piwik no script img

Energiewende in GefahrDer nächste Stromstau im Norden

Verteilnetzbetreiber SH Netz warnt, dass der viele Sonnenstrom, der im nördlichsten Bundesland erzeugt werden soll, womöglich abgeriegelt werden muss.

Bei Neubau fast immer umstritten:- aber nötig für die Energiewende: Strommast Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Die ehrgeizigen Ziele der schleswig-holsteinischen Landesregierung beim Ausbau erneuerbarer Energien könnten am Stromnetz scheitern. „Wir werden wieder in solche Situationen kommen, in denen Strom nicht eingespeist werden kann“, warnte Matthias Boxberger, Aufsichtsratschef der Schleswig-Holstein Netz AG (SH Netz) dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (SHZ). Ebenso wie bisher schon bei der Windkraft drohten in Zukunft Photovoltaikanlagen abgeriegelt zu werden, wenn sie zu viel Strom produzierten.

Das Problem besteht darin, dass Schleswig-Holstein schon seit 2016 mehr erneuerbaren Strom erzeugt, als es verbrauchen kann – vor allem aus Wind. 2020 konnte sich das Land rechnerisch zu 160 Prozent selbst versorgen – vier Fünftel davon aus Windkraft. Um den Überschuss abzutransportieren, sollen Übertragungsleitungen innerhalb Schleswig-Holsteins sowie nach Süddeutschland verlegt werden. Eine Leitung nach Norwegen steht schon.

Mitte November hat SH Netz-Vorstand Benjamin Merkt skizziert, was auf sein Unternehmen im Zuge der Energiewende an installierter Leistung zukommt: „Als Verteilnetzbetreiber, der zehntausende EEG-Anlagen unmittelbar an sein Stromnetz anschließt, erwarten wir bei der Windkraft in den nächsten Jahren eine Verdopplung von 6.600 Megawatt auf 15.000 MW und bei der Photovoltaik fast eine Verzehnfachung von 1.600 MW ebenfalls auf 15.000 MW.“ Statt 24 Terawattstunden wie in 2020 will das Land 2030 im Wesentlichen damit rund 40 bis 45 Terawattstunden erneuerbarer Energie erzeugen.

Aufsichtsratschef Boxberger machte nun darauf aufmerksam, dass es Stand heute schwierig werden könne, den Sonnenstrom auch abzuschöpfen. Dabei geht es vor allem um große Photovoltaikanlagen auf Brachflächen und Feldern. Sie könnten binnen zwei oder drei Jahren gebaut werden, die Leitungen zum Stromtransport jedoch nicht.

Schleswig-Holstein habe mit seinem Landesentwicklungsplan und den darin ausgewiesenen Windvorrangflächen eine gute Planungsgrundlage für die Windenergie. „Wo wir aber planerisch Niemandsland haben, ist die Photovoltaik“, sagte Boxberger dem SHZ. Für die 5.000 Megawatt Windenergie könne SH Netz heute schon planen. Für die Photovoltaik sei das nicht möglich, weil niemand wisse, wo die Anlagen gebaut würden.

Netzaufbau hinkt hinterher

„Es ist ein Flickenteppich, der schwer einzuschätzen ist“, bestätigt Marc Timmer von der SPD-Landtagsfraktion. Er erkennt an, dass der Ausbau der großflächigen Photovoltaik schwierig zu steuern ist. Denn die Planungshoheit dafür liege bei den Kommunen.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat zwar im Herbst 2021 einen Beratungserlass „zur Planung von großflächigen Solar-Freiflächenanlagen im Außenbereich“ veröffentlicht. Darin werden Standorte vorgeschlagen, die sich nach Ansicht der Landesregierung besonders für Freiflächenanlagen eignen, wie etwa bereits versiegelte Grundstücke, ehemalige Kasernen oder Fabriken oder auch Geländestreifen entlang von Autobahnen oder Bahnlinien. An solchen Orten gebe es in der Regel bereits einen Netzanschluss, um den Sonnenstrom abzuführen, sagt Ulrike Täck von der Landtagsfraktion der Grünen.

Mit dem Erlass sorge die Landesregierung für eine echte Ausbauperspektive und Planungssicherheit, teilte der damalige Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) mit. „Dabei verlieren wir die Interessen der Landwirtschaft und des Natur- und Artenschutzes nicht aus dem Blick“, versicherte der Minister. „PV-Anlagen sind auf zahlreichen Flächen im Land mit Natur- und Artenschutz vereinbar.“

Nicht im Blick hatte er dabei offenbar den Netzausbau. Anders als bei der Windenergie hat das Land auf das Ausweisen von Vorrangflächen verzichtet – wobei die beim Wind allerdings in erster Linie mit der Absicht bestimmt wurden, die Konflikte um die Anlagen zu befrieden.

Auch bei den Photovoltaik-Anlagen brauche es etwas Ähnliches, um eine effiziente Planung zu ermöglichen, sagt der SPD-Abgeordnete Timmer. „Letztlich brauchen wir mehr Steuerung durch das Land, damit alle besser planen können“, findet er. Dazu müssten sich Vertreter des Landes und der Kommunen in einem „strukturierten Prozess“ an einen Tisch setzen.

In einer aktuellen Stellungnahme versichert das Energiewendeministerium, es fänden Gespräche mit den Akteuren auf kommunaler Ebene statt, um den Netzanschluss sicherzustellen. Zudem werde in den nächsten Monaten „eine Zielnetzplanung für ein Klimaneutralitätsnetz“ erwartet, das den Netzausbau beschleunigen und dabei auch zukünftige Verbraucher berücksichtigen solle.

Die Grünen-Abgeordnete Täck weist auf Alternativen hin: Um Überschüsse im großen Stil speichern zu können, fördere die Landesregierung die Wasserstofftechnologie. Hierbei wird Wasser mit Hilfe von Strom in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Letzterer kann dann wieder zu Wasser verbrannt werden. Nicht zu vernachlässigen für die Energiewende sei zudem der dezentral erzeugte Sonnenstrom etwa auf Dächern. Deshalb wolle Schwarz-Grün Batteriespeicher fördern. Die Projektierung der Hochspannungsleitungen, die Überschussstrom von Schleswig-Holstein in andere Bundesländer transportieren sollen, liege im Übrigen im Zeitplan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare