Entscheid über Schwarz-Rot in Berlin: Was hält die SPD aus?
Am Sonntag wird bekannt, ob es in Berlin zu Schwarz-Rot kommt. Auch bei einem „Ja“ der SPD-Basis werden tiefe Wunden in der Partei bleiben.
D ieser Samstag ist in der Berliner SPD der Ruhe und der Spekulation gewidmet. Bis Freitag, 23.59 Uhr, durften die rund 18.500 hiesigen Mitglieder darüber abstimmen, ob sie den mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag für ausreichend halten, um als Juniorpartner mit der Union bis 2026 Berlin zu regieren. Ausgezählt wird aber erst am Sonntag. Wie, also, könnte der Entscheid ausgegangen sein?
Die Parteiführung um Raed Saleh und die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte bekanntlich die Urabstimmung durchgesetzt, in der Hoffnung, dass die Basis konservativer tickt als die aktuellen Delegierten eines Parteitags. Deren erstes Treffen nach dem Wahldebakel vom 12. Februar, bei dem die SPD zum dritten Mal in Folge ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Berlin holte, soll erst Ende Mai stattfinden – und nur massiver Druck verhinderte einen noch späteren Termin. Schon diese Taktik war den Kritiker*innen des Koalitionsvertrags sauer aufgestoßen.
Viele bemängeln darüber hinaus, dass der Landesvorstand sie benachteilige und sogar ausgrenze, wenn es um die Kommunikation mit den Mitgliedern gehe. In einem viel beachteten Interview mit N-TV erklärte die Vorsitzende des SPD-Ortsverbands Kreuzberg 61, Hannah Lupper, vor wenigen Tagen: „Seit Wochen erreichen uns an der Basis täglich E-Mails des Landesvorstandes, in denen die Segnungen der Großen Koalition gepriesen werden. Aber Gegenpositionen kommen darin nicht vor.“ Gegner*innen von Schwarz-Rot würden die parteiinternen Kanäle verschlossen bleiben. Luppers Schlussfolgerung: „Da laufen Dinge – das geht gar nicht.“
Doch ist diese Taktik ein Zeichen, dass in der Parteiführung die Angst vor einer Niederlage umgeht – oder vielmehr der Hinweis, dass man den erwarteten Sieg noch zementieren möchte? Das bleibt genauso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob der von den Jusos – von Anfang an erklärte Gegner*innen einer Zusammenarbeit mit der CDU – angekündigte “größtmögliche Widerstand“ und die entsprechende Kampagne auf Resonanz an der Basis gestoßen sind.
Die größte Schwierigkeit bei allen Spekulationen: Der größte Teil der Abstimmungsberechtigten sind passive Mitglieder, die kaum je eine Versammlung besuchen oder auf andere Weise sich an Debatten beteiligen. Unklar ist zudem, ob ältere Mitglieder – der Berliner Durchschnittssozialdemokrat ist 52,4 Jahre alt – eher an einer Regierungsbeteiligung, egal zu welchem Preis, festhalten oder angesichts der traumatischen Erfahrungen der SPD aus der großen Koalition bis 2001 genau die andere Schlussfolgerung ziehen.
Allgemein lässt sich nur sagen, dass anders als zu Beginn der Abstimmung vor drei Wochen viele Parteimitglieder einen knappen Ausgang erwarten. Egal in welche Richtung.
Giffey braucht einen klaren Erfolg
Allerdings bräuchte vor allem Franziska Giffey nach ihrem freiwilligen Verzicht auf das Rote Rathaus – eine Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken wäre ja rechnerisch problemlos möglich gewesen – ein klares und deutliches Ergebnis, um ihre Position in der Partei zu sichern. Die Regierende, 2022 nur mit mageren 60 Prozent als Parteichefin bestätigt, kämpft um ihr politisches Überleben. Wie angeschlagen sie ist, wird sich bei einem „Ja“ der Mitglieder daran ablesen lassen, welchen Posten im Senat sie bekommt.
Bei einem „Nein“ könnten sich Giffey und wohl auch Saleh kaum noch an der Parteispitze halten. Eine dann wieder mögliche rot-grün-rote Koalition müsste ohne sie auskommen – wobei völlig offen ist, wer anstelle von Giffey ins Rote Rathaus einziehen könnte. Die Debatte in der SPD über den künftigen Kurs würde von Neuem aufbranden – ob sie unter diesen Umständen überhaupt regierungsfähig ist, bezweifeln viele.
So könnte es zu der absurd anmutenden Situation kommen, dass die Grünen in eine Koalition mit der CDU gedrängt werden, nachdem die SPD diese abgelehnt hat. Doch Schwarz-Grün wäre dann die letzte mögliche Option. Auch aus diesem Grund betonen viele Grüne in den letzten Tagen, dass die Tür zu Rot-Grün-Rot wieder aufgestoßen werden könnte.
Doch auch bei einem „Ja“ werden Giffey und Saleh wie schon nach der Klatsche auf dem Parteitag im Juni 2022 auf eine Versöhnungstour durch die Ortsverbände gehen müssen. Zu laut, zu forsch war die Kritik von den Gegner*innen von Schwarz-Rot an ihrem Führungsstil.
Ob sie dabei erfolgreich sein werden, hängt davon ab, ob sich zum einen eine personelle Alternative vor allem zu Giffey herauskristallisiert, und zum anderen, wie Schwarz-Rot startet. Vor allem die mit der CDU vereinbarte künftige Innen- und Sicherheitspolitik, die eine SPD-Senatorin – wahrscheinlich erneut Iris Spranger – umsetzen müsste, ist beim linken Parteiflügel in die Kritik geraten.
Klar ist damit schon jetzt: Der Parteivorstand hat die Debatte während des Mitgliederentscheids unterschätzt. Statt um bloßes Abnicken geht es ums Ganze – mit Folgen, die noch bis 2026, dem Jahr der nächsten Wahl, spürbar sein werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
USA nach Trump-Wiederwahl
Das Diversity-Drama