Emigration aus Russland: Die Brücke nach Estland
Für russische Staatsbürger ist es schwierig, in die EU auszureisen. Man muss Gründe dafür haben. Zum Beispiel den, verfolgter Journalist zu sein.
Danke für eure ehrliche Arbeit“, sagt der Grenzer, als er uns im Rathaus von Narva absetzt. Die drittgrößte Stadt Estlands ist vom russischen Sankt Petersburg 150 Kilometer entfernt, der Fluss Narva ist die Grenze zwischen beiden Staaten. In der sowjetischen Zeit hatten das estnische Narva auf der einen und das russischen Iwangorod auf der anderen Seite des Flusses sogar eine gemeinsame Wasserversorgung und ein gemeinsames Stromnetz.
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Aktuell kommen Ukrainer und Russen über die Grenze nach Estland. Darunter auch Journalisten, politische und zivilgesellschaftliche Aktivisten und überhaupt Leute, die nicht bereit sind, in einem Schurkenstaat zu leben, der gerade einen Angriffskrieg führt. Über die Narva zu kommen ist ein Privileg. Man braucht ein Visum, und sei es nur eines für Touristen, „Gründe“ für das Verlassen Russlands. Diese Regel wurde während der Pandemie eingeführt und erwies sich als bequeme Möglichkeit für Russland, die Grenzen zu kontrollieren. Ausreisen können russische Staatsbürger nur, wenn sie in der EU arbeiten, nahe Angehörige besuchen oder eine medizinische Behandlung im Ausland ansteht.
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Dieses letzte Schlupfloch nutze ich mit meiner Freundin. Wie Hunderte andere Russen buchen wir uns im Spa-Hotel in Narva „mit medizinischen Anwendungen“ ein. Zahlen können wir mit der Geldkarte estnischer Freunde, unsere russischen werden nicht mehr anerkannt aufgrund der Aussetzung der Visa- und Mastercard-Systeme in der Russischen Föderation.
Zur Ausreise entschließen wir uns, nachdem die Website Bumaga, beziehungsweise deren Petersburger Zweig, für den ich arbeite, wegen der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine gesperrt wird. Kurz darauf erlitt der alternative Zerkalo das gleiche Schicksal, und einige Tage später wurden auch deren Konten in den russischen sozialen Netzwerken gelöscht. Wir liefen mit unseren Koffern vom russischen Grenzübergang Parusnika nach Narva-2 im Narvaer Industriegebiet.
Die einzige Frage ist die nach dem Sternzeichen
Auf der russischen Seite stellen sie nur eine einzige Frage, und zwar nicht mir, sondern meiner Freundin: „Was haben Sie für ein Sternzeichen?“ Später erfahren wir, dass man so an der Grenze überprüft, ob man wirklich mit seinem eigenen Pass unterwegs ist. Auf der estnischen Seite warten wir lange, bis die Polizei von der Grenzübergangsstelle Narva-1 eintrifft. Diese Stellen hatten wir extra vermieden, weil wir gehört hatten, dass man dort bis zu fünf Stunden in der Ausreiseschlange wartet. Und auch, weil dort die Kontrolle durch die russische Seite strenger ist.
ist Journalist beim Petersburger Zweig des alternativen russischen Nachrichtenportals Bumaga, das mit Beginn des Krieges gegen die Ukraine von der russischen Zensur gesperrt wurde. Er hat Russland verlassen.
Etwa anderthalb Stunden kontrollierten die estnischen Zöllner unser Gepäck, detailliert fragten sie nach unseren Plänen für Estland. Das endgültige Argument dafür, dass sie uns in die EU ließen, war das Diplomzeugnis der Petersburger Fakultät für Journalisten am Boden meines Koffers und der Kasten „Am 12. März gesperrt von Roskomnadsor“, von der russischen Zensurbehörde also, auf der Website von Bumaga.
Nachdem sie unsere Pässe gestempelt hatten, boten die Grenzer an, uns bis ins Stadtzentrum zu bringen. Freiwillig in ein Polizeiauto einsteigen? Ziemlich ungewöhnliche Erfahrung nach unseren Erlebnissen in Russland. Aber wir steigen ein.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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