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Entlastungspaket der BundesregierungWer hat, der kriegt

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Das Entlastungspaket der Ampel ist sozial unausgewogen. Steuergeschenke helfen ärmeren Menschen kaum. Ein 0-Euro-Ticket wie in Spanien würde unterstützen.

Öko­no­m*in­nen weisen darauf hin, dass bei der geplanten Steuerentlastung mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent ankommt Foto: Imago

N eulich rief in der Berliner S-Bahn eine ältere Frau den Fahrgästen zu: „Vergesst nicht, armen Menschen Geld zu geben, die Regierung tut es nicht. Auch Olaf Scholz bekommt 300 Euro Energiepauschale!“ Obwohl die Frau mit ihrem Appell lediglich allgemeines Desinteresse und vereinzeltes Schmunzeln erntete, hatte sie doch einen zentralen Kritikpunkt an der bisherigen Krisenpolitik der rot-grün-gelben Bundesregierung angesprochen: Per Gießkannenprinzip wird Geld an alle Bürger*innen, ob arm oder reich, verteilt, statt diejenigen gezielt zu unterstützen, die angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise in existenzielle Not geraten.

Um die Bür­ge­r*in­nen zu entlasten, schnürt die Ampelkoalition ein Paket nach dem anderen. Bislang vor allem zugunsten der Wirtschaft und von Gutverdiener*innen. Die jüngsten Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von stattlichen 65 Milliarden Euro sollen nun die Fehler der Vergangenheit ausbügeln. Mit Einmalzahlungen für Rent­ne­r*in­nen und Studierende, einer Erhöhung des Kinder- und Wohngeldes, Steuererleichterungen und einer Strompreisbremse sollen auch armutsbetroffene Menschen in die Lage versetzt werden, Grundbedürfnisse wie Heizen, Essen und Miete noch bezahlen zu können.

Doch löst das Entlastungspaket sein Versprechen auch ein? Und vor allem: Ist es sozial gerecht? Auf den ersten Blick mutet es so an, schließlich werden ärmere Haushalte durch die Sozialtransfers tatsächlich entlastet. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Maßnahmen aber doch als sozial unausgewogen: So weisen Öko­no­m*in­nen darauf hin, dass bei der geplanten Steuerentlastung mehr als die Hälfte bei den oberen 20 Prozent ankommt – die nun wirklich keine Hilfe benötigen, um über den Winter zu kommen.

Auch gegen die größte Belastung der privaten Haushalte – die Gasrechnung – gibt es keine passgenauen Maßnahmen. Dabei hätte ein Gaspreisdeckel sowie ein Moratorium für Gas- und Stromsperren sicherstellen können, dass niemand im Dunkeln sitzen und frieren muss.

Das 9-Euro-Ticket war die sinnvollste Maßnahme

Auch die Einmalzahlungen sind kaum dazu geeignet, die Menschen von den steigenden Lebenshaltungskosten zu entlasten. Nicht nur, weil eine einmalige Geldspritze langfristig keine Probleme löst und 300 Euro nicht ausreichen, um die Preissteigerung bei Gas um bis zu 200 Prozent auszugleichen. Vor allem aber werden auch hier wieder pauschale Geldgeschenke auch denen gemacht, die sie gar nicht brauchen. Denn nicht alle Rent­ne­r*in­nen oder Studierenden brauchen finanzielle Unterstützung, einige von ihnen sind durchaus wohlhabend.

Es ist wie mit der Energiepauschale für Erwerbstätige: Warum sollte Bundeskanzler Olaf Scholz, der rund 30.000 Euro im Monat verdient, oder eine Top­ma­na­ge­rin mit Topgehalt steuergeldfinanzierte Unterstützung erhalten, während eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern nicht weiß, wie sie ihren Einkauf bezahlen soll?

Sozial gerecht ist das nicht. Doch kann der Staat den Anspruch sozialer Gerechtigkeit überhaupt einlösen? Per Definition müsste er dann sicherstellen, dass die Lebensbedingungen, Chancen und Möglichkeiten für alle Menschen annähernd gleich sind. In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der eine Minderheit die Mehrheit der Gesellschaft ausbeutet, ist das per se unmöglich. Doch auch ohne die Abschaffung des Kapitalismus kann der Staat zumindest eine Annäherung an dieses Ziel erreichen. Und Maßnahmen verabschieden, die soziale Ungleichheit abmildern und soziale Härten abfedern – statt diese wie durch die Gasumlage noch zu vergrößern.

Die einzige Krisenmaßnahme, die diesen Anspruch erfüllt hat, wurde nach nur drei Monaten wieder abgeschafft: Das 9-Euro-Ticket. Dadurch wurde allen, auch armen Menschen, Mobilität ermöglicht, die so vom sozialen Status entkoppelt wurde. Mit dem nun geplanten 49- oder 69-Euro-Ticket wird Mobilität wieder zu einem Privileg, das man sich leisten können muss. Dabei macht Spanien vor, wie es geht: Ein per Übergewinnsteuer finanziertes 0-Euro-Ticket für alle. Das ist das einzige Gießkannenprinzip, das wirklich hilft – der Umwelt und den Menschen.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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12 Kommentare

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  • Nur 200 Prozent Steigerung beim Gaspreis wäre ja schon schlimm genug, meine Kollegin hat jetzt aber eine Preissteigerung von 700% (von 5cent/kWh auf über 40) angekündigt bekommen. Hier wird von einigen Gaslieferanten schamlos ausgenutzt, dass so gut wie kein Gasanbieter noch Neukunden aufnimmt. Ein Gaspreisdeckel und eine ordentliche Übergewinnsteuer sind absolut notwendig.

