Einschränkung der Meinungsfreiheit: Hanoi greift nach den Nutzerdaten
Vietnams Regierung verpflichtet Internetkonzerne zur Herausgabe der Nutzerdaten. Damit will sie sich kritische Stimmen vom Hals halten.
Die geforderte Datenspeicherung betrifft beispielsweise die von IT-Unternehmen erfassten Daten wie Namen des Nutzers, biometrische Daten, Netzwerkadresse, Kontoverbindung, Zeitpunkt der An- und Abmeldung in sozialen Netzwerken, Telefonnummer sowie soziale Beziehungen in sozialen Netzwerken. Darunter fallen beispielsweise Facebookfreunde und Mitgliedschaften in Facebook- und Telegram-Gruppen. Diese Daten müssen 24 Monate lang gespeichert werden.
Das Dekret gilt für Telekommunikationsanbieter, für soziale Netzwerke wie Facebook und Youtube sowie für Internetkonzerne wie Google. Ausländischen Firmen wird eine Übergangszeit von zwölf Monaten eingeräumt, um ihre Server für die lokale Datenspeicherung sowie entsprechende Büros in Vietnam einzurichten.
Die Internetanbieter werden auch verpflichtet, unerwünschte Inhalte auf Wunsch der Regierung zu entfernen. Das ist bereits durch das seit 2019 geltende Gesetz über Cybersicherheit der Fall. Seitdem löschen Facebook und Youtube Inhalte vietnamesischer Nutzer auf Verlangen der Regierung.
Human Rights Watch (HRW) hat kürzlich die Regierung des traditionell von konfuzianischen Werten geprägten Vietnams für ihre LGBT-Politik gelobt. „Die neue Direktive des Gesundheitsministeriums ist ein großer Schritt in die richtige Richtung“, lobte Kyle Knight, HRW-Expertin für die Rechte von Schwulen, Lesben und sexuellen Minderheiten. Sie bezog sich dabei auf Hanois offizielle Erklärung vom Monatsbeginn, dass gleichgeschlechtliche Liebe und Transsexualität für die Regierung keine mentalen Krankheiten seien. HRW erwähnte dabei auch andere positive Schritte der letzten Jahre wie die Aufhebung des Verbots gleichgeschlechtlicher Beziehungen (2013) oder das Recht auf Namensänderung für trans Personen (2016). Schon der US-Regierung unter Obama hatte Hanois relativ fortschrittliche LGBT-Politik ermöglicht, dem Land bei der für ein Handelsabkommen vorgesehenen Prüfung der Menschenrechtslage trotz wachsender Repression grünes Licht zu geben. (han)
Bei Nichtbefolgung droht Konzernen Verbot in Vietnam
Manchmal wird Nutzern bisher noch das Recht eingeräumt, vorab Widerspruch gegen die beabsichtigte Löschung einzulegen. Inhalte von Nutzern von außerhalb Vietnams werden auf Wunsch der Regierung in Hanoi für das Internet in Vietnam gesperrt. Das betraf im November 2020 sogar schon einen taz-Artikel.
Den sozialen Netzwerken wird im Falle der Nichtbefolgung damit gedroht, aus dem vietnamesischen Internet verbannt zu werden. Das Land mit knapp 100 Millionen überwiegend jungen und internetaffinen Bewohnern ist ein wichtiger Markt.
Auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters haben sich Google und der Facebook-Mutterkonzern Meta nicht geäußert, wie sie mit dem neuen Dekret umgehen wollen.
Lisa Kretschmer von Reporter ohne Grenzen in Berlin sagte der taz: „Die Entscheidung von Vietnam ordnet sich ein in eine gefährliche Tendenz, in der autoritäre Staaten die Freiheitspotenziale des Internets bekämpfen wollen.“ Sie appelliert an globale Internetkonzerne wie Facebook und Google, dem Druck der vietnamesischen Regierung nicht nachzugeben.
Internetkonzerne werden eigenem Image nicht gerecht
„Sie nehmen für sich in Anspruch, die Meinungsfreiheit ihrer Nutzerinnen und Nutzer hochhalten zu wollen – nun müssen sie Taten folgen lassen. Das internationale Völkerrecht wie auch die Nutzungsregeln der Unternehmen räumen ihnen Spielräume ein, sich solchen Gesetzen von Diktaturen nicht zu beugen“, so Kretschmer. Es sei „alternativlos“, davon Gebrauch zu machen.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Vietnam nur Platz 174 von 180 Staaten.
Das neue Dekret reiht sich ein in die systematische Beobachtung und Unterdrückung der vietnamesischen Zivilgesellschaft. Deren Repression schreitet seit dem Kongress der alleinregierenden Kommunistischen Partei 2016 in hohem Tempo voran.
Laut der Webseite von Radio Free Asia haben mindestens 15 Provinzen bereits bis letzten Herbst spezielle Polizeieinheiten aufgestellt, um Demonstrationen, Arbeiterstreiks und Proteste von Christen aus ethnischen Minderheiten niederzuschlagen.
Human Rights Watch schrieb im Februar: „Grundlegende bürgerliche und politische Rechte werden in Vietnam systematisch unterdrückt, ebenso Meinungsäußerungen, Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlungen, Bewegungsfreiheit und Religionsfreiheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“