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Einzelhandel steht vor zweitem LockdownHandel droht herber Schlag

Der Einzelhandel warnt vor einem Lockdown im Weihnachtsgeschäft, der umsatzstärksten Zeit. Für viele Geschäfte würde es den Ruin bedeuten.

Die Weihnachtsbuden haben schon zu. Nun droht dem gesamten Einzelhandel der Lockdown Foto: dpa

Berlin taz | Vor „fatalen Folgen“ warnt ein Sprecher von Galeria Karstadt. Von einem „sehr herben Schlag“ für den Einzelhandel spricht der Präsident des Handelsverbands (HDE), Josef Sanktjohanser. Bis zu 1 Milliarde Euro Umsatz pro Tag könnte eine erneute Ladenschließung kosten. Die Angst vor einem zweiten harten Shutdown, der dann auch bedeutet, dass sämtliche Geschäfte schließen müssen, die keine Lebensmittel verkaufen, ist beim Einzelhandel groß.

Nachdem sich Wissenschaft­le­­r*innen der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina für die Schließung aller Geschäfte ab 24. Dezember bis mindestens 10. Januar ausgesprochen haben und Bundeskanzlerin Angela Merkel sich dieser Forderung anschloss, erwägt nun auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet diesen drastischen Schritt. Sachsen will ab kommendem Montag viele Geschäfte schließen.

Die Einzelhandelsbranche schlägt Alarm. „Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist neben der Woche vor Heiligabend die umsatzstärkste Zeit des Weihnachtsgeschäfts“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Viele Händler würden im November und Dezember rund ein Viertel ihres Jahresumsatzes einfahren. Das Geschäft um die Feiertage sei „für alle innerstädtischen Händler von existenzieller Bedeutung“, sagte auch der Galeria-Kaufhof-Sprecher.

Dabei habe der Einzelhandel in den vergangenen Monaten mit seinen funktionierenden Hygienekonzepten bewiesen, dass er kein Hotspot sei, betonte Genth. Für eine wirkungsvolle Pandemiebekämpfung brauche es keine Schließung der Geschäfte.

Gefahr lauert in allen geschlossenen Räumen

Doch das stimmt nur bedingt. Untersuchungen vom Frühjahr und Sommer konnten zwar tatsächlich keine massenweise Ansteckung in Geschäften feststellen. Und auch die Infek­tions­rate unter Verkäufer*innen war nicht signifikant höher als in anderen Berufsgruppen. Doch bei der inzwischen sehr hohen Zahl von Infektionen weiß man zu 75 bis 90 Prozent gar nicht, woher sie kommen, also wo genau sich die Infizierten angesteckt haben.

Daher lässt sich auch nicht mehr eindeutig sagen, ob Einkaufszentren oder Kaufhäuser zur Ausbreitung des Virus beitragen. Fakt ist: Der Aufenthalt in geschlossenen Räumen mit Pu­blikumsverkehr ist bei so hohen Inzidenzwerten generell eine Gefahr.

Lauterbach: Lockdown zu Weihnachten reicht nicht aus

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält den Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Weihnachten einen Lockdown zu starten, für nicht weitreichend genug. „Laschets Vorschläge für einen Lockdown nach Weihnachten bis zum 10. Januar springen zu kurz und kommen zu spät. Wir können es uns nicht erlauben, bis nach Weihnachten mit dem Lockdown zu warten“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Glühweinverkauf in den Städten müsse sofort beendet werden, denn es handle sich bei den Ständen um „Weihnachtsmärkte durch die Hintertür“. Auch an den Schulen müssten die Kontakte sofort reduziert werden. „Deswegen sollten die Schulferien schon in der nächsten Woche starten“, forderte Lauterbach.

Die bislang zwischen Weihnachten und Silvester geplanten Lockerungen bei den Kontakten dürfe es nicht geben, forderte der Gesundheitsexperte. Insbesondere gelte es, die von NRW erlaubte Öffnung der Hotels zu stoppen. Was nach dem 10. Januar passieren müsse, sei noch nicht abzusehen: „Man kann keine Pläne für die nächsten Monate machen. Dafür ist die Pandemie zu unberechenbar, sagte Lauterbach.

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8 Kommentare

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  • Mitleid mit dem Einzelhandel ? nicht wirklich



    Der Einzelhandel hat in den letzten Jahrzehnten zigtausende kleine und mittlere Geschäfte verdrängt, hatte mit denen jemand Mitleid ? Der Handel wandelt sich immer mehr hin zum Internet, ist halt der lauf der Dinge. Was jetzt halt geändert werden muss ist die Besteuerungen solcher Firmen wie z.B. Amazon, die müssen einfach einen bestimmten Prozentsatz ihres Umsatzes auch in den Ländern abführen in denen sie verkaufen.

