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Energiepolitik der UnionStudien nach Wunsch

Wirtschaftsministerin Reiche setzt für ihre Energiepolitik auf ein Institut, das für seine Nähe zur fossilen Energiewirtschaft berüchtigt ist.

Katherina Reiche (M.) besucht bei ihrer Sommertour das Kraftwerk Schwarze Pumpe Foto: Frank Ossenbrink/imago

Berlin taz | Hier stehen die Lobbyisten Schlange: Wann immer es gilt, der Politik Argumente zu liefern, damit sie sich in die gewünschte Richtung entscheidet – das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) liefert dafür eine Studie. Schon 2012 untersuchte es die Entwicklung der Stromkosten durch den Ausbau der erneuerbaren Energien, Auftraggeber war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft e. V.

Aus dem Ergebnis bastelte sich die von der Industrie finanzierte Lobbyorganisation die Kampagne „Rettet die Energiewende – stoppt das EEG!“ Tatsächlich kippte damals die Stimmung unter Wähler:innen, die Regierung kürzte die Einspeisetarife so stark, dass alle Hersteller von Solaranlagen hierzulande pleitegingen, fast 80.000 Arbeitsplätze wurden vernichtet.

Genau dieses Institut hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche nun damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, das die Energiepolitik der kommenden Jahre bestimmen wird. Mit dem sogenannten Energie-Monitoring will sie den „zu erwartenden Strombedarf sowie den Stand der Versorgungssicherheit, des Netzausbaus, des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Digitalisierung und des Wasserstoffhochlaufs“ überprüfen.

Von dem Ergebnis hängt ab, wie viel und auch welche Energien die Bundesregierung fördern wird. Verfechter der Energiewende sind alarmiert. Ergebnisse des EWI könnten auf keinen Fall zur Grundlage von politischen Entscheidungen gemacht werden, warnen NGOs – aber auch die energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Nina Scheer.

Positiver Befund für Nord-Stream-Pipeline

Sie alle berufen sich darauf, dass die EWI-Untersuchung von 2012 kein Ausrutscher war: Bereits 2013 machte das Institut mit der Studie „Potenziale für Erdgas im Straßenverkehr“ weiter – Auftraggeber: Zukunft Gas e. V., der Lobbyverband der deutschen Erdgasindustrie. Deren Aufsichtsrat leitet der Ex-Staatssekretär Friedbert Pflüger (CDU), der gleichzeitig jenes Konsortium beriet, das die Nord-Stream-Pipelines baute. Auch für dieses Konsortium erstellte das Kölner Institut eine Studie, deren Ergebnis war, dass der Bau einer zweiten Röhre positiven Einfluss auf die Gaspreisentwicklung in Europa haben wird.

2015 war der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein e. V. Auftraggeber, das Ergebnis der Studie – grob vereinfacht: Nationale Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bringen fürs Klima gar nichts. 2016 ließ sich der Netzbetreiber Amprion von den Kölner Forschern aufschreiben, dass der Konzern im Vergleich zu anderen Konkurrenten bei den Netzentgelten benachteiligt wird.

Mal lässt sich RWE vom EWI eine Studie über den Braunkohlebedarf im Rheinischen Revier schreiben, mal Eon eine über den Wasserstoffmarkt. Wer sich über so viel Industriehörigkeit in der Wissenschaft wundert, der muss wissen: RWE und Eon finanzierten das Institut. In den Jahren 2010 bis 2013 zahlten die beiden Konzerne jährlich je 4 Millionen Euro, die als „Fördergeld“ deklariert wurden. Laut Lobbypedia sicherten sich die beiden Konzerne außerdem das Recht, je einen stimmberechtigten Vertreter in die Berufungskommission für neue Professuren zu entsenden.

Stiftungsprofessor war von 2007 bis 2012 Marc Oliver Bettzüge: Sein Gehalt wurde von 2007 bis 2012 durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, unter anderem wiederum von Eon und RWE, aber auch von der Ruhrkohle AG, dem Lausitzer Braunkohlekonzern Vattenfall Europe Mining & Generation oder von der Bayerngas GmbH bezahlt. Seit 2012 wird Bettzüges Professur mit Haushaltsmitteln der Uni Köln finanziert, er ist auch der geschäftsführende Direktor des Instituts. Und bestens vernetzt: Beispielsweise war er Mitglied des Beirats von „Zukunft Gas“, jener Lobbyorganisation, für die das EWI Gutachten anfertigte.

