Handlungen zu dulden oder zuzulassen. Das Gegenteil dazu ist Intoleranz. In der Partnerschaft ist Toleranz sehr wichtig. Zumeist haben wir, wenn überhaupt, dann nur während wir verliebt sind, den Eindruck, unser Partner entspreche vollkommen unseren Vorstellungen. Ansonsten werden wir Denk- und Verhaltensweisen bei unserem Partner entdecken, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Wir haben dann die Wahl, diese zu tolerieren oder dagegen anzugehen“.
Ja, an diesem Punkt sind wir nun wohl angelangt. Von heißer, verzehrender Liebe ist keine Rede mehr, stattdessen also Toleranz. Auch mal tolerant sein gegenüber der eigenen Regierung! Wollen wir, dass unser Partner sich verändert, dann sind wir darauf angewiesen, dass er die Notwendigkeit einer Veränderung einsieht und bereit ist, an der Veränderung zu arbeiten. Ha! Niedersachsen! Mehr muss man dann gar nicht sagen. Niedersachsen!! Das kann sich die Ampel mal hinter die Löffel schreiben, denn bei aller Liebe, Toleranz bedeutet nicht, dass wir das, was wir tolerieren, auch gut finden müssen.
Es liegt an uns, die Beziehungskiste zu retten
Am schlimmsten aber sind ja in jeder Beziehung die leeren Versprechungen und die verschleppte Umsetzung von Ankündigungen. Zermürbend: Bis zum Jahresende 2022, so hieß es im März, werde das diskriminierende Transsexuellengesetz abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Und nun, ein Jahr nach der Bundestagswahl, heißt es: „Für den Referentenentwurf, der derzeit erarbeitet wird, kann voraussichtlich eine Ressortabstimmung und Verbändebeteiligung bis Ende des Jahres eingeleitet werden“ (Sven Lehmann, Grüne). Süßholzraspeln klingt wirklich anders, und das mit der Selbstbestimmung muss dann noch bis 2023 warten, leider, leider. Und dann wird auch die Spülmaschine aus- und die Garage aufgeräumt, alles klar.
Am Ende, so viel zeichnet sich ab, wird es alleine an uns liegen, den Wählern also, die Beziehungskiste mit der Ampel zu retten, denn die scheint mit sich selbst ausreichend beschäftigt zu sein – sagt auch Wolfgang Kubicki, und der kennt sich aus mit Beziehungskisten. Wir müssen vor allem verzeihen. Aber Verzeihen ist kein „Hinwegsehen“, es ist Loslassen. Wir sind nachtragend, um den Anderen zu bestrafen, aber belasten damit eher uns selbst als ihn. Der Andere merkt nichts von unseren Grollgedanken, aber wir verschwenden damit unsere Zeit. Werde dir darüber bewusst, dass Verzeihen nicht bedeutet, das Verhalten gutzuheißen. Du kannst dich nach wie vor davon abgrenzen, aber es der Person nicht mehr übel nehmen.
In Ordnung, so machen wir es. Wir nehmen den Deckel und die Wohnungen, die wir kriegen können. Wir beten für die Energiewende und schnelleres Internet. Wir warten auf mehr Selbstbestimmung und Rezeptausstellung via Chipkarte. Wir lassen los und lieben. Und nehmen nicht übel. Und ja, wir werden einander noch viel verzeihen müssen. Und das tun wir auch – außer dem Jens Spahn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen