Entführung von Trinh Xuan Thanh: Alles fast wieder normal
Die Bundesregierung hat 2017 die Entführung von Trinh Xuan Thanh als Rechtsbruch verurteilt, die meisten Sanktionen aber wieder aufgehoben.

Die einst vorbildlichen diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam sind durch die Entführung von Trinh Xuan Thanh vor fünf Jahren aus den Fugen geraten. Nach der Entführung wies Deutschland zwei Diplomaten aus, darunter den Verbindungsbeamten des vietnamesischen Geheimdienstes in Berlin, Nguyen Duc Thoa. Er hatte maßgeblich das Entführungsopfer ausgespäht und ging in der Operationszentrale der Entführung, die in einem Berliner Hotelzimmer eingerichtet wurde, ein und aus. Die Bundesregierung bezeichnete die Entführung als „völlig unakzeptablen Bruch des Völkerrechts und Vertrauensbruch“ und forderte die sofortige Wiedereinreise von Trinh Xuan Thanh.
Als Ende September 2017 klar wurde, dass Vietnam nicht darauf einging und weiter von einer angeblichen freiwilligen Rückreise des Entführungsopfers sprach, setzte Deutschland die „Strategische Partnerschaft“ mit Vietnam aus. Bestehende Projekte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurden zwar fortgesetzt, aber keine neuen begonnen. Deutsche Regierungsvertreter führten nur noch Gespräche auf Arbeitsebene, Vietnams Diplomaten wurden von der Einladungsliste des Auswärtigen Amtes gestrichen. Auch das damals noch nicht ratifizierte EU-Freihandelsabkommen mit Vietnam wurde eine Zeit lang auf Eis gelegt.
Im November 2018 nahm Deutschland den Druck aus dem Kessel: Die meisten diplomatischen Sanktionen wurden wieder aufgehoben. Das war einerseits dem Druck der deutschen Wirtschaft geschuldet, die auf dem dynamischen Markt Vietnam wieder gut Geschäfte machen wollte, aber andererseits auch sicherheitspolitischen Interessen geschuldet. Vietnam hat als Nachbarland Chinas eine wichtige Rolle in der Region – auch für den deutschen Auslandsgeheimdienst BND. „Ich habe die Hoffnung, dass Trinh Xuan Thanh rauskommt, nicht aufgegeben“, sagt seine Anwältin Petra Schlagenhauf. „Ich sehe aber das Problem, dass nach wie vor diejenigen Personen, die diese Entführung höchstpersönlich in Auftrag gegeben haben, in ihren hohen Ämtern sind.“
Damit meint sie Parteichef Nguyen Phu Trong und Innenminister To Lam. Ersterer hatte vor der Entführung erklärt, Trinh Xuan Thanh vor ein vietnamesisches Gericht zu stellen, „egal, wo er sich befindet“. To Lam reiste drei Tage nach der Entführung nach Bratislava, um Thanh mit einem slowakischen Regierungsflieger aus dem Schengen-Raum zu holen.
Visafreiheit für vietnamesische Diplomaten bleibt ausgesetzt
Manche diplomatische Sanktionen sind bis heute geblieben: Inhaber vietnamesischer Diplomatenpässe dürfen nach Angaben des Auswärtigen Amtes nicht wieder visafrei nach Deutschland reisen wie bis 2017. Mehrere Mitentführer aus dem Geheimdienst waren auf diese Weise nach Deutschland gekommen. Weiterhin wurde es Vietnam laut Quellen aus der Berliner Polizei und aus dem Umfeld vietnamesischer Diplomaten nicht ermöglicht, in der vietnamesischen Botschaft in Berlin wieder Verbindungsbeamte für die Polizei und die Geheimdienste zu akkreditieren. Eine Bestätigung des Auswärtigen Amtes dazu gibt es nicht, es ließ eine taz-Anfrage unbeantwortet. Der Verbindungsbeamte der Polizei war unter anderem dabei, als das Entführungsopfer von Berlin nach Tschechien gefahren wurde.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch fordert von der Bundesregierung, die Frage der Menschenrechte in Vietnam stärker zu thematisieren. „Sie ist in den letzten fünf Jahren schlechter geworden“, sagt deren Vertreter Wolfgang Büttner. „Die komplette Zivilgesellschaft wurde ausgeschaltet.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin