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Energiemix in DeutschlandTiefstand bei Kohleverstromung

Deutsche Kohlekraftwerke haben so wenig Strom erzeugt wie seit Jahrzehnten nicht. Warum das trotz Atomausstieg möglich war, hat mehrere Gründe.

Niedersachsen, Hohenhameln: Rote Lampen leuchten rund um das Kohlekraftwerk Mehrum Foto: dpa

Berlin taz | Deutschland hat im ersten Winter nach Abschaltung der letzten Atomkraftwerke so wenig Kohlestrom erzeugt wie seit Jahrzehnten nicht. In den drei meteorologischen Wintermonaten Dezember bis Februar kamen die deutschen Kohlekraftwerke auf eine Nettostromerzeugung von lediglich 30,3 Terawattstunden (TWh). Gegenüber dem Vorjahr (42,6 TWh) war das ein Rückgang um 29 Prozent.

Ihren Höchststand in jüngster Zeit hatte die Kohleverstromung im Winter 2016/17 mit sogar 64,7 TWh erreicht. Somit hat sich die Menge binnen sieben Jahren mehr als halbiert. Das geht aus Zahlen hervor, die das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme auf der Plattform energy-charts aufbereitet hat. Diese Berechnungen sind allerdings eine reine Summenbilanz, sie sagen folglich nichts über momentane Zustände des Netzes aus, wie etwa temporäre Engpässe.

Der Rückgang der Kohleverstromung nach Vollendung des Atomausstiegs mag im ersten Moment überraschen. Daher lohnt sich eine genauere Betrachtung der Daten. Zum Vergleich sei wieder der Winter 2016/17 gewählt, das Spitzenjahr der Kohleverstromung: In den sieben Jahren seither ist die Kohleverstromung um gut 34 TWh gesunken. Zudem fielen 16,5 TWh an Atomstrom weg.

Diesem Wegfall von rund 51 TWh an konventioneller Stromerzeugung steht ein deutlicher Zuwachs beim Solar- und Windstrom gegenüber, der mit knapp 29 TWh die bestehende Lücke allerdings nicht füllen konnte. Somit ging die Mindererzeugung zugleich einher mit einem Einbruch der Stromexporte.

Deutschland hat weniger Strom verbraucht

Während Deutschland im Spitzenwinter der Kohleverstromung 2016/17 noch rund 18 TWh an Exportüberschüssen erzielte, lag der Wert in den zurückliegenden drei Monaten nur noch bei knapp vier TWh. Also stehen gut 14 TWh der reduzierten konventionellen Stromerzeugung mit einem geringeren Exportsaldo in Zusammenhang.

Hinzu kommt, dass weniger Strom verbraucht wurde – ohne das wäre die aus Sicht des Klimaschutzes so günstige Kohlebilanz wohl auch nicht möglich gewesen. Die bundesweite Stromnachfrage sank gegenüber dem erwähnten Spitzenwinter der Kohleverstromung um rund 10 TWh. Dabei spielte zum einen der aktuelle, extrem milde Winter eine Rolle; er zählte zu den wärmsten der letzten 100 Jahre. Zum anderen aber schlug auch die stagnierende Wirtschaftsleistung in Deutschland auf den Stromverbrauch durch.

Relativ konstant blieb unterdessen die Stromerzeugung aus Erdgas. Mit 16,6 TWh in den vergangenen drei Monaten lag sie im Vergleich der letzten zehn Jahre auf einem mittleren Niveau.

Ungünstig aus Sicht des Klimaschutzes ist unterdessen die Verschiebung der Anteile von Braun- und Steinkohle. Da die Steinkohle stärker zurückging als die besonders CO₂-intensive Braunkohle, hatte die Braunkohle im letzten Winter einen Anteil von 65 Prozent an der gesamten deutschen Kohlestromerzeugung – einer der höchsten Werte der vergangenen zehn Jahre.

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7 Kommentare

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  • Tiefstand ist im Deutschen negativ konnotiert (da Höchstand das Gegenteil ist); hier also ganz klar das falsche Wort. Deutsche Sprache, schwere Sprache.

  • Währenddessen gehen in China Massenweise neue Kohlekraftwerke ans Netz.

    www.tagesschau.de/...raftwerke-100.html

    momentan 2 pro Woche. Die deutschen Bemühungen sind global gesehen der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.

    • @Sybille Bergi:

      Der Artikel spricht lediglich von Genehmigungen.

      2023 gingen in China ~44GW Kapazität Kohle ans Netz. Große Teile davon sind jedoch Bedarfskapazitäten. Auslastung der Kohlekapazität sank von 70% auf 53% von 2006-2022, prognostisch bis 2030 dann 40%. (Quelle: Global Coal Plant Tracker)

      Warum? Weil China mehr Erneuerbare baut, als alle anderen Ländern schon haben: 2023: 217GW Solar und 87GW Wind. Prognostiziert waren 154GW und 56GW. (Bloomberg)

      Experten gehen davon aus, dass China zuviel Kohle-kapazität plante, die nun überflüssig wird. Eine Dezentralisierung der Genehmigungen führte 2014 zu einer Verfielfachung der Genehmigungen, die nicht realisiert wurden. (China overinvested in coal power: Here’s why, 2019) Neuerdings gehen manche davon aus, dass China ab 2024 seine Emmisionen reduzieren wird. (Myllyvirta 13.11.2023)

      Tatsächlich sollten wir uns ranhalten, dass nicht die Chinesen uns morgen ermahnen, mit dem Ausbau (12GW PV, 3GW Wind) nicht so zu trödeln.

      • @THu:

        Danke für die Antwort!

        Leider finde ich online ganz andere Informationen:



        energyandcleanair....-on-the-bandwagon/

        Zitat aus dem Artikel:

        Unless permitting is stopped immediately, China won’t be able to reduce coal-fired power capacity during the 15th five-year plan (2026–30) without subsequent cancellations of already permitted projects or massive early retirement of existing plants.

        die Idee, dass China Deutschland überholt ist wohl leider illusorisch.

  • Das von dieser Zeitung vermutlich als zuverlässig eingestufte Agora-Institut meldet als erzeugten Strom für die Monate Dezember, Januar, Februar in TWh:



    Gas: 7.48 + 8.14 + 7.9 = 23.52



    Braunkohle: 7.22 + 7.12 + 6.27 = 20.61



    Steinkohle: 3.73 + 3.89 + 2.61 = 10.23



    Das ist erheblich mehr des knappen, wertvollen und unersetzlichen Chemierohstoffes Erdgas, der hier sinnlos in Großanlagen verfeuert wird, als in Ihrer Meldung. Der Wind lieferte in diesen drei Monaten zwar recht ordentlich, im September aber in- und offshore zusammen nur 6.33 TWh. Solar lag im selben Monat zwar bei 7.14 TWh aber konzentriert auf die Mittagsspitzen. Strom ist bis jetzt nicht in großen Mengen speicherbar.

  • Und bei Twitter liest man von schwurblern, dass 80% unseres Strom nun importiert wird. Dass Deutschland kaum mehr Strom braucht, da alle Industrie weggegangen ist, und so weiter und so weiter. Wie kann man diesen Desinformationen entgegentreten??

    Nichtdestotrotz ist unser Strommix laut app.electricitymaps.com/map der dreckigste (klimatechnisch) Europas. Das kommt natürlich auch damiteinher, dass Atomstrom konservativ mit wenig CO2 ausstoss verbunden ist, da Uranabbau und Transport sowie Kraftwerksbau und -abbau nicht einberechnet sind.

    • @fitzefatze:

      Es ging ja in D. erst einmal nicht um den Neubau sondern dem Weiterbetrieb von 3 (oder 6) vorhandenen AKW, die im europäische Vergleich eher zu den Jüngeren gehören.

      Twitterschwurbeler(innen), die alles in Deutschland was mit der Energiewende zu tun hat schlecht reden und Blackoutherbeibeter (innen) sind für einen konstruktiven Diskurs verzichtbar.

      Gegen bösartige Desinformation ist leider kaum ein Kraut gewachsen, außer dem bei aller Subjektivität eigenen Bemühen, in sehr kontroversen Diskussionen auf einer sachlichen Grundlage zu bleiben.