Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Ungeimpft? Macht nischt!
In Sachsen sind ein Drittel der Beschäftigten im Gesundheitswesen ungeimpft. Deswegen gilt dort das Primat der Versorgungssicherheit.
Der Grund für Kretschmers Unmut ist die niedrige Impfquote im sächsischen Gesundheitswesen. 100.000 von 300.000 Beschäftigten, die in Sachsen unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht fallen, sind laut sächsischem Gesundheitsministerium ungeimpft. Da Sachsen noch immer die mit Abstand niedrigste Impfquote Deutschlands hat, überrascht dies nicht – gerade mal 64 Prozent der Menschen sind hier grundimmunisiert und 47 Prozent geboostert.
In anderen Bundesländern ist die Impfquote unter Mitarbeiter:innen im medizinischen und pflegerischen Bereich deutlich höher. In Bremen sind schätzungsweise nur 10 Prozent derer, die unter die Impfpflicht fallen, ungeimpft, in Nordrhein-Westfalen 5 bis 10 Prozent, in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen jeweils 5 Prozent. Das teilten die Gesundheitsministerien auf taz-Anfrage mit.
Von der Gesundheitsverwaltung Berlin hieß es, die Impfquote in den Berliner Krankenhäusern liege zwischen 82 und 100 Prozent, in den Berliner Pflegeeinrichtungen bei rund 90 Prozent. Die übrigen Bundesländer konnten zwar keine Angaben dazu machen, wie viele Beschäftigte unter die Impfquote fallen und wie viele davon ungeimpft sind, dafür aber zu den Impfquoten in der Pflege. Diese liegen überall über 80 Prozent.
Gesundheitsämter haben „Ermessensspielraum“
Angesichts der niedrigen Impfquote in Sachsen stellt sich die Frage: Inwieweit kann der Freistaat die einrichtungsbezogene Impfpflicht überhaupt umsetzen, ohne die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen zu gefährden? Und wie reagieren die Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen auf das Gesetz? Droht eine Kündigungswelle?
Petra Köpping (SPD), Sachsens Gesundheitsministerin, ärgert die niedrige Impfquote im Gesundheitswesen. Sie verstehe nicht, warum sich angesichts der vielen Coronatodesfälle nicht mehr Beschäftigte impfen ließen, sagte die SPD-Politikerin vergangenen Dienstag bei einem Gespräch mit Ärzt:innen und Bürger:innen im Dresdner Uniklinikum.
Fest steht: Würde Sachsen die Impfpflicht konsequent durchsetzen, dürfte ein Drittel der Beschäftigten nicht mehr arbeiten – der Versorgung würde der Zusammenbruch drohen. Daher will der Freistaat das Gesetz „mit Mitte und Maß“ umsetzen. Laut Köpping habe die Versorgungssicherheit die höchste Priorität. Das heißt: Legt ein:e Mitarbeiter:in in vier Wochen keinen Impfnachweis vor, droht zwar ein Betretungsverbot oder ein Bußgeld bis zu 2.500 Euro. Die Gesundheitsämter haben bei der Entscheidung aber einen „Ermessensspielraum“. Gefährdet ein Betretungsverbot die Versorgung, soll ungeimpftes Personal weiterarbeiten dürfen.
Ministerpräsident Kretschmer hatte schon Mitte Februar, als sich Bund und Länder auf die genaue Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einigten, kritisiert, dass die Verantwortung auf die Gesundheitsämter abgewälzt werde und diese zwischen Infektionsschutz und Versorgungssicherheit abwägen müssten. Ebenso kündigte er an, den Gesundheitsämtern in Sachsen „den Rücken stärken“ zu wollen.
Pflegerat begrüßt Primat der Versorgung
Michael Junge, der Vorsitzende des sächsischen Pflegerates, begrüßt es, dass die Sicherstellung der Versorgung in Sachsen oberste Priorität haben soll. Allerdings erzeugten die Regelungen „weiterhin eine hohe Unsicherheit bei den Einrichtungen und den beruflich Pflegenden“, sagte er der taz.
Aufgrund der ohnehin angespannten Personalsituation könnten bereits einzelne Betretungsverbote die Versorgung gefährden. Der Grund für die „emotional geführte Debatte“ über die Impfpflicht, sagte Junge, sei nicht die Impfpflicht als solche, sondern die jahrelange Versäumnis der Pflegepolitik. Eine Kündigungswelle, wovor die Pflegebranche im Vorfeld warnte, sehe der Pflegerat derzeit aber nicht.
Laut der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit haben sich seit Dezember 2021 etwa 8.800 Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen arbeitssuchend gemeldet. Das seien rund 6.000 mehr als üblich, wie ein Sprecher der taz mitteilte. Ihre Entscheidung begründeten die Beschäftigten häufig damit, dass sie sich nicht weiter dem Infektionsrisiko aussetzen wollten, sie im zweiten Pandemiewinter die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht hätten, sich beruflich umorientieren – oder sich nicht impfen lassen wollten.
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