Emmanuel Macron in Berlin: „Wir müssen die EU reformieren“
Frankreichs neuer Politstar Emmanuel Macron redet mit Jürgen Habermas über Europa. „Siegfried“ Gabriel, der SPD-Außenminister, ist auch da.
Macron, 39, ist der Mann des Moments in Frankreich und auch in Europa. Dementsprechend voll war die Veranstaltung in der Berliner Friedrichstraße. Wer „Kennedy“ raunt, ist im falschen Jahrhundert, ein „Popstar“ ist er auch nicht, aber ein jung aussehender, schnell denkender und allgemein als sympathisch empfundener Homo novus, in den man jede Menge projizieren kann.
Sein größter Pop-Faktor ist seine 24 Jahre ältere Frau. Dieses Partnerschaftsmodell ist selbst in den gesellschaftspolitisch progressivsten Milieus nicht existent. Während die beiden Volksparteien Sozialisten und Republicains taumeln, hat Macron sich mit dem Motto „ni ni“ (nicht links, nicht rechts) positioniert. Gesellschaftspolitisch liberal und wirtschaftspolitisch auch liberal. Dementsprechend klar pro-europäisch.
Die Frage ist, ob man in Frankreich als glühender Europäer gewinnen kann. „Ich bin naiv, ich glaube, man kann Wahlen gewinnen, in dem man Europa verteidigt“, sagte Macron, „aber nicht eines, das nicht funktioniert.“ Das sagt er mehrfach an diesem Abend: Wir müssen die EU reformieren.
Wie er sich diese Reformen genau und über Investitionen und einen eigenen EU-Finanz-Etat hinaus vorstellt, darüber hatte er nach eigenen Angaben am Nachmittag mit der deutschen Kanzlerin Merkel gesprochen. Er wollte aber nicht ins Detail gehen. First things first, sagt Macron, zunächst müsse Frankreich in Vorleistung gehen beziehungsweise nachholen, was es die letzten zehn Jahre versäumt habe, eigene Reformen. Das sei die Voraussetzung, um dann mit Deutschland die EU neu zusammenzubringen. Das ist womöglich der Paradigmenwechsel, den Macron durchsetzen könnte: Dass Frankreich sich neu und realistisch sieht und dadurch auch eine Chance auf produktive Veränderung hat.
Macron ist neben allem anderen auch noch ein Intellektueller, er hat Habermas gelesen, ist sogar Fan und so war es historisch aufgeladen, dass Deutschlands Großphilosoph der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Berlin neben ihm saß.
Eine tickende Zeitbombe
Richtig diskutiert wurde nicht, aber Jürgen Habermas, 87, ist bekanntlich auch ein großer Europäer und wiederholte nochmal sein Ceterum Censeo, den Zusammenhang von funktionierendem Sozialstaat und funktionierender Demokratie. Das Wirtschaftssystem der EU habe sich „dramatisch asymmetrisch ausgewirkt“ und Europa „tief gespalten“. Die ökonomischen Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden der Euro-Zone seien eine „tickende Zeitbombe“. Solange die Bundesregierung dieses „Zeitbombe“ nicht entschärfe, sei keine engere Zusammenarbeit drin. Deutschland müsse die Initiative ergreifen, um zusammen mit Frankreich den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Scheitere das europäische Projekt, werde die Schuld den Deutschen gegeben werden.
Habermas sagte, es fehle den verantwortlichen Politikern an Mut.
Macron nickte und sagte: „Wenn Sie ein zaghafter Europäer sind, sind Sie bereits ein besiegter Europäer“. Das klingt pathetisch, aber nicht für einen französischen Präsidentschaftskandidaten. Da redet man noch ganz anders. Dafür wirkt er erstaunlich nüchtern.
Im übrigen saß auch Vizekanzler Sigmar Gabriel auf dem Podium, der noch SPD-Vorsitzende, der sich thematisch überwiegend mit den großartigen Auswirkungen von SPD-Politik beschäftigte. Habermas nannte ihn in seiner Rede süffisant „unseren wie Phoenix aus der Asche emporgestiegenen Außenminister.“ Gabriel lachte, was blieb ihm übrig, und rief ins Publikum: „Wenn Sie wüssten, was DER mir für Mails schreibt, dagegen war das noch höflich.“
Nun, Habermas nannte ihn „Siegfried“, so kann Gabriel hoffen, dass er sich vielleicht auch einfach nur in der E-Mail-Adresse geirrt hat.
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