Ende von Russlands Europarat-Mitarbeit: Desaster für Putins Kritiker
Der Europarat galt selbst im Tschetschenienkrieg als Gesprächskanal. Jetzt will sich Russland zurückziehen – auch aus der Menschenrechtskonvention.
W ohl denen, die weiter auf Verhandlungen mit Russland setzen. Das Moskauer Außenministerium hat jetzt angekündigt, sich von den Sitzungen des Europarates zurückzuziehen und die Institution zum Jahresende ganz zu verlassen. Damit fühlt sich Moskau auch nicht mehr an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden.
Die Begründung ist hanebüchen. Russland könne die „subversiven Aktionen der unfreundlichen EU- und Nato-Staaten nicht mehr mittragen, die die Organisation sowie den gemeinsamen humanitären und rechtlichen Raum zerstören“, heißt es in der Erklärung.
Aber hat der Europarat Russland nicht gerade erst die Vertretungsrechte im Ministerrat und der Parlamentarischen Versammlung entzogen? Stimmt. Nur war das die einzig mögliche Reaktion auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, der schon jetzt viele Zivilist*innen das Leben gekostet und über zwei Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat. Andernfalls hätte sich der „Hüter von Demokratie“ vollends lächerlich gemacht.
Dabei war der Geduldsfaden des Europarates lang. 1996, noch während des ersten Tschetschenienkrieges, wurde Russland aufgenommen. Befürworter*innen argumentierten, über die Straßburger Organisation könne man auf Russlands Entwicklung Einfluss nehmen und das Land einhegen. Von wegen. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine 2014 wurde Russland das Stimmrecht in der Parlamentarischen Versammlung entzogen – eine Entscheidung, die 2019 wieder rückgängig gemacht wurde. Die Türen blieben offen.
Doch nun könnten sie bald ganz zu sein. Das ist ein Desaster – vor allem für Putin-kritische Russ*innen, deren Menschenrechte massiv verletzt werden. Ihnen wird der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte künftig versperrt sein. Dabei wäre diese Option gerade jetzt so wichtig, wo Wladimir Putin auch dem eigenen Volk den „Krieg“ erklärt hat. Derzeit häufen sich Berichte, der Geheimdienst FSB mache auch vor Jugendlichen nicht Halt, die den Ukrainekrieg infrage stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe