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Enttäuschung gegenüber der RegierungIch liebe eine Ampel

Eine Beziehungskiste, die nach vielen Enttäuschungen gerade im Dreck steckt. Insbesondere nach dieser Woche. Da hilft nur noch Selbstlosigkeit.

Statt Flitterwochen musste man sich in der neuen Partnerschaft gleich mit wirklich heftigen Problemen ausein­an­der­setzen Foto: Friedrich Stark/imago

Sechzehn Jahre waren es, wirklich eine Langzeitbeziehung, und immer gab es nur Kartoffelsuppe. Zeit also, sich in etwas Neues zu stürzen. Hals über Kopf war es dann um einen geschehen Anfang Dezember: Zur Adventszeit stolperte man auf dem Weihnachtsmarkt ein bisschen unerwartet in die Ampel, auch weil Schwarz-Grün schon besoffen und Jamaika bereits nach Hause gegangen war. Ampel also, auch schön, komm an mein Herz.

Und war ja auch schön am Anfang. Selfies. Scholzomat-Witzchen, Antrittsreisen um die ganze Welt. Und, so zumindest die Sehnsucht, endlich nachholen, was man in den vergangenen Jahren versäumt hatte: erneuerbare Energien ausbauen, Tempolimit, Selbstbestimmungsgesetz, besserer ÖPNV, schnelleres Internet und mehr Wohnraum. Endlich ein neuer Lebensabschnitt mit Wumms und Schmackes und roten Rosen.

Das mit dem Wumms kam dann allerdings anders als erwartet – und statt Flitterwochen musste man sich in der neuen Partnerschaft gleich mit wirklich heftigen Problemen ausein­an­der­setzen. Seitdem heißt es: Zähne zusammenbeißen. Sich zusammenraufen und Enttäuschungen auch mal weglächeln. Wir sind hier nicht bei „Wünsch dir was“. Aber was, wenn man den Eindruck hat, dass es nun langsam reicht mit den Enttäuschungen? Dem Runterschlucken?

In der vergangenen Woche zum Beispiel: Nach ewigem Rumgemache mit dem Gaspreisdeckel kommen sie dann mit einer halbgaren So-lala-Regelung, die einerseits Wohlhabende bevorzugt, andererseits für Ärger mit den Nachbarn sorgt und an und für sich auch keine richtige Lösung für Menschen mit niedrigem Einkommen und fehlenden Rücklagen ist. Und dafür hat man sich nun wochenlang bemüht, im Dialog zu bleiben? Jeden Tag Zeitung gelesen und Nachrichten geschaut? Getwittert, gepostet, Latschdemo? Um am Ende auch noch darüber zu diskutieren, wie viele Atomkraftwerke denn nun noch zusätzlich am Netz bleiben sollen? Heilige Greta.

Wahlloses Googeln hilft

Und was ist denn nun eigentlich mit den geplanten 400.000 Wohnungen: „Ja, es wird schwer, aber wir halten an dem Vorhaben fest.“ 3D-Drucker kaputt?

Wenn man wirklich nicht mehr weiterweiß in der Beziehung, soll ja wahlloses Googeln helfen: „Wer Perfektion verlangt, bleibt oft allein. Aber wer sich zu sehr verleugnet, gibt sich auf. Ein uraltes Dilemma – wo hört Toleranz auf, wo fängt Selbstverleugnung an? Verliere ich mich irgendwann selbst, wenn ich zu viele Kompromisse eingehe?“, spricht der Ratgeber. Ja, gut. So ganz ohne Regierung will man natürlich am Ende auch nicht dastehen. Und eigentlich ist es ja auch Liebe, die zudem noch nicht ewig währt – und zurück zur Kartoffelsuppe, die man angeblich noch vermissen werde, will auch niemand.

Keine Rede mehr von heißer Liebe

Also: „Toleranz bedeutet, dass wir bereit sind, von uns abweichende Sichtweisen oder unserer Meinung nach unangemessene Handlungen zu dulden oder zuzulassen. Das Gegenteil dazu ist Intoleranz. In der Partnerschaft ist Toleranz sehr wichtig. Zumeist haben wir, wenn überhaupt, dann nur während wir verliebt sind, den Eindruck, unser Partner entspreche vollkommen unseren Vorstellungen. Ansonsten werden wir Denk- und Verhaltensweisen bei unserem Partner entdecken, die nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Wir haben dann die Wahl, diese zu tolerieren oder dagegen anzugehen“.

Ja, an diesem Punkt sind wir nun wohl angelangt. Von heißer, verzehrender Liebe ist keine Rede mehr, stattdessen also Toleranz. Auch mal tolerant sein gegenüber der eigenen Regierung! Wollen wir, dass unser Partner sich verändert, dann sind wir darauf angewiesen, dass er die Notwendigkeit einer Veränderung einsieht und bereit ist, an der Veränderung zu arbeiten. Ha! Niedersachsen! Mehr muss man dann gar nicht sagen. Niedersachsen!! Das kann sich die Ampel mal hinter die Löffel schrei­ben, denn bei aller Liebe, Toleranz bedeutet nicht, dass wir das, was wir tolerieren, auch gut finden müssen.

Es liegt an uns, die Beziehungskiste zu retten

Am schlimmsten aber sind ja in jeder Beziehung die leeren Versprechungen und die verschleppte Umsetzung von Ankündigungen. Zermürbend: Bis zum Jahresende 2022, so hieß es im März, werde das diskriminierende Transsexuellengesetz abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Und nun, ein Jahr nach der Bundestagswahl, heißt es: „Für den Referentenentwurf, der derzeit erarbeitet wird, kann voraussichtlich eine Ressortabstimmung und Verbändebeteiligung bis Ende des Jahres eingeleitet werden“ (Sven Lehmann, Grüne). Süßholzraspeln klingt wirklich anders, und das mit der Selbstbestimmung muss dann noch bis 2023 warten, leider, leider. Und dann wird auch die Spülmaschine aus- und die Garage aufgeräumt, alles klar.

Am Ende, so viel zeichnet sich ab, wird es alleine an uns liegen, den Wählern also, die Beziehungskiste mit der Ampel zu retten, denn die scheint mit sich selbst ausreichend beschäftigt zu sein – sagt auch Wolfgang Kubicki, und der kennt sich aus mit Beziehungskisten. Wir müssen vor allem verzeihen. Aber Verzeihen ist kein „Hinwegsehen“, es ist Loslassen. Wir sind nachtragend, um den Anderen zu bestrafen, aber belasten damit eher uns selbst als ihn. Der Andere merkt nichts von unseren Grollgedanken, aber wir verschwenden damit unsere Zeit. Werde dir darüber bewusst, dass Verzeihen nicht bedeutet, das Verhalten gutzuheißen. Du kannst dich nach wie vor davon abgrenzen, aber es der Person nicht mehr übel nehmen.

In Ordnung, so machen wir es. Wir nehmen den Deckel und die Wohnungen, die wir kriegen können. Wir beten für die Energiewende und schnelleres Internet. Wir warten auf mehr Selbstbestimmung und Rezept­aus­stellung via Chipkarte. Wir lassen los und lieben. Und nehmen nicht übel. Und ja, wir werden einander noch viel verzeihen müssen. Und das tun wir auch – außer dem Jens Spahn.

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4 Kommentare

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  • Es ist doch alles nur "halb" so schlimm - halb deshalb, weil ja die Hälfte der Wählerschaft genau das bekommt, was sie gewählt hat. Zwar könnte es sogar noch schlimmer kommen, aber auch dann bliebe es aus vorgenanntem Grund nur "halb" so schlimm. Wirklich schlimm ist es lediglich für diejenigen, sich schon vor den Wahlen an einer Hand ausgerechnet haben, daß es zwangsläufig so oder so ähnlich kommen würde und deshalb ihr Kreuz an anderer Stelle gemacht haben.

  • "MARTIN REICHERT



    Redakteur taz.am Wochenen" - Besser hätte ich den Job auch nicht beschreiben können, den er gemacht hat.

  • Grün signalisiert hier passenderweise schon mal U-Turn, das U kann genauso gut für das ständige Verbiegen stehen, mit dem der grüne Teil offenbar den einzigen ihm zugedachten Part in dieser Konstellation erfüllt, nämlich ihr pures Überleben zu sichern oder zu verlängern (wer auch immer sie dafür gewählt hat) und wenn das nicht schon selbstlos ist, weiß ich es nicht. Hoffentlich ist nicht nur mir ein Rätsel, erst recht nachdem dieselben Reflexe über ein Jahrzehnt Grokokrampf erklären, wie man sich auf so etwas gleich wieder versteifen kann, das dabei von niemandem bestritten schon als Experiment gestartet ist und als man, die großen Krisen noch nicht absehend, ja auch glauben konnte, das wär jetzt mal die Zeit. Längst ist klar sie ist es nicht und wenn jemand meint, die größte Bedrohung und Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik - und existenzielle Nöte für Millionen auch hierzulande - sei genau der richtige Zeitpunkt, für parteitaktische Spielchen oder Selbstbeschäftigung, dann kann er das von mir aus besser in der Opposition. Dann geht eben auch nicht die Welt unter, dann geht es rot/grün zunächst weiter, entweder geschäftsführend oder als Minderheitsregierung. Gewählt wird so schnell nicht. Wer weiß, was es bei manchen schon auslöste, zur Abwechslung mal wieder'n klaren, unverstellten Blick auf die Lager und Verhältnisse zu erhalten, aber ich glaube inzwischen genau davor hat man in Deutschland Angst. Zu glauben, dass eine streng rechte Partei wie die FDP mit gelben Herzchen für linke Politik zu gewinnen wäre, find ich naiv. Und daher auch Enttäuschung über die Koalition im Mindesten deplatziert. Nach nicht mal einem Jahr hat Hubertus Heil eine der größten Reformen seit der Jahrtausendwende auf den Weg gebracht. Robert Habeck mit dem Osterpaket allein mehr für die EE erreicht als 16 Jahre Angel Merkel.

  • Klingt ja nett.

    Ich frage mich aber, wie es sein kann, dass ein Grüner Wirtschaftsminister



    * Sonderabgaben für Betreiber von Windkraft- und Solaranlagen unterstützt, damit Vertrauen beschädigt und künftige Investitionen behindert, und



    * mit einem 200 Mrd.-Programm den Verbrauch fossiler Energieträger subventioniert, und



    * dabei sogar diejenigen bestraft, die nach dem russischen Kriegsbeginn Erdgas gespart haben: Während diese nebenbei Kosten einsparen wollten, müssen sie nun stattdessen insgesamt mehr für ihre Energie zahlen (als "Dank" für ihre Gaseinsparung beommen sie laut Konzept der Gaskommission die Subventionen für eine geringere Gasmenge, und die entzogene Subvention ist in Euro deutlich größer als die Einsparung in Euro, die sie sich durch die abgedrehte Heizung zu erwirtschaften hofften - mit andere Worten, wer im Winter freiwillig einen Pullover mehr angezogen hatte, muss insgesamt mehr zahlen für den geringeren Gasverbrauch), während



    * die Solarverbote in der Fläche bleiben.