: Vermieter erschweren Balkonkraftwerke
Viele Mieter*innen wollen eigene Solarzellen auf dem Balkon. Nicht erst seit dem Ukrainekrieg steigt die Nachfrage enorm. Eine Genehmigung brauchen die kleinen Anlagen nicht, doch Vermieter*innen müssen meist zustimmen. In Hamburg stellen einige hohe Anforderungen. Manche verbieten die Installation gleich ganz
Von Alina Götz
Die eigene Stromrechnung senken und etwas für den Klimaschutz tun: Das wollte ein Paar aus Hamburg. Und zwar mit einem sogenannten Balkonkraftwerk. Die kleinen Solaranlagen mit einer Leistung von bis zu 600 Watt sind für den Eigenverbrauch gedacht.
Die beiden wollen ihren Namen nicht nennen, um es sich nicht mit den Hamburger Genossenschaften zu verscherzen. Sie ist Mieterin beim Bauverein der Elbgemeinden (BVE). Mit knapp 20.000 Mitgliedern und über 13.800 Wohnungen zählt der BVE nach eigenen Angaben „zu den bedeutenden Wohnungsunternehmen“ in Hamburg und Umgebung. Er wohnt zwar anderswo, wollte die Installation aber in die Hand nehmen und rief beim BVE an, um nach der Zustimmung zu fragen – doch die hat er nicht bekommen. Die Anlagen seien beim BVE grundsätzlich verboten, habe man ihm gesagt. Daraufhin meldete er sich bei der taz.
„Wenn es nicht die bürokratischen Hürden des Staates sind, ist es krass, dass nun die Vermieter abblocken“, sagt er. Die beiden hätten die Anlage mit einfachen Schellen am Geländer befestigen wollen, eine Außensteckdose gebe es bereits. Dennoch wollte man lieber vorher bei der Genossenschaft anklopfen. Denn eine Genehmigung durch die Vermieter*innen ist notwendig, wenn eine Anlage an der Fassade – auch an der Balkonaußenwand – befestigt werden soll. Und wenn für die Installation Leitungen verlegt werden müssen, also wenn eine Außensteckdose noch nicht vorhanden ist, braucht es ebenfalls die Zustimmung.
Auf Nachfrage der taz bestätigt der BVE: „Für Wohnungen in Mehrfamilienhäusern/Geschosswohnungsbauten können wir die individuelle Installation eines Solargerätes, eines Balkonkraftwerkes oder Ähnlichem überwiegend nicht genehmigen.“ Photovoltaikdächer und Anwohnerstrom-Modelle gehörten ohnehin zum „Gesamtkonzept“ der Genossenschaft, aber Balkone gehörten nicht zu den Flächen, auf denen eine Installation „technisch und/oder wirtschaftlich“ Sinn ergebe.
Die Gründe für die Entscheidung des BVE sind vielfältig. Da wäre zum einen die Gefahr durch Sturm, falls die Anlage nicht ordnungsgemäß befestigt werde. Auch die erforderliche Elektroinstallation, zum Beispiel einer Außensteckdose, wird in der Mail des BVE-Sprechers aufgelistet. Gefolgt von der Statik: „Inwiefern die Installation Einfluss auf die Statik hat, müsste in jedem Einzelfall bewertet werden.“ Auch habe man Sorge, dass Nachbar*innen durch die Paneele geblendet würden. Ganz zu schweigen von der Ästhetik – die Fassade würde nicht mehr einheitlich aussehen, heißt es. Auch entspreche es nicht dem genossenschaftlichen Grundsatz, weil Mitglieder mit Balkon bessergestellt sein würden. Einfacher sei die Genehmigung allerdings bei Einzel- oder Doppelhaushälften. Acht Anfragen habe es von den Mitglieder:innen bislang insgesamt gegeben. Insgesamt betrachte man die eigene Lösung als „sinnvoll und praktikabel“.
Das sieht der Partner der BVE-Mieterin anders: „Hier wird die Energiewende der vermeintlichen Sicherheit geopfert.“ Der BVE wolle sich nicht mit möglichen Haftungsfragen auseinandersetzen, „falls jemand so bescheuert wäre, ein mehrere Hundert Euro teures Modul mit Bindfaden am Geländer festzutüddeln und nicht ordentlich gegen Winddruck zu sichern“. Auch Fenster könnten blenden, Blumentöpfe herunterfallen. „Es geht ja nicht um Spaß der Einzelnen, sondern um die Energiewende, da könnten die doch nicht generalisierter Bremser sein.“
Er habe nach dem Korb durch den BVE aus Interesse auch beim Hamburger Altonaer Spar- und Bauverein (Altoba) nachgefragt – dort habe es den Anschein gemacht, als gebe es keine Regelung. „Die wollten den Einzelfall prüfen.“ Auch die taz fragte bei der Genossenschaft nach. In der vergangenen Woche sagte eine Sprecherin, man kläre die Frage gerade intern. Derzeit gebe es noch keine Anlagen an Balkonen der Mieter*innen.
