Einsamkeitsstrategie der Bundesregierung: Arbeit ist auch keine Lösung
Die Bundesregierung hat ihre Strategie gegen Einsamkeit vorgestellt. Darin wird aber das Wesentliche übersehen: unser Fokus auf die Lohnarbeit.
A m Mittwoch hat die Bundesregierung 111 Maßnahmen gegen Einsamkeit beschlossen. Christian Lindner teilte ganz stolz mit, dass er nicht betroffen sei, denn er habe „intensiv gearbeitet“. Dabei ist genau diese Attitüde Teil des Problems. Unsere Gesellschaft ist so sehr auf Leistung im Bereich der Lohnarbeit ausgelegt – es verwundert kaum, dass laut Freizeitmonitor nur jeder fünfte Erwachsene einmal in der Woche Verabredungen mit Freund_innen hat.
Politische Maßnahmen gegen Einsamkeit sollten daher nicht bloß für Parkbänke in der Öffentlichkeit und gemeinsame Singaktionen sorgen. Natürlich kann das helfen. Aber neben einem 40-Stunden-Job bleibt oft kaum noch Zeit für Familie, Hobbys oder Ehrenamt. Für das gute Leben eben. Eines, das einen nicht vereinsamen lässt.
Es bräuchte Maßnahmen, die ermöglichen, dass Menschen sich tatsächlich auseinandersetzen können mit ihren sozialen Kontakten. Denn auch umgeben von Menschen kann man sich einsam fühlen. Den Unterschied macht die Verbindung, die man zu manchen von ihnen aufbaut. Das ist kein Selbstläufer. Denn es ist selten, dass man Menschen findet, zu denen man diese Verbindung spürt. Es braucht viel Zeit, diese Menschen zu finden, eine Beziehung aufzubauen und zu pflegen. Zeit, die viele Menschen nach der Arbeit gar nicht mehr haben.
Besonders auffällig wird das, wenn man sich den Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit anguckt – noch immer kann nicht jede Person in Deutschland von ihrem Vollzeitjob leben und ist darauf angewiesen, beim Amt aufzustocken. Wer mit solch existentiellen Fragen beschäftigt ist, wird wohl kaum zusätzlich noch Zeit finden, um sich mit der eigenen sozialen Situation zu beschäftigen.
Der Zusammenhang zwischen Armut und Einsamkeit ist längst bewiesen. Würde die Bundesregierung Menschen tatsächlich aus der Einsamkeit holen wollen, könnte sie dort gut ansetzen. Dann müsste sie Geld in die Hand nehmen, um Menschen aus der Armut zu holen. Das ist allerdings teurer als bloße Symptombekämpfung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt