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Ende des GetreideabkommensWege für Weizen

Russland hat den Getreidedeal mit der Ukraine aufgekündigt. Wie steht es nun um den Export von ukrainischem Getreide?

Dringend gesucht: sichere Exportrouten für Getreide aus der Ukraine Foto: Taz/Ali Apurian

1. Mitte Juli hat Russland den Getreidedeal mit der Ukraine aufgekündigt. Was regelte das Abkommen?

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 veränderten sich am Schwarzen Meer – wo die großen Häfen der Ukraine liegen – zwei Dinge: Russische Kriegsschiffe sorgten für eine De-Facto-Blockade der ukrainischen Häfen, und die Zahl der Seeminen schnellte in die Höhe. Die Ukraine ist einer der großen Getreideexporteure der Welt, laut Europäischer Kommission stammen etwa 10 Prozent des weltweit gehandelten Weizens aus dem osteuropäischen Land – ein Grundnahrungsmittel, das dringend benötigt wird.

Um Getreideexporte über den Seeweg aus der Ukraine wieder zu ermöglichen, verhandelten die Vereinten Nationen und die Türkei mit Russland und separat mit der Ukraine im Juli 2022 einen Deal: Aus drei ukrainischen Häfen – Odessa, Tschornomorsk und Pivdennyi – sollten wieder Getreidefrachter auslaufen dürfen.

Sie wurden von ukrainischen Booten an den Seeminen vorbeigelotst; im türkischen Istanbul, wo sich auch das gemeinsame Koordinierungszentrum befand, wurde geprüft, dass wirklich nur die erlaubten Rohstoffe geladen waren. Zusätzlich wurde Russland versprochen, den Effekt der westlichen Sanktionen auf dessen Nahrungsmittel- und Düngerexporte zu reduzieren.

2. Warum ist Russland aus dem Abkommen ausgestiegen?

Dass sich ein Ende des Getreidedeals abzeichne, sei schon länger erkennbar gewesen, sagt Zanna Aleksahhina. Für Mintec Global, ein Unternehmen, das den globalen Rohstoffmarkt analysiert, beschäftigt sie sich mit Getreide. Die Anzahl der in Istanbul überprüften Schiffe sei deutlich gesunken, Russland habe die Inspektionen immer weiter verkompliziert.

Moskau begründet den Schritt so: Die Forderungen des Landes seien nicht erfüllt worden. Aleksahhina sagt: Um das Abkommen weiterlaufen zu lassen, habe Russland gefordert, dass seine Agrarbank wieder an das Swift-System angeschlossen wird, das den Löwenanteil des globalen Zahlungsverkehrs ermöglicht. Russland vom Swift-System auszuschließen war eine der ersten von der Europäischen Union beschlossenen Sanktionen.

3. Die Ukraine will weiterhin über das Schwarze Meer exportieren. Welche Gefahren birgt das?

Russland bombardiert immer wieder die Hafenstadt Odessa. Für Schiffe wird die Lage unübersichtlicher und gefährlicher. Dadurch steigt der Preis für Schiffsversicherungen, die Exportkosten verteuern sich deutlich. Noch würden Frachter, die die ukrainischen Schwarzmeerhäfen anlaufen, versichert. Wie lange die Versicherer weiterhin dazu bereit sind, sei ungewiss, sagt Aleksahhina.

4. Nach dem Ende des Getreidedeals steigt die Sorge vor Hungersnöten. Wie funktioniert der globale Getreidemarkt?

Der Rohstoffmarkt hat grundsätzlich zwei Seiten: die physische und die finanzielle. Auf der physischen Seite des Marktes befinden sich die Bauern, Exporteure und weiterverarbeitende Betriebe. Um weniger abhängig von Preisschwankungen zu sein, versuchen vor allem große Weiterverarbeiter ihre Einkaufspreise lange im Voraus festzulegen. Hier kommt die finanzielle Seite des Marktes ins Spiel. Der Rohstoffmarkt ist hauptsächlich ein Terminmarkt.

Das bedeutet: Ein Käufer erwirbt eine bestimmte Menge Weizen zu einem festgelegten Preis, die an einem definierten Tag geliefert werden soll. Dieser kann nah am Kaufdatum oder weit in der Zukunft liegen, etwa im Jahr 2026. Steigt der Preis für den Rohstoff zwischen dem Tag des Kaufes und dem Tag der Lieferung, freut sich der Käufer: Er hat – durch den zuvor festgelegten Preis – Geld gespart. Sinkt der Preis zwischenzeitlich, verliert er Geld. Den Preis der Ware kennt der Käufer also schon vor der Lieferung.

Diese Art der Absicherung gegen Preisschwankungen nennt man „Hedging“. Bis sich das Ende des Getreidedeals auf dem Terminmarkt wirklich bemerkbar macht, dauert es also noch etwas – und bis dahin könnte sich die Situation bereits beruhigt haben. Neben­ dem Terminmarkt gibt es den Spotmarkt, der kurzfristiger funktioniert, Kauf- und Lieferdatum fallen meist zusammen. Angebot und Nachfrage bestimmen den Kaufpreis stärker, Veränderungen auf beiden Seiten machen sich schneller bemerkbar.

5. Und wie funktioniert die gefürchtete Lebensmittelspekulation?

Warren Patterson, Leiter der Rohstoffstrategie bei der Bank ING, erklärt, wie Spekulation am Terminmarkt funktioniert: Spekulanten können einerseits annehmen, dass der Preis für Getreide in Zukunft steigen wird – das nennt man bullisches Vorgehen. Sie kaufen also einen Rohstoff, mit Liefervereinbarung zu einem bestimmten Termin, und verkaufen ihn zu diesem Zeitpunkt zum höheren Preis.

Nehmen sie an, dass der Preis sinkt, nennt man das bärisches Vorgehen. Spekulanten verkaufen dabei am Terminmarkt eine bestimmte Menge Getreide mit einem späteren Lieferdatum. Zum Lieferdatum kaufen sie dann den Rohstoff zum bis dahin gesunkenen Preis. Die Preisdifferenz ist in beiden Fällen der erzielte Gewinn.

6. Was passiert mit dem ukrai­nischen Getreide, das nicht mehr über den Seeweg exportiert werden kann?

Die Ukraine hat zwei Optionen: auf dem Landweg über Straßen und Gleise, Richtung Westen; oder über die Donau, die die natürliche Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien bildet – flussaufwärts in die EU oder flussabwärts ins Schwarze Meer. Die Häfen dort liegen direkt neben den Hoheitsgewässern Rumäniens, das seit 2004 Nato-Mitglied ist. Das mögliche Export­volumen ist bei beiden Optionen geringer.

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Und Russland griff auch die ukrainischen Donauhäfen Reni und Ismail an. Auch manche europäische Länder erschweren den Getreideexport gen Westen: Ein vorübergehendes Importverbot nach Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei gilt noch bis Mitte September. Sie wollen so ihre Bauern vor einer Schwemme billigen ukrainischen Getreides schützen. Der Transit über diese Länder ist aber erlaubt. Mit Kroatien konnte sich die Ukraine jüngst auf einen Exportdeal einigen.

7. Welche langfristigen Konsequenzen haben die Export­einschränkungen für den Weltmarkt?

Bleibe in der Ukraine viel Getreide liegen, würden Bauern in der kommenden Saison weniger anpflanzen, sagt Warren Patterson. Somit wäre nächstes Jahr noch weniger Weizen aus der Ukraine verfügbar – und die Abhängigkeit von alternativen Produzenten, etwa Russland und China, steigt.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das erste zivile HandelsSchiff ist übrigens in der letzten Nacht im schwarzen Meer angegriffen worden:

    www.marinetraffic....9735335/vessel:SIG

    www.spiegel.de/aus...-8dbb-cccbc6049e0d

    Ich halte dieses Vorgehen für skandalös!



    Es bleibt nur zu hoffen, dass der Angriff auf zivile Schiffe im schwarzen Meer nicht zum Regelfall wird...

  • Schade, dass hier unter 2. einfach nur die russische Position repliziert und nicht drauf eingegangen wird, dass Russland ohne das Abkommen sein Getreide teurer verkaufen kann als mit. Das findet sich nur indirekt in 5. und 7.



    Dass der Wiederanschluss der Agrarbanken an SWIFT genutzt werden kann, um die SWIFT-Sanktionen insgesamt zu unterlaufen fehlt ganz.

    • @metalhead86:

      Auch eine kaputte Uhr zeigt zwei Mal am Tag die richtige Uhr an und in diesem Fall ist es angebracht die russische Position einfach zu replizieren.



      Russland kann sein Getreide und Dünger in der Theorie teurer verkaufen, das große Problem bzw Hindernis für Russland ist jedoch, dass die Agrarbank nicht mehr an Swift angeschlossen ist.



      Ihre Feststellung, dass Russland bei einer Wiederaufnahme der Agrarbank diese missbrauchen kann ist zutreffend und würde sicherlich auch geschehen. Die Frage ist, ob es wichtiger ist Russland zu schaden oder den hungernden Menschen in dieser Welt zu helfen. Ich bin gegen eine Instrumentalisierung des Themas Ernährung; egal von wem.

  • Danke für diesen sehr informativen und interessanten Artikel!

  • Es gibt durchaus noch mehr Informationen (mal ganz davon abgesehen, dass 70% des ukrainischen Getreides in hochentwickelte Länder geht, wo es überwiegend als Schweinefutter verwurstet wird).

    „In der EU-Kommission sind diese Folgen der EU-Sanktionen bekannt. Und gemeinsam mit den Vereinten Nationen wird bereits über eine mögliche Lösung diskutiert. Das, so betont der Reuters-Bericht, habe Borrell in seinem Brief an die Entwicklungsländer nicht erwähnt.



    UN-Generalsekretär António Guterres erklärte im vergangenen Monat, seine Beamten hätten mit der EU-Kommission einen konkreten Vorschlag" ausgearbeitet, um die Probleme zu lösen. Eine neu zu gründende Tochter der russischen Landwirtschaftsbank soll Zugang zu Swift erhalten.



    Im Prinzip ist der Vorschlag ein Trick, um die bestehenden Sanktionen der Europäischen Union zu umgehen.“

    www.telepolis.de/f...sland-9234168.html



    www.telepolis.de/f...oskau-9222236.html

    • @guzman:

      Ich lehne mich mal etwas aus dem Fesnter und stelle die These in den Raum, dass Futtergetreide auch außerhalb von hochentwickelten Länder als Tierfutter "verwurstet" wird.

  • Der Transit über den Landweg macht das ukrainische Getreide für den Weltmarkt zu teuer. Es ist teurer als das in Europa produzierte Getreide, dementsprechend findet sich dafür auch kein Abnehmer. Lösung der EU : Übernahme der Mehrkosten des ukrainischen Getreides, damit es zum gleichen Preis wie EU-Getreide auf dem Weltmarkt angeboten werden kann.

    PS: Mir braucht keiner mit eventuellen Getreideengpässen um die Ecke zu kommen. Weltweit wandern 165 Mio. Tonnen Getreide in die Produktion von Biotreibstoffe. Könnte man bei Bedarf auch umleiten bzw. die Mengen verringern.

    • @SeppW:

      „Als Hauptabnehmer bestimmen vor allem Mühlen und Viehzüchter die Nachfrage nach Weizen. Während die Nachfrage nach Weizenmehl für den menschlichen Verzehr seit 2000 weitgehend konstant geblieben ist, unterlag diejenige nach Weizen als Futtermittel starken Schwankungen. Weizen, Soja und Mais gelten auf dem Futtermittelmarkt als nahezu perfekte Substitute. Jedoch werden Sojabohnen und Mais seit 2006 zunehmend für die Produktion von Biokraftstoffen nachgefragt. Im Zuge dessen hat sich die Nachfrage nach Futtermitteln aus dem im Vergleich preisgünstigeren Weizen erhöht…“ (ibisworld)