Ein Stecker-Solargerät erzeugt Strom, den ein sogenannter Wechselrichter in Haushaltsstrom umwandelt. Dieser wird über eine Außensteckdose in den vorhandenen Kreislauf gespeist. Sie werden meist an Balkonbrüstungen angebracht, funktionieren aber auch auf Garagendächern, Terrassen oder an Außenwänden.
Ein Modul mit 380 Watt Leistung, montiert an einem Südbalkon, könnte im Durchschnitt etwa einen Kühlschrank und eine Waschmaschine eines Zweipersonenhaushalts versorgen. Eine Speicherung des Stroms ist nicht möglich.
Eine Behörde muss Balkonsolaranlagen mit bis zu 600 Watt Leistung nicht genehmigen. Jedoch müssen Vermieter*innen gefragt werden, wenn an der Außenfassade, auch der von Balkonen, etwas angebracht wird oder die Bausubstanz verändert wird.
Angemeldet werden muss die Anlage ebenso beim regionalen Netzbetreiber sowie bei der Bundesnetzagentur. Für die kleinen Anlagen gebe es recht einfache Formulare, schreibt die Verbraucherzentrale. Ohne Anmeldung droht ein Bußgeld.
Neben der Anlage und einer Außensteckdose wird auch ein Stromzähler gebraucht, der den Stromverbrauch und die Rückspeisung ins Netz getrennt misst. Denn auch, wenn die Anlage für den Eigenverbrauch ist, kann es bei Überschuss zu Netzeinspeisung kommen. Für diesen bekommen die Besitzer*innen aber kein Geld: Eine Einspeisevergütung lohnt sich schlicht nicht. Den Wechsel zum sogenannten Zweirichtungszähler zahlt der Netzbetreiber.
Am Montag war die Entscheidung dann gefallen: Der Altoba genehmigt die Installation unter bestimmten Voraussetzungen, beispielsweise wenn es eine TÜV-Zulassung gibt und Mieter*innen die Anlage selbst beim Netzbetreiber anmelden. Allerdings: „Keine Genehmigung erteilen wir für die Montage einer Solaranlage außen an der Balkonbrüstung oder an der Hausfassade.“ Die Verbraucherzentralen halten den Montageort hinter der Balkonbrüstung allerdings für ungeeignet.
Es gebe immer wieder „einzelne unbefriedigende Rückmeldungen“, sagt Volker Henkel von der Initiative Solisolar. Der Verein organisiert kostengünstige Sammelbestellungen, hilft bei der Anmeldung und beim Aufbau der Solaranlagen. Vorbild der Initiative ist ihr Bremer Pendant Solidarstrom. Das Abhollager ist in Henkels Garage. Erst im Frühjahr gegründet, hatte Solisolar Mitte Juli bereits die ersten 50 Bestellungen, bis heute sind es etwa 150, sagt Henkel. „Die Beschaffung ist sehr aufwendig und mühsam.“ Vor einem Jahr habe man noch mehr Auswahl gehabt – derzeit seien einzelne Teile sehr schwer zu bekommen. Aktuell zahlen die Käufer*innen bei Solisolar für eine 320-Watt-Anlage knapp über 600 Euro. Henkel will mit seinem Engagement der Gesellschaft etwas zurückgeben. „Wir Städter müssen auch produzieren. Wir können uns nicht nur auf die Windturbinen auf dem Land verlassen.“ Sein Traum: „Schwarze Paneele statt rote Klinker.“
Eine von diesen genannten „unbefriedigenden Rückmeldungen“ ist von der Hamburger Wohnungsgenossenschaft von 1904 e.G. – der Mailwechsel zwischen Genossenschaft und Mieterin liegt der taz vor. Aus der Anfrage der Mieterin geht hervor, dass sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und ihre eigenen Energiekosten senken möchte; auch, dass sie zum wiederholten Male bei der Genossenschaft um Erlaubnis bittet. In der Antwort schätzt die Genossenschaft ihre Bemühungen über mehrere Absätze sehr – leider sei eine Installation aber nicht möglich. Denn eine nicht fachgerechte Montage stelle ein Risiko dar, und schließlich sei man für die Verkehrssicherheit vor den Gebäuden verantwortlich. Die Argumentation ähnelt der vom BVE.
Henkel findet sie „destruktiv“. Eine fachgerechte Montage könne man schließlich vereinbaren. Solisolar hat eine Argumentationshilfe sowie eine Beschlussfassung vorformuliert, die Eigentümer*innen nutzen können, wenn sie in der Genossenschaft entscheiden wollen, Balkonkraftwerke zu ermöglichen. Darin steht zum Beispiel, dass die Haftung durch eine Versicherung der Betreiber*innen abgedeckt werden kann, also durch die Mieter*innen. Auch gehe beispielsweise von Sturm keine Gefahr aus, sofern die Anlagen eben fachgerecht montiert sind. In der Argumentationshilfe heißt es auch, dass Steckersolargeräte sicher seien, wenn sie ein Sicherheitszertifikat haben – andere seien ohnehin gar nicht erlaubt. Und wer sich Sorgen um die Optik macht: Man könne vereinbaren, dass einheitliche schwarze Module anderen vorzuziehen seien.
Doch Henkel hat auch schon anderes erlebt als reines Verhindern. Ein Bekannter habe vor der Installation der Anlage von seinem Vermieter eine lange Liste mit Auflagen erhalten: alles zurückbauen, wenn er mal ausziehen sollte, 1.000 Euro zusätzliche Kaution, eine eigene Versicherung. „Das ist hart, aber da hat sich jemand mal konstruktiv Gedanken gemacht“, findet Henkel.
Volker Henkel, Initiative Solisolar
So handhabt es auch die Saga, ein kommunales Unternehmen in Hamburg. Man stehe den Balkonkraftwerken „grundsätzlich positiv“ gegenüber, sofern „gewisse Voraussetzungen“ erfüllt werden, schreibt ein Sprecher der taz. Mieter*innen müssen demnach die Kosten für eine „fachgerechte Installation“ und die Instandhaltung übernehmen. Die Verkehrssicherheit müsse gewährleistet sein, und wenn die Mieter*innen ausziehen, solle alles wieder aussehen wie vorher. „Ob und inwiefern sich einzelne Balkone oder Terrassen für die verschiedenen Anlagen der Anbieter eignen, muss immer im Einzelfall geprüft werden.“ Klingt kompliziert, ist aber immer noch besser als beim BVE.
Der Wohnungskonzern Vonovia bewegt sich irgendwo zwischen kompliziert und einem klaren Nein. „Wo keine Eingriffe am Gebäude notwendig und eine regelkonforme Installation sichergestellt werden kann, haben unsere Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit, diese Technologien zu installieren“, schreibt ein Sprecher. „Bauliche Maßnahmen“ sind allerdings verboten. Dazu zählt wohl auch das Verlegen einer Leitung auf den Balkon, sollte dort noch keine Steckdose sein. „Im Zweifel den Vermieter fragen“, lautet die Devise.
Volker Henkel berichtet weiter, dass nicht nur die Genossenschaften und Konzerne engagierten Mieter*innen einen Strich durch die Rechnung machen können – auch mit dem Denkmalschutzamt Altona ist zu rechnen. Eine Mieterin, die an einer Balkonsolaranlage interessiert ist, habe im Juli diese Antwort erhalten: „Das Anbringen eines im Sinne der Nachhaltigkeit fragwürdigen Solarpaneels aus Kunststoff verändert das Erscheinungsbild des Denkmals und ist daher nicht genehmigungsfähig.“ Das Schreiben liegt der taz vor. Denkmal- und Klimaschutz müssten jedoch in jedem Einzelfall abgewogen werden, findet Henkel. „Das so grundsätzlich zu formulieren ist eine Unverschämtheit.“ Eine Anwältin von Solisolar habe sich der Sache inzwischen angenommen.
Auf den Rechtsweg haben sich im vergangenen Jahr auch Mieter*innen in Stuttgart verlassen – und bis heute wohl die einzige amtsgerichtliche Entscheidung zu dem Thema erwirkt. Obwohl ihre Vermieterin ihnen eine Installation nicht erlaubt hatte, bauten sie sich ein Solarmodul auf den Balkon. Die Vermieterin klagte dagegen – und verlor. Das Amtsgericht Stuttgart begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass die Anlage fachgerecht installiert worden und dafür keine Veränderungen in der Bausubstanz nötig gewesen sei. Auch die politische Bedeutung der kleinen Kraftwerke betonte das Gericht: Das Solarmodul führe nicht nur zur Einsparung von Kosten der Mieter*innen, sondern auch zu Einsparung von Energie. „Im Zuge der politisch angestrebten Energiewende bringt die Solaranlage auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes, welcher als Staatsziel in Artikel 20a Grundgesetz verankert ist, objektiv Vorteile“, so das Gericht.
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