  • Ein dauerhaftes Null-Euro-Ticket würde vermutlich die meisten besser betuchten Bahnfahrer in die ICs und ICEs vertreiben, Nah- und Regionalverkehr fallen dann für die Verkehrswende aus. Wer kann, würde dann vermutlich Auto fahren …

    • @Taztui:

      ...oder es wird eine Begrenzung für den Erwerb eines 0- Euro Tickets eingeführt. Z.B. nur für Bürger mit einem Jahreseinkommen bis maximal 120.000,-- Euro im Jahr. Die Pendler und Dienstreisenden mit einem Einkommen darüber hinaus und bei Politikern zahlt eh das Unternehmen oder der Dienstherr.

  • Klar, das 9-Euro Ticket war super.



    Von Giesskanne kann auch keine Rede sein, schliesslich sind die Begünstigten nur die, die nach jahrzehntelangem Todsparen der Öffis überhaupt noch damit fahren können.

    Deshalb ist es auch so sinnvoll, das 9-Euro-Ticket weiterlaufen zu lassen - nur so kann man sicherstellen, dass die Öffis auf keinen Fall auf dem Land ausgebaut werden und die Verkehrswende scheitert - denn dafür ist dann kein Geld mehr da, das hat man verschenkt.

    • @elektrozwerg:

      Das 9€ Ticket war umweltschädliche Tourismusförderung zu einem absurden Preis.

      • @Wombat:

        ...bei uns, einer gut 170.000.00 Einwohner zählenden Stadt, war der individual Verkehr merklich zurück gegangen. Viele Familien haben ihr Auto stehen gelassen und die Straßen waren wesentlich freier. Viele Reisende fuhren mit Rucksack oder Trolly Koffer mit den öffentlichen Verkehrsmittel zum Bahnhof. Also hier wurde 3 Monate richtig solidarisch Umweltschutz betrieben.

  • Ich bin ein großer Freund des Gießkannenprinzips: Allen denselben Zuschuss zu gönnen, ist gerecht, geht am schnellsten und ist ohne bürokratische Hürden machbar.



    Nur wenige sind sehr wohlhabend, so dass es kaum ins Gewicht fällt, wenn man sie auch bezuschusst. Die Armen werden davon nicht ärmer und die Reichen nicht wirklich reicher. Man kann den Zuschuss außerdem der Steuerpflicht unterwerfen. Die meisten Steuern zahlen ohnehin die obersten 20% der Einkommensverteilung, so dass es nur gerecht ist, auch ihnen den Zuschuss zuzugestehen.

    Natürlich brauchen auch viele, die zu den obersten 20% der Einkommensverteilung gehören, die Zuschüsse, da sie nicht von ihrem Vermögen leben können und z. B. Kinder haben, die woanders studieren. Nur ungefähr die obersten 5% der Vermögensverteilung können von ihrem Vermögen leben. Alle anderen müssen für den Lebensunterhalt arbeiten.

    • @Aurego:

      das stimmt. Gebt allen dieselbe Summe, aber einkommenssteuerpflichtig.

  • "Dabei macht Spanien vor, wie es geht: Ein per Übergewinnsteuer finanziertes 0-Euro-Ticket für alle."



    Gute Politik sollte aber nicht nur situativ und reaktiv handeln, sondern vorausschauend und langfristig orientiert angelegt sein. Spätestens nächstes Frühjahr wird sich die Marktlage wieder zu normalisieren beginnen. Dann ist es auch mit der Übergewinnsteuer vorbei und das spanische Modell steht vor einem Finanzierungsproblem.

  • Stimme zu, nur das 9 Euo Ticket konnten sich auch GutverdienerInnen kaufen.



    Schwierigkeit ist wohl der Aufwand zielgerichtet zu fördern. Beispiel: Jemand der eine kleine Rente erhält, aber Immobilienbesitz hat und vermietet. Müsste alles individuell geprüft werden. Die Finanzämter haben eh zu wenig MitarbeiterInnen.



    Alternativ könnte man nur Geld an Alg2 und WohngeldbezieherInnen ausschütten. Die sind eh geprüft und haben es sicherlich am nötigsten. Dem steht aber wohl Herr Lindner und seine Entourage entgegen.

  • 49 Euro für eine Regio-Flat ein Privileg?



    Give me a break.

    • @RagnarDannesjkoeld:

      Willkommen in Deutschland. Wer bis jetzt 100 oder 150 Euro zahlen musste und also auch konnte, ist natürlich nicht gemeint. Darum ja Privileg. Aber vorgesehen für Nahverkehr im Regelsatz ALG 2: knapp 40 EUR. Und da ist Inflation/Strompreis garantiert noch nicht berücksichtigt. Fallen schon mal'n paar Millionen raus. Von den zig weiteren Millionen Rentnern haben viele nicht mal das übrig. Es muss oder will auch nicht jeder täglich fahren, aber das war bei neun Euro eben auch nicht die Frage. So aber reduziert sich die Zielgruppe im Wesentlichen auf Berufspendler, das hilft auch vielen, aber der Gedanke war mal ein anderer.