  • Solange sämtliche Freizeit- Bildungs- und Kulturbelange coronabedingt extrem reguliert werden, aber niemand schaut, wie es in den Unternehmen, also Büros, Fabriken, Logistikzentren, Werkstätten usw. wirklich ausschaut, werden wir noch weiterhin viel Spaß mit Corona haben.

    Ich bin beruflich in einer größten Flüchtlingseinrichtung in NRW und somit in einem Risiko-Hotspot tätig. Bislang konnten wir Coronafällen erfolgreich trotzen, inzwischen aber arbeitet ein Teil unserer Bewohner in einem nahen Logistikzentrum eines großen Versenders und schon purzeln unter genau diesen Kandidaten die Quarantänefälle ins Haus. Dort arbeiten aber außer ein paar Dutzend Geflüchteten, die froh sind, in Deutschland endlich arbeiten zu dürfen und einen Job gefunden zu haben, auch ein paar Hundert andere Leute, meist aus prkären Verhältnissen, die es sich oft nicht erlauben können, auf den Verdienst infolge Quarantäne oder Krankschreibung zu verzichten, also wird es dort immer weiter gehen und das war jetzt nur ein Punkt, den ich aus eigener Anschauung mitbekomen habe.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Der Einzelhandel warnt vor einem Lockdown im Weihnachtsgeschäft, der umsatzstärksten Zeit."

    In so einer massiven Krise darf man keine Gerechtigkeit auf allen Seiten erwarten. Kluges Vorgehen hingegen schon.



    Der Bildungssenator aus Hamburg scheint dies zu erfüllen, im Gegensatz zu.....



    Ich persönlich stimme der These zu, ein harter Lockdown für 2 Wochen macht die Sache beherrschbarer.

    Außerdem muss Berlin die Logistik der Impferei in den Griff bekommen.



    Da müssen dann die Hausärzte eben auch mal eine Schicht zulegen und sich am Nachmittag in die Impfzentren begeben.



    Noch ist ja nichts passiert, aber man kennt seine Pappenheimer.

  • Nach diesen flammenden Appellen dürften rasch Hilfsorganisationen wie "World Warehouse Fund", "Shoppingpeace" oder "Mall für die Welt" zum Spendenmarathon bitten...

  • Ich will wirklich nicht altklug klingen. Aber: Ist ein Geschäftsmodell, welches eine recht kurze, aber intensive Konsumperiode zwingend benötigt, überhaupt sinnvoll?

    • @Bunte Kuh:

      Im Frühling hat die Begrenzung der Kund*innenzahl offenbar ganz gut funktioniert. Man muss halt die Bildung von Schlangen oder Gruppen vorm Eingang unterbinden, aber die Leute merken schnell genug, wann zu viele gleichzeitig einkaufen wollen, und ändern ihr Verhalten dementsprechend. Zumal bei so Schietwetter wie jetzt.

      Das würde auch das von URANUS erwähnte Problem zwar nicht grundsätzlich, aber immerhin zeitweilig und symptomatisch angehen, und da es da letztlich um Stoffkreisläufe und Energieflüsse geht, also rein thermodynamische Größen, bringt jedes Bisschen Verbesserung deutlich mehr als keine Verbesserung.



      Das wiederum könnte der Grund sein, warum man jetzt auf Modell Massenkonsumrausch umschaltet: eine Beschränkung der Verschwendungssucht ist von der BuReg evtl gar nicht gewollt, und wenn Menschen sterben müssen, damit der Euro rollt, dann ist das business as usual, nur ein wenig zugespitzter als gewohnt:



      Wer effiziente Ressourcennutzung und kompetente Pandemiepolitik will, kann ja nach Vietnam oder Neuseeland auswandern... upps, dumm gelaufen, als Deutscher kommt man nirgendwo mehr so eben mal rein. Und das wird auch noch etliche Monate so bleiben.

      Das muss wohl dieser "Preis der Freiheit" sein, von dem die Liberalos immer erzählen: gefangen im eigenen Land, auf einem Schiff nach Nirgendwo. Aber immerhin ist mehr Lametta als früher...

    • @Bunte Kuh:

      ... und daran anschließend die Frage: Ist ein System, dass extreme Ungleichheit schafft und die Interessen der Mehrheit ignoriert, sowie allen Menschen ihrer Lebensgrundlage (gesunde Ökosphäre, Vielfalt an Tieren) beraubt, überhaupt sinnvoll?

      • @Uranus:

        Für die Mehrheit: Nein. Für eine wenige, die davon wirklich stark profitieren: Ja.