Energie-Monitoring

Bundes­wirtschafts­ministerin Katherina Reiche (CDU) lässt ein Gutachten zur Energiewende erstellen. Kri­ti­ke­r:in­nen fürchten, dass es dazu dient, den Ausbau von Wind- und Sonnenkraft abzuwürgen. Die taz beschreibt, warum und wie die Energiewende in Gefahr geraten kann.

Gegründet wurde das Energiewirtschaftliche Institut 1943, zeitgleich eine Gesellschaft zur Förderung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln e. V., deren Hauptaufgabe es war, die Einrichtung zu finanzieren. Zuletzt saßen im Vorstand dieser Gesellschaft unter anderem der damalige Eon-Vizechef Guido Knott, Ewald Woste, damals Vizepräsident des Lobbyverbandes BDEW, und Marc Oliver Bettzüge.

Das Lobbyregister des Deutschen Bundestages listet Guido Knott heute unter dem Registereintrag R002421 in den Bereichen „Energie“ und „Umwelt“, Ewald Woste wird unter der Nummer R007230 als „aktiver Interessenvertreter“ geführt. Politisch engagiert sich Bettzüge in der CDU, er ist Mitglied im „Wirtschaftsrat der CDU“. Was nach einem Gremium der Union klingt, in Wirklichkeit aber einer der einflussreichsten Lobbyverbände in Deutschland ist. Und Bettzüge ist einer der Experten, die die Bundesregierung in den „Rat für Klimafragen“ berufen hat.

Vor diesem Hintergrund ist ein Gutachten interessant, das Bettzüges EWI im Jahr 2010 vorlegte: „Energieszenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung“. In diesem wollte die Regierung aus Union und FDP wissen, wie sich Laufzeitverlängerungen der deutschen AKWs von 4, 12, 20 und 28 Jahren auswirken. Ein Ergebnis: „Längere Laufzeiten von Kernkraftwerken (wirken sich, die Red.) dämpfend auf die Strompreise aus.“ Damals nahm die Regierung das Gutachten zur Grundlage, die Laufzeiten der deutschen AKWs bis 2025 zu verlängern.

Auch andere Ergebnisse aus dem Gutachten von 2010 sind interessant. So behauptet es, im Jahr 2025 werde es in Deutschland CCS geben, also das unterirdische Verpressen von Klimagasen – denn dann sei dafür die gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen. Oder: Windenergie wird sehr stark ansteigen, im Jahr 2040 werden „maximal 77 TWh“ produziert.

Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr in Deutschland bereits 136,4 Terawattstunden Windstrom produziert. CCS gibt es in Deutschland immer noch nicht, und eine Akzeptanz ist nicht in Sicht. Wenige Wochen nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung damals das Atomgesetz geändert hatte, ereignete sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima, in deren Folge acht Reaktorblöcke abgeschaltet wurden – mehr als die Hälfte der deutschen Atomstromkapazität.

Ausschreibung des aktuellen Gutachtens ist mysteriös

Vielleicht hat Katherina Reiche damals als Staatssekretärin im Bundesumweltministerium – das gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium federführend war – schon Erfahrungen mit dem EWI gemacht. Die Ausschreibung des aktuellen Gutachtens ist jedenfalls mysteriös, ursprünglich soll die BET Consulting GmbH aus Aachen das Gutachten anfertigen, eine Anfrage der taz blieb unbeantwortet. Zwar erklärte eine Sprecherin des EWI, sich zu aktuellen Aufträgen nicht äußern zu wollen – und das, obwohl es sich um öffentliches Steuergeld und eine steuerfinanzierte Universität handelt.

Im Beirat des EWI-Fördervereins sitzt Reiches vorheriger Arbeitgeber Westenergie

Das Wirtschaftsministerium wiederum bestätigte der taz auf Anfrage, dass das EWI Auftragnehmer ist. Im Beirat des EWI-Fördervereins sitzen etwa Ver­tre­te­r:in­nen von Eon und Reiches vorherigem Arbeitgeber, der 100-prozentigen Eon-Tochter Westenergie.

Gemäß der Ausschreibung liegt ein erster Entwurf jetzt in Berlin vor, das Ministerium hat nun Zeit, einen Monat lang Nachbesserungen zu fordern.

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