Empfang für Antisemitismusbeauftragten: Hamburger Tempelverband muss draußen bleiben
Zum Senatsempfang für den scheidenden Beauftragten Hensel wurde die liberale Gemeinde nicht eingeladen. Die sieht sich ein weiteres Mal diskriminiert.
Ist es eine erneute Kränkung oder schlicht folgerichtig? Zur Verabschiedung des Hamburger Beauftragten für Antisemitismus und jüdisches Leben sind die Vertreter des liberalen Judentums nicht eingeladen worden. Dagegen hat der „Israelitische Tempelverband – Liberale Jüdische Gemeinde in Hamburg“ nun mit einem offenen Brief protestiert. Mit der Nichteinladung sei die strukturelle Diskriminierung des Tempelverbandes erneut sichtbar geworden, heißt es in dem Schreiben.
Der Antisemitismusbeauftragte Stefan Hensel gibt dieses Ehrenamt zum Jahresende auf. Er begründete seinen Schritt mit der Belastung durch sein Engagement. „Der zeitliche Aufwand und die anhaltende Konfrontation mit Hass und persönlichen Übergriffen sind im Rahmen eines Ehrenamts für mich nicht mehr vereinbar“, teilte er mit. Zukünftig wolle er sich den positiven Seiten jüdischen Lebens widmen.
Hensel ist allerdings auch wegen seiner Amtsführung kritisiert worden, was mit einem Streit zwischen den jüdischen Gemeinden Hamburgs zu tun hat. Der Tempelverband erhebt Anspruch auf das Erbe einer der ersten Reformgemeinden überhaupt, die sich 1817 in Hamburg gründete. Mit gut 350 Mitgliedern ist sie deutlich kleiner als die 2.300 Köpfe zählende Jüdische Gemeinde in Hamburg (JGH), die orthodox dominiert ist und vom Hamburger Senat als Hauptansprechpartner angesehen wird.
Für seine erste Amtszeit war Hensel einvernehmlich von der JGH und dem Tempelverband vorgeschlagen worden. Über die Jahre haben sich Hensel und der Tempelverband aber entfremdet. Schon kurz nach Hensels offizieller Ernennung habe sich der Tempelverband über dessen Haltung gewundert, sagte Eike Steinig, der Zweite Vorsitzende des Tempelverbandes, der taz. Steinig irritiert, dass Hensel bei der Nominierung seine Mitgliedschaft in der JGH verschwieg. Er unterstellt ihm „eine Befangenheit zu unseren Ungunsten“.
Ohne Bewerbungsverfahren erneut bestellt
Vor gut einem Jahr hat der Senat Hensel für eine weitere Amtszeit bestellt – ohne ein Bewerbungsverfahren. Weder die öffentliche Kritik des Tempelverbandes an Hensels Amtsführung noch die Bewerbung Steinigs für das Amt berücksichtigte der Senat dabei; federführend war die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG).
Steinig klagte und bekam recht: Der Senat muss das Bewerbungsverfahren fortsetzen. Inzwischen hat auch ein Bewerbungsgespräch Steinigs bei Wissenschaftssenatorin Maryam Blumenthal (Die Grünen) stattgefunden.
Die Senatorin war auch bei dem Senatsempfang mit etwa 40 Personen im Bürgermeistersaal des Rathauses zugegen, ebenso ihre Staatsrätin Eva Gümbel (Grüne), die Sprecherin für Antidiskriminierung der Grünen-Bürgerschaftsfraktion Filiz Demirel sowie die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD).
Der Tempelverband kritisiert, dass bei der Verabschiedung als Vertreter des Judentums ausschließlich Philipp Stricharz, der erste Vorsitzende der JGH, gesprochen habe und der Tempelverband gar nicht erst eingeladen wurde.
„Angesichts der historischen wie aktuellen Bedeutung unserer Gemeinde für das jüdische Leben in Hamburg stellt sich uns die Frage, aus welchen Gründen eine Einladung unterblieben ist“, heißt es in dem offenen Brief. Der Tempelverband habe seinen Dachverband in New York über diese Diskriminierung informiert.
Der Tempelverband erwarte „eine umgehende und klare Kurskorrektur der politischen Verantwortungsträger – insbesondere der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen“. Bisherige Versuche, die religionspolitischen Sprecher beider Parteien für das Thema zu sensibilisieren, hätten zu nichts geführt.
Als besonders irritierend empfinde der Verband, dass bei dem Empfang „zentrale politische Akteurinnen, die explizit für Fragen von Gleichstellung und Antidiskriminierung zuständig sind, anwesend waren“. Gerade vor diesem Hintergrund wiege es schwer, dass die Gemeinde erneut von einer staatlichen Veranstaltung ausgeschlossen worden sei.
Der Tempelverband bittet den Senat deshalb um Auskunft: warum er bei der Einladung nicht berücksichtigt worden sei. Nach welchen Kriterien die Senatskanzlei jüdische Gemeinden bei ihren Einladungen auswähle. Wie der Senat sicherzustellen gedenke, „dass alle jüdischen Gemeinden gleichberechtigt und ohne politische Einflussnahme in relevante staatliche Formate einbezogen werden“.
Dass der Tempelverband bei dem Empfang übergangen wurde, erklärt die Wissenschaftsbehörde damit, dass nur ein sehr kleiner Kreis eingeladen worden sei. „Die Auswahl der Gäste lag in großen Teilen beim scheidenden Beauftragten selbst, der als zu verabschiedende Person ein entsprechendes Auswahlrecht hatte“, teilte die Behörde mit.
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