Energieimporte aus Russland: Europa kauft mehr russisches LNG
Das Flüssiggas ersetzt ausgefallene Pipeline-Lieferungen. Auch beim EU-Embargo gegen russisches Öl tun sich Schlupflöcher auf.

Diese Entwicklung kommt insofern nicht überraschend, weil die ausgefallenen Pipeline-Lieferungen kompensiert werden müssen. Zudem haben die EU-Länder den Import anderer fossiler Rohstoffe aus Russland durch ihre zahlreichen Sanktionen teilweise oder komplett unterbunden. So gilt seit August 2022 ein von der Kommission und vom Rat der EU beschlossenes Kohleembargo. Auch der Import von Rohöl und bestimmten Erdölprodukten aus Russland wurde untersagt.
Allerdings ist der Anteil des russischen LNG am gesamten Flüssiggas-Import der EU nach wie vor überschaubar. Fast die Hälfte bezog die EU im Juli aus Amerika, weitere 17 Prozent aus Afrika, 15 Prozent aus Nahost. Russland hatte trotz der Zunahme der Mengen zuletzt nur 14 Prozent Anteil. Spanien mit seinen sechs LNG-Terminals ist derzeit der größte Abnehmer von russischem Flüssigerdgas, weltweit übertroffen nur von China.
Deutschland importiert seit einem Jahr kein Gas mehr aus Russland. Auch seine gesamten Erdgasimporte reduzierte es im ersten Halbjahr 2023 um fast 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus Zahlen der AG Energiebilanzen (AGEB) hervor. Der Rückgang resultiert zum einen aus einem Zugriff auf gespeicherte Mengen, zum anderen aus einem Rückgang des Erdgasverbrauchs um rund 10 Prozent.
Wenig Lust auf neue Sanktionen
Dass jedoch ausgerechnet Spanien so viel LNG aus Russland importiert, ist pikant. Das Land hat seit Juli den EU-Vorsitz inne und sollte eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen. Doch die spanische Regierung denkt gar nicht daran, den Import zu stoppen. „Es herrscht ein Gefühl der Knappheit und der Angst“, sagte die spanische Wirtschaftsministerin Teresa Ribera der Nachrichtenagentur Reuters in Brüssel.
Der Import von Natur- und Flüssiggas aus Russland ist in der EU nicht verboten. Nach elf mehr oder weniger erfolglosen Sanktionspaketen zeigen die Europäer jedoch wenig Lust, neue Strafmaßnahmen zu verhängen. Bei ihrer Rede zur Lage der Union am vergangenen Mittwoch in Straßburg sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lediglich: „Wir haben in Rekordzeit Sanktionen vereinbart.“
Für ein Gasembargo braucht es Einstimmigkeit im Ministerrat, wo die 27 EU-Staaten vertreten sind – und die ist derzeit nicht zu bekommen. Zwar beziehen Deutschland, Tschechien und die Slowakei gar kein Gas mehr aus Russland. Doch neben Spanien sind auch Österreich und Italien weiter auf russische Lieferungen angewiesen. Ungarn hat in diesem Jahr sogar noch neue Gaslieferverträge abgeschlossen.
Selbst beim russischen Öl, auf das die EU Ende 2022 ein Embargo erlassen hat, gibt es immer noch Schlupflöcher – auch in Deutschland. Zahlen des Statistischen Bundesamts lassen den Schluss zu, dass über Indien weiterhin größere Mengen russisches Öl importiert werden. Bei den Importen aus Indien handelte es sich „hauptsächlich um Gasöle, die für die Herstellung von Diesel oder Heizöl genutzt werden“, teilte das Bundesamt mit. Diese Gasöle werden offenbar aus Rohöl aus Russland produziert, das Indien zum Vorzugspreis bezieht.
Eine totale Abschottung sei unmöglich, sagte der Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. „Man kann russisches Öl und Gas nicht ohne Weiteres ersetzen“, denn es gebe nicht genügend Alternativen. Bis zur EU in Brüssel hat sich diese Einsicht allerdings noch nicht herumgesprochen. Hier wird das löchrige Ölembargo als Erfolg gehandelt. Und die Regulierungslücken beim Gas werden kurzerhand verdrängt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
FDP sackt immer tiefer, BSW weiter an der Kante
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen