Ende der Frist für Abkommen im Libanon: Brüchige Waffenruhe läuft ab
Am Sonntag endet die temporäre Waffenruhe zwischen Hisbollah und Israel im Libanon. Doch Israel möchte seine Truppen nicht abziehen.
Am 26.1. endet die Frist innerhalb der die Konfliktparteien die Bedingungen des Abkommens zur Waffenruhe erfüllen sollten. Vorgesehen war, dass Israels Armee sich bis Sonntag aus dem Libanon zurückzieht. Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte jedoch am Samstag erklärt, dass die Truppen in Teilen des Südlibanon bleiben würden.
Die Hisbollah sollte sich derweil hinter den Litani-Fluss, etwa 30 Kilometer nördlich der Landesgrenze, zurückziehen. Lediglich die libanesische Armee und Soldaten der UN-Friedensmission im Libanon (Unifil) sollten laut dem Abkommen vor Ort bleiben. Wie viele Hisbollah-Kämpfer sich noch vor dem Litani aufhalten blieb vorerst unklar. Weder Unifil noch die libanesische Armee haben den Rückzug bislang bestätigt.
Israel beschuldigt die Hisbollah und die libanesische Armee, ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein, während der Libanon der israelischen Armee vorwirft, das libanesische Militär an der Übernahme zu hindern.
Blauhelme räumen Straßensperren
Bisher hat sich Israel nur aus zwei libanesischen Dörfern zurückgezogen. In rund 60 Dörfern waren am Sonntag noch Truppen stationiert. Das israelische Militär verweigert der libanesischen Zivilbevölkerung die Rückkehr. Die Armee blockiere Straßen durch aufgeschüttete Erde und Sand oder zerstöre und blockiere Zufahrtsstraßen mit Baggern, berichten libanesische Medien sowie die staatliche Nachrichtenagentur NNA. Videos von Anwohnenden zeigen israelische Panzer hinter Zufahrtsstraßen. Obwohl die libanesische Armee vor Angriffen warnte, sagten verschiedene Anwohnende der Armee und lokalen Medien, dass sie trotzdem zurückkehren wollen.
Auch Rammal kehrt trotz Gefahr von Angriffen zurück. Sie erinnert in einem Video in den sozialen Medien daran, dass die israelische Armee den Südlibanon zwischen 1982 und 2000 besetzt hielt. Damals, am 25. Mai 2000, habe die Armee die Straße mit Holz und Erde blockiert. Der Anwohner Salim Rammal habe die Blockade mit einem Bulldozer geräumt – und sei daraufhin von Israes Armee getötet worden. Der Tag wird von den Libanes*innen als Tag der Befreiung gefeiert.
Die UN-Mission Unifil berichtete am Donnerstag, dass die Blauhelme Straßensperren räumen, um den Menschen zu helfen, sicher nach Hause zurückzukehren, und die libanesische Armee unterstütze, ihre Soldaten in den Südlibanon zu verlegen.
Hunderttausende von Vertriebenen konnten mit der temporären Waffenruhe in den Südlibanon, Südbeirut, das Bekaa-Tal im Osten und andere Gebiete zurückkehren. Doch viele fanden ihre Häuser in Trümmern.
Häufige Verstöße gegen Waffenruhe
Von einer Waffenruhe konnte in den vergangenen Wochen kaum die Rede sein. Zwar beruhigte sich die Lage in der libanesischen Hauptstadt Beirut und die Hisbollah stellte ihren Raketenbeschuss ein. Doch nach der ersten Woche meldete Frankreich bereits über 50 Verstöße Israels. Anfang Dezember schoss die Miliz der Hisbollah Raketen auf eine israelische Stellung in den Schebaa-Farmen, ein von Israel seit 1967 völkerrechtswidrig besetztes Gebiet an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon im Norden der Golanhöhen.
Die libanesischen Behörden haben insgesamt mehr als 470 israelische Verstöße gegen die Waffenruhe gemeldet, bei denen mindestens 32 Menschen getötet und 39 verletzt wurden. Die Konfliktbeobachtungsgruppe ACLED zählt mehr als 400 israelischen Luft-, Raketen-, Granaten- und Artillerieangriffen im gesamten Libanon seit Beginn des Abkommens bis zum 6. Januar.
Die israelische Armee habe zwischen dem 5. Dezember und dem 6. Januar im Südlibanon über 800 Gebäude zerstört oder beschädigt, analysiert die Washington Post durch Satellitenbilder. Die Streitkräfte haben ihre Angriffe auf die Grenzdörfer Wadi Al-Slouqi, Maroun Al-Ras, Al-Dhahira und dem Umland von Houla intensiviert, Razzien in verlassenen Häusern in Bint Jbeil durchgeführt und Überwachungskameras entlang der Grenze installiert, berichtet die Zeitung The New Arab am Sonntag.
Abkommen sieht vollständigen Rückzug Isreals vor
Unifil meldete am 4. Januar, ein israelischer Bulldozer habe in Labbouneh ein blaues Fass zerstört, das die Rückzugslinie zwischen Libanon und Israel markierte außerdem einen Beobachtungsturm der libanesischen Streitkräfte, unmittelbar neben einer Unifil-Stellung.
Das Abkommen vom 27. November 2024 sieht vor, dass Israel den Einmarsch im Libanon beendet und sich vollständigen zurückzieht. Die Kämpfer der Hisbollah müssen sich ihrerseits von der Grenze zurückziehen, das libanesische Militär soll die Kampfstellungen auflösen und die Region sichern. Dabei helfen soll die UN-Friedensmission Unifil. Die Frist von 60 Tagen endete am Sonntag.
Aus dem Libanon kamen in der Zeit positive politische Signale – auch, weil das Land durch den Einfluss der USA, Frankreichs und Saudi-Arabiens unter Druck steht, sich innenpolitisch zu stabilisieren. Zwei Jahre lang herrschte politischer Stillstand. Am 9. Januar wählte das Parlament den neuen Präsidenten Joseph Aoun, am 13. Januar folgte ein Ministerpräsident: Der ehemalige Chef des Internationalen Gerichtshofs, Nawaf Salam. Die beiden gelten als unabhängig vom konfessionellen Klientelismus, der das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt hat. Sie betonten: Nur staatliche Institutionen sollen Waffen besitzen.
Die Besetzungen bedeuten Hoffnung für den Libanon, den politischen und militärischen Einfluss der Hisbollah einzudämmen. Durch israelische Angriffe wurden rund 4.000 Menschen im Libanon getötet und mehr als 16.000 verwundet. Es braucht 3,3 Milliarden Euro für den Wiederaufbau, schätzt die Weltbank. Mit einer technokratischen Regierung wären internationale Geldgeber bereit, beim Wiederaufbau zu helfen.
Schwierige politische Lage im Libanon
Doch die Regierungsbildung ist schwer. Sunnitische Fraktionen hätten das Gefühl, übergangen zu werden, meldet der Fernsehsender LBCI. Die Hisbollah wiederum fühlte sich bei der Ernennung des Staats- und Regierungschefs übergangen und hat angekündigt, sich nun bei der Besetzung von Ministerposten durchsetzen zu wollen. Im Libanon wird die Macht übereinkommend unter konfessionell-geprägten Parteien aufgeteilt. Das soll einen Bürgerkrieg verhindern, führt aber auch zu Klientelismus.
Von dem hat auch die Hisbollah profitiert. Ihre Popularität als „Widerstand“ gegen Israel besteht auch darin, der schiitischen Gemeinschaft beim Wiederaufbau zu helfen. Nun braucht sie dafür den Staat.
Die Hisbollah ist so schwach wie nie. Israel hat die gesamte Führungsriege getötet und wohl ein Großteil der Waffenarsenale zerstört. Außerdem hat die Hisbollah mit Assads Sturz in Syrien hat eine wichtige Route für den Waffenschmuggel aus dem Iran verloren.
Die selbsternannte Übergangsregierung in Syrien meldete, mehrere Lieferungen an die Hisbollah auf syrischem Boden gestoppt zu haben. Darunter am 18. Januar ein Lastwagen mit Komponenten für Drohnen und anderen Waffen am Grenzübergang Tartus. Syriens neuer Generalstabschef hatte sich vergangene Woche mit dem Leiter des Koordinationsbüros der libanesischen Armee in Damaskus getroffen, um die Kontrolle der Grenze zu besprechen.
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