Entgleisungen der Woche: Rhetorische Peniskanonen
Diskursiv wurde scharf geschossen. Manche wurden sogar handgreiflich diese Woche. Zeit für einen Streik.
E rst wollte ich heute eigentlich streiken. Aus Solidarität mit den Drehbuchautoren in Hollywood. Ich fühle mit ihnen, nicht nur weil sie – wie ich, wie wir alle hier – verdammt noch mal viel mehr Kohle verdient haben, als sie bekommen. Die Drehbuchautorinnen aber natürlich ganz besonders, sie sind die letzten, die uns auf diesem abgefuckten, von Mansplainern, Klimaleugnern und anderen Peniskanonen geebneten highway to hell ein wenig Ablenkung und Erheiterung verschaffen.
Also schreibe ich Ihnen heute doch was, auch wenn ich mich frage, ob Arbeit in dieser dem Untergang geweihten Welt überhaupt noch sinnvoll ist. Vielleicht nicht mit so vielen Cliffhangern wie bei den Genossen aus Hollywood, dafür aber auch keine mehrteiligen Epen. Ich hatte, anders als die schreibende Hollywood-Hautevolee, bayerische Grundschullehrer, die meine ausufernden Aufsätze grässlich fanden. Seitdem fasse ich mich kurz.
Die Serie, die ich diese Woche gebinget habe, war sowieso keine Hollywoodproduktion, sondern eine aus dem Hause Realitydrama: die Klebeaktionen der Letzten Generation und die mediale Schmonzette darüber – Stichwort: Urlaubsbeginn versaut! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich gönne uns allen Urlaub. Ich gönne den Kindern der jetzt Empörten aber auch eine Zukunft auf diesem Planeten außerhalb kühler Erdlöcher.
Schuld an der Verrohung
Schwer zu guckender Höhepunkt des Dramoletts: der völlig enthemmte Lastwagenfahrer, der zwei Aktivist:innen erst brutal von der Straße zerrt und dann einfach losfährt, obwohl sie wieder auf der Straße sitzen. Ob er das sehen konnte oder nicht, ob man das versuchten Mord oder fahrlässige Körperverletzung nennen soll, kann ich nicht beurteilen, ich bin kein Jurist. Immerhin musste er seinen Führerschein abgeben. Hoffentlich für immer.
Was ich weiß: An einer derartigen Verrohung hat nicht nur die böse Springer-Presse Schuld, sondern auch die Bundesregierung, die ihre sich selbst gesteckten Klimaziele nicht nur von innen heraus torpediert, sondern es auch nicht schafft, diesen friedlichen Protest mit seinen zum Weinen geringen Forderungen (Tempolimit, 9-Euro-Ticket, ein Gesellschaftsrat) einzuhegen. Die dumme Rede davon, dass man alle mitnehmen müsse, könnte sie sich sparen, wenn sie einfach ihre eigenen Vorhaben umsetzen würde, statt zuzulassen, dass die, die sie daran erinnern, kriminalisiert werden; oder entmenschlicht wie vom FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt, der im Bezug auf die Letzte Generation von „totalitärem Abschaum“ twitterte.
Die Empörten könnte die Politik abholen, indem sie ihre Vorhaben kraft ihrer rhetorisch geschulten Superpower als sinnvoll, ja notwendig erklärte und außerdem Geld in sozialen Ausgleich pumpte. Herrgott, bei Corona ging es doch auch.
Alle mal abkühlen
Doch statt die erhitzten Gemüter zu kühlen, was ihr Job wäre, feuert die Politik – zumindest die in Berlin (schon klar, andere Koalition, sogar ohne FDP) – einen neuen Knaller ab: Schließung einiger Freibäder nach Gewaltvorfällen. So nimmt man garantiert niemanden mit. Klar, eine kleine Gruppe Nervensägen darf den friedlichen Rest nicht in Mitleidenschaft ziehen. (Wenn Sie hier Vergleiche zur Letzten Generation ziehen, denken Sie bitte noch mal nach.) Aber das bisschen Abkühlung steht allen zu.
Sonst brennen uns allen bald die Sicherungen durch wie dem Israeli, der Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik wegen ihrer Aussagen in einem Interview mit Tilo Jung in Tel Aviv verbal attackiert hat.
Zugleich muss man sich auch sehr wundern, wieso eine Wissenschaftlerin, Nahostexpertin gar, nicht merkt, dass sie hier eine der bekanntesten antisemitischen Wahnvorstellungen reproduziert, die von der „jüdischen Weltverschwörung“, wenn sie sagt, die israelische Regierung könne in der Nahostpolitik auf Deutschland „Druck ausüben“, weil „wir sie zum Schiedsrichter gemacht haben darüber, ob wir sinnvoll mit unserer Vergangenheit umgehen“. Bei solchem Quatsch streikt mein Gehirn tatsächlich spontan.
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