Energieversorgung der Ukraine: Windräder gegen russischen Angriff
Viele Kohlekraftwerke in der Ukraine sind zerstört. Kurzfristig helfen sollen Reparatur-Teile sowie Strom aus der EU, langfristig die Energiewende.
Er werde im Juni nach Berlin zur Wiederaufbau-Konferenz „URC24“ reisen, um mit deutschen Energiemanagern auszuloten, welche Komponenten abgeschalteter Kohleblöcke dem angegriffenen Land helfen können. „Ich will so viele Deals wie möglich abschließen“, erklärt der DTEK-Manager. Für politische Unterstützungsrhetorik oder Absichtserklärungen sei keine Zeit mehr.
Vor dem Krieg betrieb DTEK Fossilkraftwerke mit einer Leistung von 5.000 Megawatt, deckte damit gut ein Viertel des ukrainischen Stromverbrauches. Seit März aber fliegen die Russen permanent Angriffe gegen Kraftwerke und Energie-Infrastruktur der Ukraine, die jüngste Attacke datiert vom 8. Mai: Ausgerechnet an jenem Tag, an dem die Ukrainer den Sieg über Nazideutschland feierten, schickte der russische Aggressor mehr als 50 Raketen und unzählige Drohnen auf die Reise, nicht alle konnte die ukrainische Abwehr abschießen.
„Fast 90 Prozent unserer fossilen Erzeugerkapazitäten sind aktuell zerstört“, sagt Maxim Timchenko. Die Russen hätten ihre Kriegsstrategie geändert, „sie versuchen gezielt, unsere gesamte Energie-Infrastruktur zu zerstören“. Um so auch die Wirtschaft lahmzulegen, so wohl das Kalkül.
Nicht jedes Kraftwerk lässt sich wieder aufbauen
Alle 28 Kraftwerksblöcke, die von DTEK – übersetzt „Donbass-Treibstoff-Energie-Gesellschaft“ – betrieben wurden, sind zerstört. „Zuletzt konnten wir drei wieder reparieren und ans Netz schalten.“ Nicht jedes Kraftwerk lasse sich wieder aufbauen, Maxim Timchenko verweist aber auf einen konkreten Plan des Konzerns, bis zum kommenden Winter 3.200 Megawatt der zerstörten Leistung wieder ans Netz zu bringen.
„Wir haben die personellen und finanziellen Ressourcen, das zu stemmen“, so der DTEK-Chef, dessen Unternehmen zum Imperium des ukrainischen Milliardärs Rinat Achmetow gehört. Dafür brauche es aber bestimmte Bauteile, die nicht handelsüblich und deshalb schwer zu beschaffen sind: Transformatoren, Turbinen, Generatoren. Transformatoren beispielsweise müssen bei Herstellern wie Siemens extra in Auftrag gegeben werden, bis zur Lieferung können zehn Monate vergehen.
Deshalb habe sein Konzern eine Liste mit benötigtem Equipment Partnern in Deutschland, aber auch etwa in Rumänien und Bulgarien zukommen lassen. Timchenko sagt, dass er mit großer Hoffnung nach Berlin reist. Sinn mache der Wiederaufbau aber nur, wenn den Russen nicht sofort eine neuerliche Zerstörung gelinge.
Timchenko: „Zerstören, wieder aufbauen, neuerlich angreifen und zerstören – wir müssen diesen Kreislauf durchbrechen!“ Deshalb fordert er mehr geeignete Waffen, um den ukrainischen Luftraum, in dem es täglich Raketenalarm gibt, besser schützen zu können. Um den Strombedarf aktuell decken zu können, hat die DTEK-Tochter D.Trading ihren Einkauf in europäischen Ländern erheblich erhöht: 46 Prozent jenes Stromes, mit dem der Konzern seine Kunden beliefert, sind derzeit „made in EU“.
Immerhin läuft der Austausch mit dem Stromnetz der EU einwandfrei, wie Mariia Tsaturian, Sprecherin des Übertragungsnetzbetreibers Ukrenergo, berichtet: „Um Schwankungen auszugleichen, werden Stromnetze nie national betrieben, das ukrainische war mit dem russischen verbunden.“
Doch dann kam der russische Überfall und mit diesem wurden auch alle Stromleitungen gekappt. „Seit 16. März 2022 ist die Ukraine mit dem Stromnetz der EU verbunden“, zwar noch im Testbetrieb, aber die Perspektive sei klar. „Wenn wir genug Strom produzieren, können wir stündlich 100 Megawatt in die EU exportieren“, so Tsaturian.
Das allerdings wird erst nach Kriegsende der Fall sein. Immerhin könnte das dann klimafreundlicher Strom sein, denn Unternehmen wie DTEK bauen die Erneuerbaren massiv aus. „In Kooperation mit dem dänischen Vestas-Konzern entsteht derzeit in Tyligulska ein Windpark mit knapp 400 Megawatt Leistung“, sagt Konzernchef Timchenko.
Zwar können Raketen auch Windräder zerstören. Die Strategie des Investments liegt aber auf der Hand: Fossilkraftwerke sind kleine Einheiten mit großer Leistung, in Windparks hingegen arbeiten kleine Einheiten auf großer Fläche, die viel aufwändiger zu zerstören sind.
Zwei weitere Windfarmen hat DTEK in seinem Businessplan stehen, „bis Ende 2026 sollen 2.600 Megawatt dazukommen“, so Timchenko. Aktuell würden 50 Prozent des in der Ukraine produzierten Stroms aus Atomkraftwerken kommen, 35 Prozent aus regenerativen Quellen – nur der Rest kommt noch aus Kohle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden