Energiekrise in Deutschland: Es gibt keinen Ausstieg mehr
Die Griechen werben um deutsche Heizflüchtlinge für den Winter. Aber die Klima- und Gaskrise verlangen neue Antworten auf alte Aussteigerträume.
„Wir werden hier auf Sie warten“, verkündete Minister Vasilis Kikilias in der Bild-Zeitung, „für Herbst und Winter wäre es für uns Griechen eine große Freude, deutsche Rentner zu begrüßen, die einen ‚mediterranen Winter‘ mit griechischer Gastfreundschaft, mildem Wetter und hochwertigen Dienstleistungen erleben möchten.“
Ähnlich lockt der Bürgermeister der Hafenstadt Chania auf der Insel Kreta, Panagiotis Simandirakis, wobei er sich nicht nur an die Rentner wendet. „Wir laden jeden Deutschen ein, der in diesem Winter zu uns kommen möchte, um hier zu leben – fern der Krisen“, sagte er. Kreta sei sehr geeignet, „um jeden Krisenwinter zu überstehen“. Hier brauche es keine Heizung im Haus. Kein Deutscher werde in Griechenland frieren müssen, beteuert der Bürgermeister.
Profitieren von niedrigen Preisen
Der Süden. Da werden alte Aussteigerträume wach. Die Verheißung, dass verlässlicher Sonnenschein und die fröhliche Gastfreundschaft der Südländer:innen den Kummer der Deutschen mit ihrer Leistungsgesellschaft einfach hinwegfegen könnten wie ein warmer Sommerwind. Eine Verheißung, die schon vor 50 Jahren junge Menschen in Wallekleidern und Cowboystiefeln in Hippie-Enklaven nach Kreta oder Ibiza zog.
Dort träumte man davon, nie wieder zurückkehren zu müssen ins kalte, materialistische Deutschland, zählte nervös die immer weniger werdenden Reiseschecks und war beim Trinkgeld gegenüber der einheimischen Gastronomie nicht eben großzügig.
Mutige wagten sich noch viel weiter weg in südliche Gefilde und siedelten zwischenzeitlich nach Indien um, zuerst nach Goa, dann nach Poona. Man profitierte enorm von den niedrigen Preisen und gab sich der Idee hin, dass Menschen in armen Ländern aus irgendwelchen Gründen in höheren spirituellen Sphären schwebten.
Die einheimische Bevölkerung empfand die Hippies als eher faul und geizig, wie sich später herausstellte. Der sagenumwobene „Florida-Rolf“, der seine deutsche Sozialhilfe im sonnigen Süden der USA sinnvoll ausgab, beschäftigte mit seiner Version des Aussteigertums dann sogar die Gerichte.
Die Gegenwart aushalten und verändern
Heute wirkt der Glauben an Glück durch Dauersonne antiquiert, wie ein verblichener Sonnenhut. Schließlich suchen wir Glück und Frieden für das ganze Jahr in unseren Aussteigerträumen, nicht nur für den Winter. Kreta! Im Juli bis zu 40 Grad im Schatten, gefühlt 44 Grad, sagt der Wetterbericht. In Spanien ist es nicht besser. Und jetzt kriegen wir diese Temperaturen auch in Deutschland. Klimawandel.
Im Sommer also auf nach Island. Dort herrschen im Juli verlässliche 15 Grad. Die Nordländer sind eine gute Wahl für den Hitzeflüchtling. Der Regisseur Ingmar Bergman, wohnhaft auf der Insel Farö, sagte einmal, er könne nur dort leben, wo er heute noch nicht wisse, wie das Wetter morgen werde und genauso sei es in Schweden. Die Sonne als Überraschung, als Rarität, was für ein Luxus. Die Traveller-Regel: Je nördlicher, desto teurer, erscheint angesichts der Klimakrise in neuem Licht.
Die Kreter also sollten mal auf dem Teppich bleiben mit ihren Lockangeboten. Die Heizkrisen-Flüchtende aus Deutschland erwartet in Chania im Dezember 17 Grad und viel Regen, sagt der Wetterbericht. Auf der Insel gibt es nicht das Problem der hohen Heizkosten, weil es gar keine Heizungen gibt, harrharr.
Eine Schlafstatt im Hostel in Chania kostet laut Internet 20 Euro pro Nacht im Mehrbettzimmer, das macht 600 Euro im Monat und da ist noch kein Essen drin und kein Flug und nix. Da spart man kaum was gegenüber einer um einige Hundert Euro teureren Gasrechnung. Die Wahrheit lautet: Es gibt keinen Ausstieg mehr, weder in den Süden noch in den Norden. Wir müssen die Gegenwart aushalten und verändern. Denn anderswo ist es nicht wirklich besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“