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„Das tut man mit offenem Visier“

Die CDU bricht im Abgeordnetenhaus wohl Vereinbarung über die Wahl von Verfassungsrichtern. Die Koalition spricht von „Schande“

Müller, sauer: Nach der Unterbrechung verlässt der Regierende den Saal Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Stefan Alberti

Die CDU-Fraktion hat im Abgeordnetenhaus mutmaßlich die Wahl einer Richterin zum Verfassungsgericht des Landes boykottiert, obwohl sie laut der rot-rot-grünen Koalition zuvor Zustimmung zugesagt hatte. Die von der Linkspartei vorgeschlagene Hochschulprofessorin Lena Kreck erhielt in geheimer Wahl nicht die nötige Mehrheit. Zwei weitere Richterstellen, für die SPD und CDU das Vorschlagsrecht hatten, konnten hingegen mit Unterstützung der Linksfraktion besetzt werden. Wie es weitergeht, blieb am Donnerstag offen, einen zweiten Wahlgang gab es nicht. Das neunköpfige Gericht bleibt dennoch arbeitsfähig.

Während die CDU offen ließ, ob ihre Abgeordneten Kreck tatsächlich ablehnten, verurteilten die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Linkspartei und Grünen in einer Sitzungsunterbrechung den Vorgang. „Die CDU Berlin hat sich heute disqualifiziert“, sagte Raed Saleh (SPD) vor Journalisten. „Das ist ein einzigartiger Vorgang“, hatte sich zuvor schon sein Vizechef Jörg Stroedter geäußert. Das spreche dafür, dass die CDU nicht mehr handlungsfähig sei, „der einzige Kleister, der sie noch zusammenhält, ist der Antikommunismus.“ Am Dienstag hatte die CDU-Fraktion bereits angekündigt, einen gemeinsamen Antrag zum Mauergedenken mit den Regierungsfraktionen und der FDP anders als vor zehn Jahren nicht zu unterstützen. Als Grund nannte sie unter anderem Geschichtsvergessenheit bei der Linkspartei.

Im neunköpfigen obersten Berliner Gericht waren drei Plätze neu zu besetzen. Kreck, Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Recht und Gesellschaft an der Evangelischen Hochschule in Zehlendorf, erhielt zwar 86 von 152 abgegebenen Stimmen und damit eine einfache Mehrheit – sie hätte aber, wie bei Richterwahlen vorgesehen, eine Zweidrittelmehrheit und damit 100 Stimmen gebraucht. Die von der SPD vorgeschlagene neue Gerichtspräsidentin Ludgera Selting erhielt 148 Stimmen bei 4 Nein-Stimmen, der von der CDU vorgeschlagene neue Richter Christian Burholt ein ebensolches Ergebnis. Am Kreck-Resultat ist abzulesen, dass auch FDP und AfD den Vorschlag der Linksfraktion ablehnten, aber die anderen Richter mitwählten. Wegen der Zweidrittelmehrheit sind vor der Wahl Absprachen zwischen den Fraktionen üblich – weder R2G noch jede Vorgängerkoalition seit 2001 verfügt über eine so große Mehrheit. „Das ist kein Kuhhandel“, wies SPD-Vizefraktionschef Stroedter eine entsprechende Kritik durch die AfD in einer RBB-Fernsehdiskussion während der Sitzungspause zurück.

Kreck hatte sich am Dienstag laut Linksfraktion in allen Fraktionen vorgestellt. SPD, Linke und Grüne beteuerten, die CDU hätte in keiner Weise angedeutet, dass sie Kreck nicht mittragen würde. SPD-Mann Stroedter sagte, es habe sogar eine positive Rückmeldung gegeben. „Das kann ich nicht bestätigen, davon weiß ich nichts“, sagte dazu der Pressesprecher der CDU-Fraktion, Olaf Wedekind. Mehrfach verwiesen CDU-Abgeordnete auf taz-Anfrage auf eine geheime Wahl.

Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, mochte den CDU-Abgeordneten nicht das Recht absprechen, eine Kandidatin abzulehnen – aber nicht in geheimer Abstimmung und nach zuvor anderen Signalen: „Das tut man mit offenem Visier.“

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